Transnationale Repräsentationen von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg (Deutschland – Polen – Tschechien – Slowakei)

Transnationale Repräsentationen von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg (Deutschland – Polen – Tschechien – Slowakei)

Veranstalter
Prof. Dr. Dominique Herbet / Dr. Carola Hähnel-Mesnard, Université Charles de Gaulle – Lille 3 Laboratoire CECILLE
Veranstaltungsort
Ort
Lille
Land
France
Vom - Bis
20.03.2014 - 22.03.2014
Deadline
15.02.2013
Website
Von
Carola Hähnel-Mesnard

Die Ereignisse um die Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des zweiten Weltkriegs sind seit mehr als zehn Jahren im öffentlichen Raum in Deutschland überaus präsent. Der neue geopolitische Kontext nach dem Fall der Mauer und der Zugang zu Archiven in Osteuropa haben bereits in den 1990er Jahren zu einem erneuten Interesse an diesem Thema geführt, welches nicht nur die deutsche, sondern auch die mitteleuropäische und europäische Geschichte betrifft. Für Historiker ist die Geschichte von Flucht und Vertreibung als Folge des nationalsozialistischen Angriffskrieges heutzutage Teil einer Konsensgeschichte.

Auf politischer Ebene haben jedoch unterschiedliche Stellungnahmen des Bundes der Vertriebenen sowie dessen Forderung zur Errichtung eines „sichtbaren Zeichens“ für die Opfer von Flucht und Vertreibung die Sensibilität der von dieser gemeinsamen Geschichte betroffenen Länder verletzt. Daraufhin hat sich die Bundesregierung dieses Themas mit dem Ziel angenommen, es in einem europäischen Dialog zu verankern. Parallel zu diesen politischen Initiativen wird das Thema Flucht und Vertreibung seit über zehn Jahren im künstlerischen und kulturellen Bereich intensiv verarbeitet, in der Literatur, in Film und Fernsehen, in den Medien, in Museen und Ausstellungen.

Im Rahmen der neueren Auseinandersetzung mit dem Thema wurde vor allem die Viktimisierung der Deutschen in den jüngsten Debatten und kulturellen Repräsentationen unterstrichen (die Deutschen betrachteten sich nicht mehr nur als Schuldige, sondern als Opfer des Krieges). Gleichzeitig konnte man die Tendenz beobachten, diese Ereignisse in einer transnationalen Perspektive zu verorten. So werden Flucht und Vertreibung Teil der europäischen bzw. weltweiten Geschichte von Zwangsumsiedlung, Vertreibung und Völkermord, angesiedelt zwischen den Bevölkerungsumsiedlungen während des Ersten Weltkriegs und dem Völkermord an den Armeniern einerseits und dem Balkankrieg und den Flüchtlingslagern in Afrika andererseits. Diese Tendenz zur Universalisierung warf die Frage eines historischen Relativismus auf, doch steht auch fest, dass man die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen heute nicht mehr nur in ihrer nationalen Dimension betrachten kann, sondern in einen breiteren Kontext einordnen muss.

