Künstler, Handwerker, Gelehrte, Kaufleute - so unterschiedlich diese Professionen auf den ersten Blick zu sein scheinen, so teilten sie in der Vormoderne doch häufig ein Aktionsprinzip: die grenzüberschreitende Mobilität; das entsprechende Adjektiv weltläuftig ist im deutschen Sprachraum seit dem späten 15. Jahrhundert belegt. Der Anspruch, sich nicht nur Kenntnisse über verschiedene Kulturkreise anzueignen, sondern sich auch in diesen bewegen und behaupten zu können, galt, wie in der Forschung vielfach hervorgehoben, nicht zuletzt als Grundlage einer auch materiell erfolgreichen Karriere. Seit dem Spätmittelalter - man denke an die Ausbildung von Kaufmannslehrlingen, an Künstlerreisen, Gesellenwanderungen oder die studentische peregrinatio academica - schlug sich diese Forderung nach Weltläufigkeit bzw. Kosmopolie auch in Erziehungsgrundsätzen nieder, weit vor der Etablierung der „Kavalierstour“ für junge Adelige. Nicht umsonst wurden lange Zeit auch welterfahrene Kaufleute, Künstler, Gelehrte für diplomatische Missionen europäischer Fürsten eingesetzt. In den 1590er-Jahren hatte der bürgerliche Philipp Hainhofer (1578- 1647) bereits einige Jahre an mehreren italienischen Universitäten studiert und Fremdsprachenunterricht erhalten, bevor er in den Handel der Familienfirma einstieg.
Doch inwiefern blieben diese etablierten Mobilitätspraktiken - es geht stets um nicht erzwungene Migrationsbewegungen - in der Frühen Neuzeit stabil? Mit einer Schwerpunktsetzung „um 1600“, also der Zeit Philipp Hainhofers, fragt die Tagung vertiefend nach Zielvorstellungen und Praktiken v.a. zu dieser bestimmten Phase, die bislang kaum auf ihre Spezifik hin untersucht wurde. Angesichts einer sich in weiten Teilen Europas um 1600 verschärfenden, vielfach eskalierenden politischen, konfessionellen und wirtschaftlichen Lage will die Konferenz aber auch gezielt „Grenzen“ jeglicher Art in den Fokus nehmen, um vormoderne Kosmopolie als kulturelles Phänomen anhand neuer oder bislang wenig beachteter Quellenbestände in ihrer Vielschichtigkeit besser verstehen und im Vergleich schärfer konturieren zu können.
Leitfragen (besonders auch für die Phase „um 1600“):
- Wie reagierten mobile Personengruppen auf Veränderungen politischer, konfessioneller, materieller Rahmenbedingungen?
- Wurden angesichts eines sich konfessionell aufspaltenden Europa, angesichts der „Bellizität“ der Frühen Neuzeit, die Aktionsräume eher kleiner statt größer?
- Wurden womöglich neue Anforderungen an mobile Personengruppen gestellt, neue Abhängigkeiten etabliert, soziale Netzwerke neu konfiguriert?
- Gab es Anzeichen für eine veränderte Bewertung von Mobilität, Widerstand oder Gegenbewegungen?
- Mit welchen Mitteln und welcher Intensität wurden grenzüberschreitende Verbindungen aufrechterhalten?
- Welche soziokulturellen Verbindungen blieben stabil, welche nicht? Änderten sich (sprachlich-literarische, künstlerische, performative) Repräsentationen des „Weltläufigen“?
- Wie schlugen sich veränderte Parameter in der Weitergabe migrationsspezifischen Wissens an Wanderungswillige nieder?
- Wie ist - angesichts der bisherigen Fokussierung der Forschung auf städtische Metropolen - die Bedeutung des ländlichen Raums zu fassen?
Die Tagung will diesen Fragen mit einem gemischten Ansatz nachgehen, der sowohl systematische Querschnitte als auch personenbezogene Fallstudien einbezieht. Es können bis zu zwei Themenvorschläge (deutsch oder englisch) für bislang nicht publizierte Beiträge „um 1600“ und/oder einem anderen frühneuzeitlichen Untersuchungszeitraum eingereicht werden. Bitte schicken Sie Ihren Vorschlag oder zur Auswahl zwei Vorschläge (je maximal 2.000 Zeichen) zusammen mit einem CV (mit Angaben der einschlägigen Publikationen) bis zum 30. September 2023 an: Hainhofer-Kolloquium-6@t-online.de
Die Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten werden für Vortragende vom Veranstalter übernommen.
Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch.
Doktorandinnen und Doktoranden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Post-Doc-Phase werden ausdrücklich zur Bewerbung ermutigt.
Die angenommenen Beiträge werden in einem von Andreas Tacke und Regina Dauser herausgegebenen Sammelband in der Schriftenreihe Hainhoferiana der Schwabenakademie Irsee beim Michael Imhof Verlag (Petersberg) 2025 gedruckt; verbindlicher Abgabetermin für alle Manuskripte ist der 4. Oktober 2024.
Den inhaltlichen wie finanziellen Rahmen der Philipp-Hainhofer-Kolloquien bildet das DFG-Langfristvorhaben der kommentierten digitalen Edition von Hainhofers Reise- und Sammlungsbeschreibungen. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2017 bis 2029/30 geförderte Projekt wird intern von Dr. Michael Wenzel geleitet und hat eine Arbeitsstelle an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (Projektleitung: Prof. Dr. Peter Burschel) und eine weitere an der Stiftung LEUCOREA in der Lutherstadt Wittenberg (Projektleitung: Prof. Dr. Dr. Andreas Tacke). Die erzielten Ergebnisse werden fortlaufend unter https://hainhofer.hab.de eingestellt und freigeschaltet.
Das VI. Philipp-Hainhhofer-Kolloquium der Schwabenakademie Irsee wird in Kooperation mit Prof. Dr. Regina Dauser (Universität Augsburg) durchgeführt.