Forschungsdaten in den Area Histories: der Fachinformationsdienst Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien und die NFDI4Memory

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Josef Jeschke, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt; Volker Adam, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt

Ob bei der Arbeit im Archiv, bei der Feldforschung oder bei der Nutzung von Datenbanken – Forschungsdaten spielen eine zentrale Rolle in jedem Forschungsvorhaben. Im Rahmen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) entsteht derzeit eine Dateninfrastruktur für die deutsche Wissenschaft. Das Konsortium NFDI4Memory ist dabei für die historisch orientierten Disziplinen zuständig und arbeitet etwa zu Datenqualität, Metadatenstandards oder Datenverlinkung, es möchte aber auch die historische Quellenkritik ins digitale Zeitalter übersetzen und eine neue Datenkultur fördern. Das Research Centre Global Dynamics der Universität Leipzig widmet sich dabei den Besonderheiten, die sich für das Forschungsdatenmanagement in den Area Histories ergeben, und diskutiert die rechtlichen, ethischen und technischen Dimensionen, die zu berücksichtigen sind, wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in oder zu anderen Ländern und Weltregionen forschen und dort Daten für ihre Forschung erheben oder nutzen. Ein Workshop im Frühjahr 2024 brachte Vertreter und Vertreterinnen der areabezogenen Fachinformationsdienste sowie der NFDI4Memory zusammen, um die spezifischen Bedarfe der Area Histories herauszuarbeiten sowie die Zusammenarbeit und jeweiligen Zuständigkeitsbereiche von NFDI und FID zu diskutieren. Diese Artikelserie hält die zentralen Erkenntnisse dieses Gesprächs fest und wird zunächst die Arbeit der Fachinformationsdienste auf dem Gebiet der Forschungsdaten in den Fokus nehmen. In diesem Artikel stellt der FID Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien seine Arbeit und Angebote im Bereich der Forschungsdaten vor.

Die folgenden Ausführungen geben die mit dem Thema FDM im Fachinformationsdienst Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien gesammelten Erfahrungen aus dem Zeitraum August 2022 bis April 2024 und die damit verbundene Entwicklung von Ansätzen wieder.

Ausgangslage

Der Fachinformationsdienst Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Bereich Wissenschaftliche Literaturversorgung und Informationssysteme gefördertes Projekt, das an der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Sachsen-Anhalt angesiedelt ist. Das Projekt verfolgt als übergeordnetes Ziel, in regionaler Hinsicht die Versorgung der Geistes-, Sozial-, Politik-, Literatur-, Religions- sowie Sprachwissenschaft zum arabischsprachigen Nordafrika und dem Nahen Osten, zur Türkei, zum Iran sowie zum Kaukasus und Mittelasien mit forschungsrelevanter Literatur sicherzustellen. Seine Fokusgruppe sieht der FID in den nahostwissenschaftlichen Fächern wie Islamwissenschaft, Christlicher Orient, Arabistik, Iranistik, Semitistik oder Turkologie, aber letztlich stehen die Services allen Wissenschaftler:innen zur Verfügung, die sich mit Material aus der MENA-Region beschäftigen. Der FID hat dementsprechend sowohl eine fachliche als auch eine betont regionalwissenschaftliche Ausrichtung.

Da der FID Nahost in der Informationsbereitstellung eine Reservoirfunktion erfüllen soll, liegt ein besonderer Fokus auf Nachhaltigkeit. Das Engagement des FID Nahost hinsichtlich des Forschungsdatenmanagements ist in diesem Kontext zu sehen. Ziel ist es, Auffindbarkeit und Nachnutzung von Forschungsdaten dauerhaft und nachhaltig zu ermöglichen. Im DFG-Antrag werden die FDM-Aktivitäten für die dritte Förderphase (2021-2024) dementsprechend so beschrieben: „Der FID plant in der kommenden Förderperiode Workflows zur Generierung, Beschreibung und Übernahme orientwissenschaftlicher Forschungsdaten zu konzipieren.“

Der FID arbeitete dabei anfänglich mit einem arabistischen, islamwissenschaftlichen Pilotprojekt zusammen. Mittlerweile sind andere linguistische und religionswissenschaftliche Projekte dazugekommen, besonders aus dem Bereich der Turkologie.1 In einem Austausch auf Augenhöhe, verfolgen FID und Forschungsprojekte das gemeinsame Ziel, für die Fachcommunity Workflows für ein erfolgreiches FDM zu erarbeiten.

