K. Dykmann: Perceptions and Politics

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Title
Perceptions and Politics. The Foreign Relations of the European Union with Latin America


Author(s)
Dykmann, Klaas
Series
Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde 63
Published
Extent
208 S.
Price
€ 28,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Felix Brahm, Universität Hamburg, Historisches Seminar

Unter Politikwissenschaftlern und Zeithistorikern ist es inzwischen trotz der begrenzten Handlungsfähigkeit der EU in außenpolitischen Fragen weitgehend Konsens, von ihr als einem eigenständigen Akteur der internationalen Beziehungen auszugehen. Dies tut – ohne die breite Diskussion zu dieser Frage noch einmal referieren zu müssen – auch Klaas Dykmann in der vorliegenden Studie, in der er die Beziehungen der Europäischen Union zu Lateinamerika der letzten etwa 20 Jahre untersucht. Nach den klassischen Studien von Hazel Smith ist diesem Thema in den letzten Jahren verstärkt auch im deutschsprachigen Raum Aufmerksamkeit geschenkt worden.1 Dykmann geht es vor allem darum, Licht in Entscheidungsprozesse und die ihr zugrunde liegenden Funktionsweisen, Interessenlagen und Problemwahrnehmungen innerhalb und außerhalb der EU zu bringen, die strategische Handlungsfähigkeit der GASP einer kritischen Revision zu unterziehen und Perspektiven für eine zukünftige Gestaltung der Beziehungen zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen bei Dykmann politische Beziehungen der EU. Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und die Entwicklungszusammenarbeit werden nur insoweit in die Untersuchung einbezogen, als dass sie diese tangieren oder zumindest tangieren könnten. Insofern handelt es sich in der vorliegenden Studie freilich nicht, wie der Titel vermuten lassen könnte, um eine Gesamtbetrachtung der offiziellen Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika.

Wer sind die entscheidenden Akteure politischer Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika und welchen Stellenwert messen sie diesen Beziehungen auf der Wahrnehmungsebene bei? Wie unabhängig und wirkungsvoll kann die GASP, gerade in Krisensituationen in Lateinamerika, handeln? Ist die Region Teil langfristiger strategischer Planungen? Welche Rolle spielen nationale Akteure, vor allem Spanien und die USA, in der Konfiguration dieser Beziehungen? Zur Beantwortung dieses Fragenkomplexes wählt Dykmann eine empirische und zugleich pragmatische Vorgehensweise, indem er Interessen und Problemwahrnehmungen der Akteure und deren Niederschlag in den verschiedenen Initiativen untersucht. Dabei kann er auf einen reichen Fundus von über einhundert Interviews und panel discussions zurückgreifen, die er zwischen 2003 und 2005 mit officials diverser EU-Institutionen, mit lateinamerikanischen, US-amerikanischen und spanischen Diplomaten sowie mit Wissenschaftlern geführt hat.

Zunächst geht Dykmann auf die Entstehung und Struktur der GASP ein und gibt einen historischen Abriss der Beziehungen der Europäischen Gemeinschaften bzw. der EU zu Lateinamerika. Er zeigt, dass speziell die sicherheitspolitischen Initiativen der EU in Bezug auf die Krisen in Zentralamerika in den 1980er Jahren, indem sie ein Gegengewicht zur US-amerikanischen Politik bildeten, nicht nur den Beginn für politische Beziehungen der EU zu Lateinamerika darstellten, sondern gleichzeitig eine konstitutive Rolle für die GASP insgesamt gespielt haben. Verglichen mit der heute marginalen Stellung Lateinamerikas in der außenpolitischen Agenda der EU, die Dykmann für die Zeit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts konstatiert, ist diese Entwicklung „somewhat ironic“ (S. 55).

Besondere Bedeutung für die Gestaltung der politischen Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika fällt Spanien und den USA zu. Beiden widmet Dykmann besondere Aufmerksamkeit. Häufig metaphorisch als „Brücke“ zwischen Europa und Lateinamerika bezeichnet, zeigt Dykmann auf, welche aktive aber gleichzeitig problematische Rolle Spanien für die Außenpolitik der EU zu Lateinamerika gespielt hat. Zwar sei es nichts Ungewöhnliches, dass Spanien seit seinem EU-Beitritt 1986 versucht habe, die Linie der politischen Beziehungen der EU zu Lateinamerika vorzugeben. Die Problematik sieht Dykmann vielmehr darin, dass Spanien keine mit Frankreich und Großbritannien vergleichbare Machtposition in der EU innehat, um entsprechend deren Afrika- bzw. Asienpolitik, seine Lateinamerikapolitik auf eine europäische Ebene zu stellen.

