Verflochtene Lebenswelten. Gender und Transkulturalität in der Vormoderne

Verflochtene Lebenswelten. Gender und Transkulturalität in der Vormoderne

Veranstalter
Antje Flüchter, IKOS, Oslo; Monika Mommertz, Historisches Seminar Freiburg
Veranstaltungsort
Ort
Oslo / Freiburg
Land
Norway
Vom - Bis
13.04.2014 -
Deadline
13.04.2014
Website
Von
Antje Flüchter

War man vor wenigen Jahren in der deutschen Geschichtswissenschaft froh, die nationale Schallmauer durchbrochen und die europäische Perspektive im Titel diverser Bücher und Forschungsvorhaben zu finden, so wird nun gefordert, auch globale Aspekte oder solche des entanglement zu berücksichtigen. In der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft befasst sich die Frühneuzeitgeschichte zwar schon seit langem auch mit inner- und außereuropäischen Kulturkontakten und Formen des Austauschs, doch sind explizite Auseinandersetzungen mit Konzepten der Transkulturalität und Verflechtungsgeschichte noch selten. Noch zu wenig beleuchtet wurde, wie Geschlechtergeschichte oder die Kategorie gender in globaler oder transkultureller Perspektive heuristisch fruchtbar gemacht werden kann. Diesem Mangel möchten wir mit dem geplanten Band unter dem Schlagwort „Verflochtene Lebenswelten“ entgegenarbeiten.

Verflechtungen und beziehungsgeschichtliche Ansätze interessieren uns im Wesentlichen auf zwei Ebenen:

1. Im Sinne der Interaktion in der Situation des Kulturkontaktes. Dabei wird ein weiter Begriff der Kontaktzone unterlegt: Dieser umgreift sowohl konkrete Räume, wie z.B. Hafenstädte, Herrscherhöfe oder Missionsunternehmen, versteht aber auch Diskurse über die Welt/andere "Welten" als Kontaktzone.

2. Verflechtungen, kulturelle Begegnungen sind aber auch in einer epistemologischen Dimension wichtig. Die Herausforderung des Kulturkontaktes kann festgefügte und liebgewonnene Begriffe in Frage stellen und verändern. Dies betrifft sowohl die Zeitgenossen als auch die modernen Forscher/inn/en und ihre Forschungsbegriffe.

Die transkulturelle Perspektive

Es gibt Stimmen – gerade im deutschsprachigen Diskurs – die globalgeschichtliche oder transnationale Phänomene vor allem in der Moderne verortet. Abgesehen von der grundsätzlichen Problematik modernisierungstheoretischer Axiome, kennt die menschliche Vergangenheit schon immer Verflechtungsphänomene, die nicht zuletzt auch in der Frühneuzeitforschung immer wieder präsent sind. Daher ist davon auszugehen, dass sich reflektiert beziehungsgeschichtliche bzw. transkulturelle Zugänge auf alle Epochen der Geschichte sinnvoll anwenden lassen. Beziehungsgeschichte, im Sinne einer entangled, connected oder shared history, ist mittlerweile relativ etabliert (Conrad/Randeria, Juneja, Subrahmanyam). Unterschiedliche Herangehensweisen verbindet die Forderung, Geschichte nicht auf den jeweiligen Herrschafts-, Kultur- oder Sprachraum begrenzt zu verstehen, sondern als eingebettet in ein größeres, u. U. weltumfassendes Netzwerk zu untersuchen. Beziehungen mit anderen "Kulturen", Strömen/flows und Transferbeziehungen sollten als Einflussfaktoren immer mit in die Überlegungen zu "inneren" Entwicklungen miteinbezogen werden. Kulturen im Sinne von sozialen Konfigurationen sind dabei prozessual zu verstehen, d.h. die Untersuchungseinheiten sind nicht vorweg gegeben sondern werden immer gesetzt – sei es von den Zeitgenossen oder von den Historiker/inn/en, die sie untersuchen. Dabei sind die zu untersuchende Kontaktzone und die sich dort treffenden Gruppen/kulturellen Formationen in einer Art Momentaufnahme in den Blick zu nehmen.
Edward Said postulierte „Alle Kulturen sind hybrid“ und ähnlich findet man bei Wolfgang Welsch: „alles ist transkulturell“. Diese Positionen sind ebenso richtig wie wenig weiterführend. Das von uns vertretene Konzept der Transkulturalität rückt Phänomene in den Fokus, die in der oder durch die Interaktion von verschiedenen ‚Gruppen‘ in Kontaktzonen entstehen. Die Interaktion muss dabei eine Überschreitung kultureller Grenzen beinhalten und dadurch einen Transformationsprozess herbeiführen, durch den etwas Drittes, Neues entsteht oder entwickelt wird - etwas, das nicht eine einfache Addition von vorhandenen Phänomenen und Elementen darstellt. Es kann jedoch nicht nur um Mischungen und Verflechtungen gehen. Die transkulturelle Perspektive untersucht ebenso, welche Mechanismen der Blockade, Abstoßung oder Re-Stabilisierung von Großgruppen/kulturellen Formationen und auch wie Formen der Überwältigung in der Kontaktsituation wirksam werden. Zu den Blockaden der Transkulturalität gehört nicht zuletzt die Frage ihrer „Sagbarkeit“. Der Kulturkontakt stellte das Gekannte, Vertraute und damit oft die eigene Identität in Frage. Daher konnten transkulturelle Phänomene oft in den Bereich des Unsagbaren oder des nicht sanktionslos Sagbaren fallen.