Anfangs stand dabei die Übernahme von Daten im Vordergrund, das heißt, die Ablage von Forschungsdaten auf MENAdoc, dem FID Nahost vorbehaltenen Abschnitt in Share:it, des DSpace-Repositoriums der ULB Sachsen-Anhalt. Dementsprechend ist der FID auch in die Weiterentwicklung des DSpace-Repositoriums involviert. Die Konzentration auf eine Ablage auf MENAdoc war dabei auch von dem Wissen motiviert, dass dieses Material durch den FID und die ULB qualitativ hochwertig nachgewiesen werden kann und sowohl auf MENAdoc selbst als auch über den K10plus-Index recherchierbar sein wird.

Erfahrungen

Anhand konkreten Materials, welches zur Ablage kommen sollte, musste zuerst geprüft werden, inwieweit Urheberrecht und Datenschutz bei der Ablage beachtet werden müssen. Schon nach einer ersten Prüfung stellte sich heraus, dass nicht alles Material ohne Weiteres in Open Access zugänglich gemacht werden kann. Daraufhin stießen das Open-Science-Team der ULB und der FID Nahost innerhalb der ULB die Entwicklung eines Repositoriums an, welches auch Restricted bzw. Closed Access zulässt. Sowohl das Aufsetzen eines dementsprechenden Repositoriums als auch die damit verbundene Zugangsverwaltung erwiesen sich als sehr ressourcenintensiv. Darüber hinaus musste erwartet werden, dass die angefragten Datenmengen und -formate große Ressourcen beanspruchen werden. Dieser Aufwand muss zum einen aus Eigenmitteln der ULB bestritten werden, zum anderen kann der FID als befristetes Projekt (noch) keine langfristige Betreuung garantieren. Im Falle von Restricted Access kommt hinzu, dass die ULB dabei das abgelegte Material auch nicht als Erwerb behandeln kann, der allen Nutzern frei zur Verfügung steht. Es ist dementsprechend nicht zu rechtfertigen, dass die ULB derartiges Material aus externen Projekten in großem Umfang übernimmt. Ist ein Forschungsprojekt jedoch an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angesiedelt, so steht die ULB in der Pflicht. Daher ist die Beschäftigung mit Ablage in verschiedene Zugangsformen auch für die ULB von Nöten.

Nachdem identifiziert wurde, dass die umfassende Ablage von Material nicht Kern der FID-Aktivitäten hinsichtlich FDM sein kann, musste innerhalb des FID die Aufgabenstellung neu fokussiert werden und das bestehende Arbeitsprogramm selbstkritisch hinterfragt werden. In diesem Prozess rückten zunehmend zwei grundsätzliche Fragen in den Mittelpunkt

1. Was sind Forschungsdaten (FD)?

2. Was ist das Ziel eines erfolgreichen Forschungsdatenmanagements (FDM)?

Entgegen der Vorannahme wurde deutlich, dass kein Konsens über Definition von FD und Ziel FDM besteht.2 Im Austausch mit Forscher:innen erhielt der FID meist Antworten, welche sich derart zusammenfassen lassen:

„FD sind etwas Digitales, das beim Forschen genutzt wurde, wird oder werden kann. Im FDM müssen diese Daten abgelegt werden, damit sie (mir) nicht verloren gehen.“

In der nahostwissenschaftlichen Fachcommunity wird nach unseren Erfahrungen mit FDM häufig vor allem der Wunsch verbunden, in der MENA-Region gesammeltes forschungsrelevantes Material digitalisiert abzulegen.3 Hierbei ist die Ablage das Ziel von FDM, die Digitalisierung der notwendige Schritt. Diese Annahme fußt auch in der Auffassung, dass die Digitalisierung der Prozess ist, bei dem in geisteswissenschaftlicher Arbeit managementwürdige Daten produziert werden, während andere Produkte des geisteswissenschaftlichen Forschens keine Daten zu produzieren scheinen, die eines Managements bedürfen: bibliographische Listen, Transkripte, Glossare, Exzerpte etc.

