S. Kott: Organiser Le Monde

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Title
Organiser le monde. Une autre histoire de la guerre froide


Author(s)
Kott, Sandrine
Published
Paris 2021: Seuil
Extent
309 S.
Price
€ 23.50
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Isabella Löhr, Centre Marc Bloch, Berlin

„Die Welt organisieren“ – das ist auf den ersten Blick ein ambitionierter Titel für ein Buch, das im Untertitel eine „andere“ Geschichte des Kalten Kriegs verspricht. Aber schon der zweite Blick verrät, dass der Titel treffend das Anliegen und die Perspektive der zentralen Akteure des Buchs einfängt, nämlich internationale Organisationen, auf deren Grundlage Kott eine Sozialgeschichte des Kalten Kriegs zwischen den 1940er und den 1980er Jahren entwirft. Globalgeschichtliche Studien zum Kalten Krieg haben in den letzten Jahren den Fokus auf den Antagonismus zwischen den Supermächten aufgebrochen zugunsten einer Perspektive, die den Ost-West-Konflikt als einen globalen Referenzrahmen begreift, der eine grundsätzliche Neuordnung der weltweiten gesellschaftlichen Beziehungsgefüge bewirkte und neue Machtasymmetrien und Ungleichheiten hervorbrachte. Kott schreibt sich auf gewisse Weise in diese Historiographie ein. Der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion spielt in dem Buch keine vordergründige Rolle. Er stellt vielmehr eine unhintergehbare ideologische und politische Rahmenbedingung dar, mit der sich das Führungspersonal und die vor Ort mit der Umsetzung von konkreten Programmen beauftragten Mitarbeitenden von internationalen Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zwangsläufig auseinandersetzen mussten. So bildet der Kalte Krieg nur den Rahmen für eine Analyse, die vor allem darauf zielt, die Genese der globalen Ungleichheiten zu verstehen, mit denen wir im 21. Jahrhundert zu kämpfen haben. Kott interpretiert den Kalten Krieg entsprechend als „enjeux économiques et sociales“ (S. 8), also als eine komplexe Gemengelage wirtschaftlicher und sozialer Probleme und Herausforderungen, vor denen alle Gesellschaften gleichermaßen standen, egal wie sie sich zum Systemkonflikt positionierten. Daraus leitet sie ihren spezifischen Zugang her, mit dem Kott sich von einem großen Teil der Literatur zum Kalten Krieg abhebt: Ausgehend von der Beobachtung, dass internationale Organisationen Orte waren, an denen die Vertreter von liberalem Kapitalismus und Staatsozialismus aufeinandertrafen, ihre ideologischen Konflikte unmittelbar austrugen, es aber auch eine gewisse Notwendigkeit gab, diese Interessensgegensätze irgendwie miteinander in Dialog zu bringen, analysiert sie die Geschichte des Kalten Kriegs aus einer internationalistischen Perspektive, wobei sie Internationalismus als politisches Programm und soziale Praxis definiert (S. 10). Internationale Organisationen haben für Kott damit vor allem eine analytische Funktion: Sie versteht sie als eine Art Linse, durch die zeitgenössische Wahrnehmungen von Gleichheit und Ungleichheit wie im Brennglas sichtbar werden, als Orte, an denen gesellschaftlich relevantes Wissen in der Auseinandersetzung zwischen Experten aus Ost und West produziert wurde, und als Orte, an denen die Idee des Multilateralismus praktisch eingeübt und der Gedanke verankert wurde, dass international relevante Probleme irgendwie reguliert beziehungsweise ‚gelöst‘ werden müssten. Geographisch liegt ihr Fokus auf Europa, was sich durch die Aufmerksamkeit auf die sozialistischen Staaten und auf Themen erklärt, die vor allem im europäischen Rahmen von Bedeutung waren.

Das Buch hat sechs Kapitel, die chronologisch geordnet sind, beginnend mit der Neuordnung und dem Wiederaufbau Europas durch die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Agency) und paneuropäischen Konzepten im Rahmen der Economic Commission for Europe bis zur beginnenden Auflösung des ideologischen Gegensatzes zwischen Ost und West in den frühen 1980er Jahren zugunsten einer Reihe von internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds oder dem GATT-Agreement, die im Kontext einer schwindenden radikalen Kapitalismuskritik einer neoliberalen, auf das Individuum fokussierten Weltordnung zum Durchbruch halfen. Die Kapitel zwei und drei beschäftigen sich mit der Entstehung der „zweiten Welt“, eine Formation, in der die osteuropäischen Staaten wirtschaftspolitisch gezielt in eine periphere Position gedrängt wurden, sie aber in anderen Bereichen wie den Frauen- und Kinderrechten sukzessive eigene Positionen erkämpften. Entsprechend sieht Kott Mitte der 1950er Jahre eine Kehrtwende erreicht, als die sozialistischen Staaten die internationalen Organisationen als Plattform entdeckten, um ihr eigenes Gesellschaftsmodell als sozial gerechte Alternative zum Kapitalismus zu propagieren, wofür Jugoslawien paradigmatisch steht. Die Kapitel vier und fünf zeigen, dass die Gründung einer Reihe von themenbezogenen internationalen Organisationen ab den 1960er Jahren eine Vielzahl von neuen Räumen der Interaktion schufen, in denen Experten aus Ost und West zusammentrafen, um neues Wissen sowie konkrete Anwendungen hervorzubringen, mit denen ein spezifisches, weil internationalisiertes Verständnis von Modernität einherging, das auf Planung baute und eine gemeinsame Zukunft für die europäischen Gesellschaften in West und Ost imaginierte.