Die epistemologische Ebene

Verflechtungen interessieren uns nicht zuletzt auch auf einer epistemologischen Ebene: Der multiperspektivische Blick einer Verflechtungsgeschichte ermöglicht und fordert die genutzten Begriffe und Konzepte zu überdenken. Dies kann in der konkreten Interaktion der Akteur/inn/en und ihrer Begrifflichkeit geschehen. Auch die Einflüsse von Diskursen über andere Weltregionen für die europäischer Theoriebildung, sei es in Bezug auf Staatlichkeit, Religion oder Geschlechterrollen, ist zu bedenken (Asad; Rubiés). Ebenso wichtig scheint eine Reflektion bezüglich der benutzten analytischen Begriffe. Analytische Begriffe sind nie neutral, sondern entstammen dem jeweiligen Diskurs der Historiker/inne/n und müssen in transkultureller Perspektive oft aufgebrochen oder erweitert werden. Wichtige methodisch-theoretische Denkanregungen stammen hier sowohl von Dipesh Chakrabarty, aber auch vom Konzept der histoire croisée (Bénédicte Zimmermann/Michael Werner).

Gender als analytische Kategorie

Die Kategorie Geschlecht nimmt in der neueren Transkultur- und Verflechtungsgeschichte einen vergleichsweisemarginalen Raum ein. Dies scheint umso verwunderlicher, als die transkulturelle Kritik traditioneller Geschichtswissenschaften sich an einer Reihe von Annahmen, Begriffen und Konzepten festmacht, die auch in der Geschlechtergeschichte und dort zum Teil schon seit Jahrzehnten angegangen bzw. entwickelt wurden. So hat die Geschlechtergeschichte sehr früh beispielsweise die Nation hinterfragt, diese u.a. als ein Ergebnis von Ausschlussprozessen kritisch beschrieben. Anders als oft angenommen beschränkt sich die Geschlechtergeschichte nicht auf die Untersuchung der Kategorie Geschlecht, sondern problematisiert bzw. konzipiert seit Langem die Mehrdimensionalität bzw. die "mehrfache Relationalität" oder auch "Intersektionalität" von Identitäten - , ein Phänomen, dass in der Verflechtungsgeschichte nun mit etwas anderen Akzentsetzungen ebenfalls entdeckt wurde. Von Anfang an haben Historiker/inn/en mit Hilfe der Kategorie Geschlecht zentristische Narrative unterschiedlichster Provenienz hinterfragt, ebenso etwa auch die Reichweite universalisierender Begriffe und Historiographien. Dennoch sucht man Verweise auf geschlechtergeschichtliche Einflüsse oder auch eine Suche nach gemeinsamen Perspektiven in deutschsprachigen programmatischen Texten zur Transkulturalität und Verflechtung nahezu vergebens.

Zwar liegen mittlerweile zahlreiche geschlechtergeschichtliche Studien über geteilte und verflochtene Lebenswelten, über Migration, "Kulturkontakte", Perzeption und Konstruktion von Alteritäten etc. vor, doch werden diese wiederum nur selten unter dem Aspekt der "Transkulturalität" bzw. explizit als Phänomene der Verflechtung diskutiert oder in den Kontext einschlägiger Debatten gestellt. In Studien zur Herausbildung transnationaler und transkultureller Phänomene - seien dies Herrschaftsgefüge (composite monarchies, Imperien) oder Kommunikationsnetze (Missionsorden, Gelehrtennetzwerke, koloniale Informationsstrukturen etc.) bleibt die Kategorie Gender oft völlig unterbelichtet. Aber auch andere Schnittstellen von transkultureller und geschlechtergeschichtlicher Perspektive sind denkbar: Die verschiedenen Formen der verflochtenen Aushandlung von Geschlecht und kulturellen Grenzen z.B. in den ge-gender-ten Darstellungen der Weltteile oder in der Frage, wie und unter welchen Bedingungen Geschlechterrollen zu zentralen Kriterien des zeitgenössischen Kulturvergleichs wurden. Nicht zuletzt wäre zu untersuchen, inwieweit die Kontaktzone nicht nur das Überschreiten kultureller, sondern auch geschlechtsspezifischer Grenzen ermöglichte und vielleicht durch solche Handlungsspielräume binäre Strukturen von Geschlecht zumindest zwischenzeitlich ausgesetzt werden konnten.

Im Schnittfeld von Geschlechter- und Verflechtungsgeschichte möchte der Band Ergebnisse und Anregungen aus beiden Forschungsfeldern zusammenführen. Unter dem Titel "Verflochtene Lebenswelten": Transkulturalität und Gender in der Vormoderne setzt er sich zum Ziel, Berührungspunkte und u.U. auch Aspekte wechselseitiger Kritik ausfindig zu machen um daraus neue theoretische und methodische Perspektiven für eine methodisch-theoretische Verflechtung von transkultureller und Geschlechtergeschichte zu entwickeln.

Wir bitten um das Einsenden von Abstracts bis zum 13.4.2014. Die ausgearbeiteten Artikel sollten Ende September 2014 vorliegen

Programm

Kontakt

Professor Dr. Antje Flüchter
IKOS
Blindern
PO 1010
0316 Oslo
Norwegen

antje.fluechter@gmail.com

Dr. Monika Mommertz
Historisches Seminar
Albert-Ludwigs-Universitä
7085 Freiburg

Monika.Mommertz@t-online.de