Die Konzentration auf das Erstellen und Ablegen von Digitalisaten ist ein archivarischer Ansatz, der für Bibliotheken zwar anschlussfähig ist, aber nicht als systematisches FDM bezeichnet werden kann. So wertvoll die meisten Materialien sind und so sinnvoll deren Ablage ist, so sind diese Bedarfe eher als eigenständige Digitalisierungs- und Archivierungsprojekte zu behandeln, weil man nur so sowohl dem Wert des Materials als auch dem mit Digitalisierung, Ablage und Präsentation des Materials verbundenen Aufwand gerecht werden kann. Dieser Aufwand umfasst neben der hochwertigen Digitalisierung auch die Strukturierung des Materials nach informationswissenschaftlichen Standards und die Erstellung detaillierter, nachnutzbarer Metadaten. Dass dieses Material häufig keinem konkreten Forschungsprojekt zugeordnet werden kann, ist ebenfalls mit einem erhöhten Aufwand verbunden. Denn sowohl Repräsentation als auch Beschreibung des Materials sollen entsprechend umfassend gestaltet werden, und können nicht eine etwaige Verifizierung von Forschungsergebnissen fokussieren.

Erkenntnisse

Ziele des FDM

Eine Konzentration auf die Ablage erwies sich für den FID dementsprechend aus mehreren Gründen als problematisch:

1. Der FID wird schon von der Konzeption her nicht mit den Ressourcen und dem Auftrag versehen, um theoretisch alle fachrelevanten FD in einem eigenen Repositorium abzulegen.

2. Selbst wenn dies der Fall wäre, ist die Bereitstellung eines Fachrepositoriums, welches theoretisch eine Ablage aller Datentypen und Zugangsarten, welche für nahostwissenschaftliche FD zu erwarten sind, mit einem sehr hohen technischen und administrativen Aufwand verbunden.

3. Die Forschung beruft sich zu Recht auf ihre Freiheit, über ihre Daten frei zu verfügen. Selbst wenn der FID ein alle Anforderungen erfüllendes Repositorium zur Verfügung stellen könnte, wäre eine Ablage von allen fachrelevanten FD auf ihm nicht garantiert.

4. Die Ablage von FD auf einem Repositorium ist nicht gleichbedeutend mit dem erfolgreichen Umsetzen von FDM.

Es war also nötig, Aufgabe des FID beim FDM neu zu fokussieren. In einem ersten Schritt wurde als Arbeitsgrundlage FD folgendermaßen definiert: „Forschungsdaten sind alle anderen Produkte eigenen wissenschaftlichen Arbeitens außer den Publikationen.“ Diese Definition umfasst dementsprechend ein weites Feld an Daten, schränkt aber ein, dass diese im Rahmen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit benutzt und modifiziert wurden. Die Definition schließt dementsprechend auch Digitalisate von Archivmaterial und Kulturerbe mit ein, solange dies beim Verfolgen einer Forschungsfrage ausgewertet wurde. Auch das Kuratieren von digitalen Materialien muss als wissenschaftliche Arbeit gelten, z.B. das Sammeln von Social-Media-Content nach im Studiendesign festgelegten Regeln (Thema, Zeit, Sprache etc.). Entscheidendes Merkmal ist die Verbindung zur wissenschaftlichen Arbeit innerhalb eines Forschungsprojektes. Nicht zu Forschungsdaten zu zählen sind hingegen digitale Sammlungen oder Digitalisate von Sammlungen, die lediglich das Potenzial zur Forschung bieten. Dieses Material ist nach archivarischen Anforderungen zu behandeln.

Nachdem innerhalb des FID die FD definiert werden konnten, musste das Ziel erfolgreichen FDM klar benannt werden. Der FID konnte im Austausch mit der Forschungscommunity und anderen informationswissenschaftlichen Akteuren des FID-Systems und der NFDI folgende Ziele definieren: Aus der Perspektive der Forschung sollte FDM dazu dienen, Forschungsergebnisse zu verifizieren und nachnutzbare FD zugänglich zu machen. Beides entspricht nicht nur guter Praxis für wissenschaftliches Arbeiten, sondern kann auch die wissenschaftliche Karriere der jeweiligen Forscher:innen stärken. FID bzw. Bibliotheken haben im FDM die Aufgabe, Forschungsdaten breit recherchier- und auffindbar zumachen. Auch dies ist im Interesse der Forschung, denn nur auffindbare Forschungsdaten können nachgenutzt werden. Hinsichtlich der im Akronym FAIR zusammengefassten Prinzipien ist der FID dementsprechend für das F wie findable verantwortlich, die Forschung selbst für AIR wie accessible, interoperatable und reusable. FID und Bibliotheken sollten FD ähnlich wie Publikationen als Erwerb behandeln. Eine Herausforderung dabei ist, dass kein etabliertes Netz von Lieferanten besteht, und der Erwerb dementsprechend kaum institutionalisiert ist. FD ähneln am meisten forschungsgetriebenen Publikationen im Diamond Open Access.