Deshalb möchte die Tagung den Wahrnehmungsbereich von „Flucht und Vertreibung der Deutschen“ über Deutschland hinaus auf die von diesem Ereignis unmittelbar betroffenen Länder Ostmitteleuropas – Polen, Tschechien, Slowakei – ausdehnen. Von Interesse sind Überlegungen zur Frage, inwieweit dieses Thema heutzutage Gegenstand der zeitgeschichtlichen Forschung in den einzelnen Ländern ist und inwiefern es in diesem Bereich wissenschaftliche Neuansätze gibt. Darüber hinaus soll der Schwerpunkt der Tagung jedoch auf der Repräsentation der geschichtlichen Ereignisse liegen, auf deren Darstellung in der Literatur, in der Kunst, in den Medien sowie in Museen und Ausstellungen, mit einem Fokus auf die Zeit nach 1989. Welche Wahrnehmungen haben Autoren und Künstler aus den einzelnen Ländern von diesen Ereignissen, wie werden sie dargestellt, gibt es generationelle Unterschiede? Welchen Nachhall haben die Ereignisse in der Presse, welche Debatten führen sie herbei, wie werden sie in Museen und Ausstellungen (re)präsentiert. In Deutschland wird das Thema angeregt diskutiert, inwiefern ist es in den anderen Ländern relevant? Welche Vorstellungen und Bilder der historischen Ereignisse werden durch Literatur, Film, künstlerische Darstellungen und Medien vermittelt, ändert sich der Blickwinkel aus einer unterschiedlichen nationalen Perspektive? Welche Bilder des „Anderen“ und seiner Kultur zirkulieren, inwiefern beeinflussen diese Bilder die gegenwärtigen Beziehungen zwischen den Staaten? Wie wird der jetzt vom „Anderen“ bewohnte Raum wahrgenommen, wie eignet man ihn sich wieder an (Motiv der Rückkehr, der Reise). Inwiefern sind die betroffenen Gebiete noch Träger einer doppelten bzw. multiplen Kultur, inwiefern sind sie noch Zeugen kultureller Mischungen und Überlagerungen. In diesem Zusammenhang könnte eine Reflexion über den Rückgriff auf Konzepte postkolonialer Theorien interessant sein: die Frage nach kulturellen Vermischungen und Hybridität, nach der Verortung der Kultur(en), ihrer Überlagerung und Interaktion in einst gemeinsam genutzten Räumen, nach dem „dritten Raum“.

Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass die Bevölkerungsbewegungen in diesem geographischen Raum nicht nur die Deutschen betrafen. Zur selben Zeit fand die Westverschiebung Polens statt: Polen werden an seiner Westgrenze ehemals deutsche Gebiete zugesprochen, während ein Teil seines Territoriums im Osten von der Sowjetunion besetzt wird. Ein Teil der polnischen Bevölkerung wurde Opfer einer Zwangsmigration und gezwungen, sich auf den von den Deutschen zurückgelassenen Gebieten niederzulassen. Wie wird diese doppelte Geschichte reflektiert?

Durch diese europäische Perspektive der Fragestellung möchte sich die Tagung ebenfalls den möglichen Auswirkungen dieser Ereignisse und ihrer Wahrnehmungen auf die Konstruktion von Identitäten und Erinnerungen in Mitteleuropa nähern. Der historische Kontext unterschiedlicher Migrationsströme in diesem Raum impliziert vielfältige kulturelle Beziehungen ebenso wie die Verflechtung unterschiedlicher Erinnerungen. Inwiefern kann ein Nachdenken über diese Ereignisse auch die Konstruktion eines gemeinsamen Gedächtnisraumes in Mitteleuropa anregen?

Die Tagung wendet sich in transdisziplinärer Perspektive an Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und Spezialisten der betroffenen Kulturräume. Vorschläge aus komparatistischer Perspektive sind besonders erwünscht. Der untersuchte Zeitraum sollte sich wesentlich auf die Zeit nach 1989 beschränken, wobei Vorschläge zu früheren Perioden nicht ausgeschlossen sind.

Deadline für die Vorschläge : 15. Februar 2013

Bitte senden Sie bis zum 15. Februar 2013 einen Abstract (max. 1 Seite) und eine kurze biographische Notiz an:
Carola Hähnel-Mesnard, Dozentin für neuere deutsche Literatur, Université Charles de Gaulle - Lille 3
(carola.hahnel-mesnard@univ-lille3.fr)

Dominique Herbet, Professorin für Deutschlandstudien, Université Charles de Gaulle - Lille 3
(dominique.herbet@univ-lille3.fr)

Tagungssprachen: Französisch, Deutsch

Eine Veröffentlichung der Beiträge ist geplant.

Programm

Kontakt

Carola Hähnel-Mesnard

Université Charles de Gaulle - Lille 3

carola.hahnel-mesnard@univ-lille3.fr