Beispielhaft deutlich wird dies in einem der beiden case studies, in denen Dykmann die Reaktion der EU auf Krisensituationen in Lateinamerika untersucht: auf die Regierungskrise und die Unruhen in Argentinien um den Jahreswechsel 2001/2002 und auf den gescheiterten Staatsstreich in Venezuela 2002. Bei letzterem Fall hatte Spanien, das die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, einen eigenen declaration draft in Umlauf gebracht, der kritische Töne gegenüber dem Staatsstreich vermissen ließ, ohne sich mit den anderen Mitgliedstaaten und dem Hohen Vertreter der GASP abzustimmen. Beide case studies zeigen für Dykmann neben der allgemeinen Handlungsschwäche aber vor allem drei Missstände der GASP: Behäbigkeit, ungenügende Koordination und Desinformation. Ließen sich die Ziele aber vielleicht auch weniger hoch ansetzen? Dann könnte man im Falle des spanischen Vorstoßes immerhin die nachfolgende Korrektivfunktion der GASP hervorheben.

Die USA zieht Dykmann in die Untersuchung mit ein, indem er das Spektrum unterschiedlicher Wahrnehmungen und Interessenlagen im Dreieck USA, Lateinamerika und EU aufzeigt. Unter anderem arbeitet er die Wahrnehmung der Außenpolitik der EU und der USA in Lateinamerika heraus, verdeutlicht den Skeptizismus, der bei vielen US-amerikanischen Akteuren gegenüber der EU vorherrscht und thematisiert die Problematik, die sich für die EU aus der US-amerikanischen, auf Nationalstaaten konzentrierten Außenpolitik, ergibt. Auf der anderen Seite ist es aber auch so – das wird bei Dykmann wiederholt deutlich – dass auch die EU Lateinamerika nicht als einen einheitlichen politischen Raum wahrnimmt, sondern sich bei der Suche nach strategischen Partnern auf „verlässliche Partner“, wie insbesondere Mercosur, Chile und Mexiko konzentriert.

Gerade auch vor diesem Hintergrund wird die abschließend von Dykmann nach ihrem Gehalt hin untersuchte, 1999 proklamierte „strategische Partnerschaft“ zwischen Europa und Lateinamerika zu einer Worthülse. Es gibt keine langfristige Strategie politischer Beziehungen der EU in Bezug auf Lateinamerika – das ist nicht nur Dykmanns Befund, sondern gleichzeitig sein Hauptkritikpunkt. Denn sein Buch ist nicht nur eine wissenschaftliche, sondern zugleich eine Politik beratende Studie, ein Statement für eine Stärkung der politischen Handlungsfähigkeit der GASP und insbesondere ein Plädoyer für die Entwicklung einer langfristigen Perspektive politischer Beziehungen der EU zu Lateinamerika, für die Dykmann am Schluss konkrete Vorschläge entwickelt.

Angesichts der starken empirischen Orientierung der Arbeit und der Tatsache, dass sie sich wesentlich auf die, angesichts des knappen Umfanges des Bandes große Interviewzahl stützt, hätte man sich freilich gewünscht, dass Dykmann – auch wenn nach Auskunft des Autors eine Vorraussetzung für die Verwendung der Interviews war, dass die Quellen anonym bleiben mussten – Auswahlkriterien, Zusammenstellung und Methodik der Auswertung seiner Interviews für den Leser noch transparenter macht, um die Schlussfolgerungen für eine wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung zu öffnen. Die Interviews könnten zudem, systematisiert, über Interessen und Problemwahrnehmungen der Beteiligten hinaus, noch stärker zur Klärung konkreter Entscheidungsprozesse herangezogen werden.

Trotz dieses Wermutstropfens ist die Studie Dykmanns ist aus mehreren Gründen sehr wertvoll: Sein Autor erweist sich als außerordentlich gut informiert und betrachtet sein Untersuchungsfeld, was sehr lobenswert ist, aus den Perspektiven europäischer, lateinamerikanischer und US-amerikanischer Akteure. Zudem ist Dykmanns Untersuchung gut strukturiert, und kann über die eigentliche Fragestellung hinaus – auch wenn Dykmann dies erklärtermaßen nicht beabsichtigt hat – auch als ein Überblickswerk der bisherigen politischen Beziehungen der EU zu Lateinamerika dienen.

Anmerkung:
1 Insbesondere Smith, Hazel, European Union Foreign Policy and Central America, Basingstoke 1995; Grabendorff, Wolf; Seidelmann, Reimund (Hgg.), Relations between the European Union and Latin America. Biregionalism in a changing global system, Baden-Baden 2005; Kernic, Franz; Feichtinger, Walter (Hgg.), Transatlantische Beziehungen im Wandel. Sicherheitspolitische Aspekte der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika, Baden-Baden 2006.

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05.10.2007
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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