Fachspezifische Herausforderungen

Eine weitere Erkenntnis ist, dass fachspezifische Herausforderungen wie nichtlateinische Schriften beim FDM zwar eine kleinere Rolle als in Publikationen zu spielen scheinen, jedoch trotzdem relevant sind. Die fachspezifischen Herausforderungen stellen sich besonders beim Generieren von Daten, z.B. beim Erfassen von Texten über Optical Character Recognition (OCR) oder beim Erstellen und Auswerten von Transkripten. Die Forschung bei diesen Herausforderungen zu unterstützen, sollte durchaus als eine Aufgabe des FID angesehen werden, jedoch fällt dies eher in den Bereich der Projektberatung und muss getrennt vom FDM betrachtet werden. Obwohl FID und wissenschaftliche Bibliotheken die Forschung unterstützen, sind sie keine Forschungseinrichtung und generieren außer in eigenen Projekten keine Forschungsdaten.4

Für FDM von höherer Relevanz ist die fachspezifische Erstellung und Pflege von Fachvokabularen und Normdaten, die alle Belange der Mehrschrift- und -sprachlichkeit und die damit verbunden Transliterationskonventionen umfassen. Zwar werden auch in der Normdatenarbeit Daten generiert, jedoch sind diese keine FD, sondern das Ergebnis einer der Kernaufgaben des FID Nahost, des Erschließens von forschungsrelevantem Material. Da der FID Nahost über seine Fachreferate stark in die Sprachredaktion der Gemeinsamen Normdatei (GND) eingebunden ist, können diese Daten trotzdem für nahostwissenschaftliche DH-Projekte von hoher Bedeutung sein. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung, die in Forschungsprojekten generierten Normdaten z.B. zu Fachbegriffen in den Sprachen der MENA-Region in ein Gesamtsystem wie die GND zu integrieren.

Wenn Forscher:innen und FID gemeinsam das Ziel verfolgen, nachnutzbare FD auffindbar und zugänglich zu machen, gilt es, die Arbeit von Forscher:innen und Forschungsinfrastruktur zu verzahnen, um Parallelstrukturen zu vermeiden. Daher arbeitet der FID unter anderem eng mit der bei Text+, dem NFDI-Konsortium für text- und sprachbasierte Forschungsdaten, angesiedelten GND-Agentur zusammen. Mit dem von Text+ entwickelten Tool EntityXML können Forscher:innen eine projektinterne Normdatei (authority file) anlegen und pflegen. Diese Daten sind selbst FD, die vom FID in der Normdatenarbeit nachgenutzt werden können, indem der FID als fachliche Redaktion für die GND die Einhaltung von Standards überwacht und die in Forschungsprojekten erstellten Normdaten ggf. gemäß der GND-Standards anpasst.

Ein anderes Feld der Zusammenarbeit stellen rechtliche und ethische Aspekte dar. Hierbei ist zu bemerken, dass für die Ablage formal die rechtlichen Bestimmungen des Ablageortes bindend sind, d.h. in unseren Fällen Deutschland bzw. die Europäische Union. Bei der Datenerhebung sind hingegen auch die lokalen rechtlichen Bestimmungen relevant. Es besteht dementsprechend die Herausforderung, die komplexen Datenschutz- und Urheberrechtsbestimmungen zu erfüllen. Hier gibt es in den Nahostwissenschaften ähnliche Problematiken wie in anderen Area Studies: Wie sollen z.B. die Zustimmungen gemäß Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bei Feldstudien eingeholt werden? Da sich über die rechtlich bindenden Bestimmungen hinaus gute FDM-Praxis auch an den CARE-Prinzipien orientieren sollte5, entstehen weitere Herausforderungen für die Nachnutzbarkeit: Welcher Gemeinschaft soll z.B. die „Authority to Control“ ermöglicht werden.6

Aufgrund unserer Erfahrungen konnten wir folgende Besonderheiten historisch arbeitender MENA-Projekte erkennen:

1. Forschungsprojekte fokussieren vor allem auf textuelle Corpora, häufig in nicht-lateinischen Schriften, und sind daher mit entsprechenden Herausforderungen konfrontiert (Wiedergabe Originalschrift, maschinenlesbare Erfassung des Textes, konsistente Transliteration nach international und national abweichenden Standards).