Das Buch organisiert sich um zwei zentrale Argumente herum. Erstens erklärt die Autorin das verhältnismäßig reibungslose Funktionieren der internationalen Expertennetzwerke sowohl praktisch als auch auf der Ebene des Wissens mit einem Generationenargument: Die meisten Personen in den internationalen Organisationen kannten sich aus der Vorkriegszeit und teilten das biographische Merkmal, dass sie sich im Antifaschismus engagiert hatten, was, so Kott, alle politischen Divergenzen in den Hintergrund treten ließ. Dieses Argument besticht vor allem dadurch, dass sie den Paradigmenwechsel in den 1970er Jahren hin zu einer neoliberal geprägten Weltordnung, die sich nicht länger um Konsens bemühte, als Folge eines Generationenwechsels plausibel erklären kann. Zweitens legt sie besonders im Kapitel über die Bedeutung der Blockfreien Bewegung, von Entwicklungspolitik und Neuer Weltwirtschaftsordnung dar, dass alle Visionen von Entwicklung, Fortschritt und Modernität auf einem liberalen Verständnis von Modernität beruhten, das den Erfolg von international angestoßenen Reformprojekten auf der Basis von ökonomischen Wachstumsfaktoren maß mit dem Ergebnis, dass die Visionen von gesellschaftlicher Modernität der sozialistischen und blockfreien Staaten in den internationalen Organisationen letztlich unterlagen.

Die Stärke des Buchs liegt erstens darin, dass die Autorin mit der Aufmerksamkeit für das Aufeinandertreffen von Experten und internationalen Beamten in konkreten internationalen Settings die Perspektive umdreht: Aufeinandertreffen und Interaktionen bilden den Ausgangspunkt, von dem aus sie Konflikte, Unvereinbarkeiten, Asymmetrien sowie die Genese internationaler Maßnahmen untersucht. Durch diesen Fokus läuft sie zweitens nicht Gefahr, eine Erfolgsgeschichte des Internationalismus im Kalten Krieg zu schreiben oder institutionelle Perspektiven zu sehr ins Zentrum zu rücken. Stattdessen werden die internationalen Organisationen zum Spiegel ihrer Zeit: Kott platziert die verschiedenen, konkurrierenden Akteure auf eine nuancierte Art und Weise, sie gibt Ungleichgewichten und Verschiebungen jenseits einer Ost-West-Dichotomie Raum, womit sie deren Erklärungskraft deutlich relativiert, und sie analysiert differenziert, wann, wo, von wem und wie genau die internationalen Organisationen benutzt wurden, um bestimmte politische Ziele zu erreichen, und inwieweit diese selbst als Akteure auftraten auf der Basis von langlebigen Netzwerken oder einem entpolitisierten Selbstverständnis. Anstelle einer nationalgeschichtlichen Perspektive auf den Kalten Krieg treten transnationale Akteurskonstellationen und Netzwerke, deren Schnittmenge das Ringen um das Thema Ungleichheit in verschiedenen Lebensbereichen ist. Auf diese Weise wird das Verständnis für wirtschaftspolitische Konflikte oder Rechtediskurse deutlich komplexer und klar gezogene Grenzen zwischen Ost und West, Nord und Süd oder ideologischen Lagern verwässern.

Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert gewesen, wenn Kott ihre Terminologie der empirischen Komplexität angepasst hätte, die sie zutage fördert. Denn Begriffe wie „Kalter Krieg“, „Block“, „Ost“, „West“ oder „dritte Welt“ evozieren genau die Vorstellungswelt, gegen die sie anschreibt. Auch wenn es keine leichte Aufgabe ist, wäre es nur konsequent, hier eine andere Begrifflichkeit zu versuchen. Außerdem würde man sich als Leserin hier und dort wünschen, mehr über die Umsetzung und insbesondere die Wirkung von konkreten Programmen zu erfahren, beispielsweise wenn es um die Schulung von Fabrikleitern in Polen und Bulgarien durch die ILO auf der Grundlage ‚westlicher‘ Management-Theorien in den 1960er und 1970er Jahren geht. Aber das mag auch zu viel verlangt sein für ein Buch, dessen großer Verdienst es ist, die Geschichte von Internationalismus und Ungleichheit zu verbinden und sie als konstitutives Moment in die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einzuschreiben.

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30.09.2022
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