2. Es bestehen teilweise politisch oder kulturell motivierte Zugangsbeschränkungen sowie die Problematik, Quellentexte mit kulturell oder politisch brisantem Inhalt in OA zu publizieren. Beispiele hierfür sind etwa marginalisierte und teilweise verfolgte religiöse Gemeinschaften, deren Archivmaterial gemeinschaftsbildend ist. Eine OA-Veröffentlichung des Materials und der entsprechenden Metadaten kann hier z.B. auf Seiten von staatlichen Behörden Begehrlichkeiten hinsichtlich des Materials wecken. Auch die OA-Stellung von Material in welchem zu Gewalt aufgerufen und diese auch dargestellt wird, ist problematisch. Ein Beispiel ist hier Material des sogenannten Islamischen Staates (Dāʿiš).

3. Es fehlt häufig an Klarheit hinsichtlich der übertragenen Rechte an digitalisiertem Quellenmaterial (was darf wie ablegt und sichtbar gemacht), da in der MENA-Region Lizenzen u.ä. nicht oder sehr einschränkend vergeben werden. So werden Publikationen z.B. häufig mit dem Copyright des Verlags versehen, obwohl dieser nur in Kommission handelt. Daher ist Grey Open Access weit verbreitet.7

4. Aufgrund unterschiedlicher Transliterationstraditionen fehlen für viele terminologischem Begriffe oder Namen international gültige Referenzwerke. Zudem sind in Normdatenbanken (z.B. die GND) oder authoritiy files nahostwissenschaftliche Stichwörter unterrepräsentiert oder auch kulturell europalastig konnotiert.

Ansätze

Entsprechend seines neu fokussierten Auftrags ist der FID bestrebt, diesem auf zwei Wegen nachzukommen: durch eine Beratung von Projekten, die dies wünschen und brauchen, und durch das ablageunabhängige Auffindbarmachen von fachrelevanten FD.

Die Beratung wird dabei als ein gemeinsamer Prozess mit den Forscher:innen gestaltet, in dem FID und Forschungsprojekt zusammen Workflows für erfolgreiches FDM entwickeln. Forschungsprojekte aus den nahostwissenschaftlichen Kerndisziplinen suchen dabei häufig den Kontakt zum FID, da hier die notwendige Sach- und Sprachexpertise vorhanden ist, und die Forscher:innen davon ausgehen können, von Fachkolleg:innen beraten zu werden. Der Beratungsprozess ist projektbegleitend und dementsprechend längerfristig mit sich wiederholenden Kontakten angelegt. Zu beobachten ist dabei, dass während des Prozesses Ziele und Aufgaben des FDM angepasst und konkretisiert werden. Durch diese Arbeitsweise werden meist nicht nur für alle Stakeholder zufriedenstellende Lösungen gefunden, sondern der FID gewinnt auch wertvolle Einblicke in die realen Bedarfe und Praktiken der jeweiligen Forschungsprojekte. Diese Erfahrungen können dann wieder in die FDM-Beratung anderer Projekte einfließen.

Der ablageunabhängige Nachweis stellt gegenüber der Beratung für den FID die größere Herausforderung dar. Im FID herrscht das Bewusstsein, dass wir hinsichtlich dieser Herausforderung noch am Anfang der Arbeit stehen. Momentan ist der FID bestrebt, das Ziel klar zu definieren. Dabei sind folgende Themen zu adressieren:

- Wo sollen Forschungsdaten gefunden werden?

- Wie können wir diesen Findraum effizient und möglichst umfassend bestücken?

Die Auffindbarkeit wird weiterhin auch von Fachspezifika, wie bei der Beschreibung der Daten verwendeten Schriften und Umschriften, beeinflusst, jedoch sind momentan die grundlegenden technischen Herausforderungen beim Monitoring zugänglicher und nachnutzbarer FD und der Integration von Metadaten in Findräume zu priorisieren. Technische Lösungen müssen entwickelt werden, denn der bestehende Ablauf mit einem manuellen Nachweis von FD über den Katalog kann zumindest nicht der einzige Weg sein, um FD möglichst breit auffindbar zu machen.

Kooperation und Netzwerk

Diesen Herausforderungen steht der FID Nahost nicht allein gegenüber, sondern muss hinsichtlich der generalistischen Herausforderungen innerhalb von Netzwerken und Kooperationen Lösungen finden. Insellösungen sind im Sinne des sparenden Umgangs mit Ressourcen nicht anzustreben. Eine Vernetzung innerhalb des FID- und NFDI-Netzwerkes ist für den FID Nahost aber nicht nur eine Möglichkeit, über aktuelle Practices informiert zu sein, sondern an diesen aktiv teilzunehmen und die Bedarfe seiner Forschungscommunity einzubringen. Der FID ist dementsprechend Participant bzw. Beobachter in NFDI-Konsortien Text+, NFDI4Culture und NFDI4Memory und beteiligt sich an der Sektion Ethical, Legal and Social Aspects. Eine besonders enge Zusammenarbeit gibt es natürlich innerhalb des FID-Netzwerks. In diesem bibliothekarischen Umfeld adressieren wir gemeinsam die Herausforderungen der Auffindbarkeit. Dafür wurde eigens eine UAG FDM ins Leben gerufen. Über das FID-Netzwerk soll ein gemeinsames Verständnis des Auftrags der FID beim FDM und im Idealfall Lösungen erarbeitet werden.

FID Nahost und die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)

Der FID Nahost ist bestrebt, eng mit verschiedenen NFDI-Strukturen zusammenzuarbeiten. Jedoch konnte ich persönlich bisher kein klares Verständnis davon erlangen, was das erklärte gemeinsame Ziel beider Strukturen ist. Leider hat z.B. auch die European Open Science Cloud (EOSC) noch kein Konzept, die Services und Erfahrung der FID zu integrieren. FID sind aktuell kein Teil der skizzierten europäischen Struktur der EOSC, wohingegen die NFDI als nationale Nodes der EOSC fungieren sollen.8 Ich gehe nicht davon aus, dass dies Kalkül ist, sondern dass dies ein Thema ist, das es zu adressieren gilt. Eine Zusammenarbeit beider Strukturen bietet großes Potential für beide Seiten. Die FID können ihre teilweise über Jahrzehnte aufgebauten engen Bindungen an die jeweiligen Forschungscommunities einbringen und als Broker zwischen Forschungscommunity, nationaler und internationaler Forschungsinfrastruktur und den lokalen Bibliotheken fungieren, und dabei multilateral Bedarfe, Anforderungen und Services vermitteln.

Anmerkungen:
1 Da Vertrauen und eine Vertraulichkeit die Basis der Zusammenarbeit bilden, werden die Projekte hier nicht weiter identifiziert.
2 Auch die DFG definiert Forschungsdaten zum Beispiel weder in ihren Leitlinien noch in der Checkliste. Die Checkliste erfragt einzelne Punkte des FDM, definiert aber nicht das Ziel.
3 Dies ist eine generalisierte Sicht, die sich aus unseren Erfahrungen in Gesprächen mit Projekten speist, die eine Beratung wünschen. Projekte, die ein erfolgreiches und effizientes FDM betreiben, suchen dahingegen weniger den Kontakt zum FID.
4 Dementsprechend sind FD, die durch den FID generiert werden, informationswissenschaftlichen Charakters, z.B. Ground-Truth-Daten oder OCR-Modelle. Diese wiederum können auch in der Fachwissenschaft nachgenutzt werden.
5 CARE Principles for Indigenous Data Governance, <https://www.gida-global.org/care> (05.01.2025).
6 Für einen Austausch und zum Entwickeln konsistenter Definitionen und Handlungsvorschläge arbeitet der FID Nahost innerhalb der NFDI-Sektion Ethical, Legal and Social Aspects in der im Juni 2024 konstituierten Arbeitsgruppe CARE mit.
7 Als „Grey Open Access” definiert der FID Nahost den Zugang, über welchen Material zwar allgemein zugänglich gemacht wird, aber weder über einen permanenten Identifier verlässlich dauerhaft abgerufen werden kann noch entsprechende OA-Lizenzen (z.B. CC BY) erteilt wurden. Neben kommerziellen Plattformen zählen dazu auch Angebote von Verlagen, welche Publikationen über ihre Webseiten in Copyright zugänglich machen.
8 Peter Szegedi, Launching and operating the EOSC EU Node <https://eosc.eu/wp-content/uploads/2024/02/Peter-Szegedi-European-Commission-Winter-school-2024.pdf> (05.01.2025).

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Published on
24.01.2025
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