M. van Groesen: The Representations of the Overseas World

Title
The Representations of the Overseas World in the De Bry Collection of Voyages (1590-1634).


Author(s)
van Groesen, Michiel
Series
Library of the Written Word 2
Published
Extent
xiv, 570 S.
Price
€ 99,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Maike Christadler, Historisches Seminar, Universität Basel

Die de Bryschen Reisesammlungen ins Occidentalische und Orientalische Indien, auch aufgrund ihres geringfügig unterschiedlichen Formats als „Große“ und „Kleine Reisen“ bezeichnet, haben seit ihrer Lancierung auf dem Buchmarkt eine fast ununterbrochene bibliophile Aufmerksamkeit erhalten. Die qualitativ ungewöhnlich hochwertigen Bücher, die von den Verlegern mit zahlreichen Kupferstichen ausgestattet wurden, haben schon im 17. Jahrhundert neben dem inhaltlichen auch ein antiquarisches Interesse provoziert. Im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert wurden die Reihen überall in Europa von Antiquaren und Bücherliebhabern gesammelt und beschrieben, um eine perfekte Erstausgabe zu rekonstruieren. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Sammlung jedoch erst wiederentdecken müssen und hat vor allem die Kupferstiche reproduziert. Erst in jüngster Zeit ist vornehmlich die America-Serie auch wissenschaftlich bearbeitet worden. Zumeist stand eine Analyse der Bilder im Zentrum des Interesses, sowohl bei der wegweisenden strukturalistischen Arbeit von Bernadette Bucher als auch bei der 2004 erschienen Dissertation von Anna Greve.1

Das große Verdienst von Michiel van Groesen ist es, die Sammlung endlich als ganze in den Blick zu nehmen – und zwar hinsichtlich ihrer Text- und Bildkomponenten ebenso wie hinsichtlich ihrer geographischen Unterteilung. Seine Studien zeigen, dass die in der Rezeption gängige Trennung von Occidentalischen und Orientalischen Reisen nicht haltbar ist, die Verleger die beiden Serien vielmehr komplementär geplant und verkauft haben. Aber das ist nicht das einzige, in der langen Rezeptionsgeschichte liebgewonnene Urteil, das es nach der Lektüre Michiel van Groesens zu revidieren gilt.

Anknüpfend an die große Tradition der de Bry-Forschung kommt auch van Groesen aus der Buchgeschichte. Doch für ihn steht nicht länger die „perfekte Erstausgabe“ im Zentrum, sondern das Buch als Ware auf dem Buchmarkt des 16. und 17. Jahrhunderts. Anhand der de Bryschen Reisesammlungen analysiert er das Funktionieren und Bedienen dieses Marktes. Zwei große Thesen leiten dabei seine Untersuchungen: Die Sammlung sei wesentlich weniger protestantisch als bisher behauptet, denn sie sei für einen europäischen Markt geplant und produziert worden und habe eben auch eine katholische Leserschaft erreichen wollen. Dazu, so zeigt van Groesen, schufen und wählten die Verleger Texte und Bilder, die sie über ihre Übersetzungs- und Editionsarbeit für ein möglichst breites Publikum in ganz Europa aufbereiteten. Inhaltlich führe diese Programmatik zu einer besonders starken Betonung der Differenz der ‚Anderen’, die als wild und unzivilisiert ihren europäischen Eroberern gegenüber gestellt werden.

Einer Einordnung in den Kontext der großen Reisesammlungen des 16. Jahrhunderts folgt eine eindrucksvoll recherchierte Familien- und Verlagsgeschichte der de Bry, die den Aufstieg des Goldschmieds Theodor de Bry zum Begründer eines erfolgreichen Verlagshauses wesentlich plausibler werden lässt. Van Groesen zeichnet de Bry als einen geschäftstüchtigen Investor, dessen europäisches Itinerar keineswegs – wie bislang oft angenommen – allein auf religiöse Verfolgung zurück zu führen ist, sondern sich Ausbildungs- und Geschäftsinteressen verdankt. Van Groesen zeichnet ein spannendes Bild der persönlichen und beruflichen Netzwerke de Brys und kann so aus dessen Antwerpener Kontakten auch seine Bekanntschaft mit dem englischen Hofgeographen Richard Hakluyt erklären. Womit van Groesen bei der Konzeption der Sammlung ankommt: das Interesse Hakluyts war, die englische Kolonisierung Virginias zu propagieren. Doch welches Interesse leitete die de Bry bei der Publikation der weiteren Bände?

Um die spezifische Position der Frankfurter Verleger zu rekonstruieren, fragt van Groesen zunächst danach, welche Texte für die Serie ausgewählt wurden – und welche nicht. Außerdem vergleicht er die edierten und übersetzten Texte der Serien mit ihren Vorlagen. Veränderungen konstatiert er sowohl zwischen Original- und Serien-Text als auch zwischen der lateinischen und deutschen Version der Bände. Er begründet diese Modifikationen mit der extremen Marktorientierung der Verleger: Die Ausgliederung der „Brevissima relación“ von Bartolome de las Casas, die ebenfalls, wenn auch in anderem Format, von den de Bry herausgegeben wurde, ist ihm ein erster Hinweis auf eine vom Geschäftssinn angeleitete Respektierung spanischer Interessen. Dasselbe gelte auch für die Bearbeitung der Originaltexte: Die Bände sollten die größtmögliche Verbreitung erfahren, was eine soziale und konfessionelle Adaptation von Texten nötig machte.

Auch mit seiner inhaltlichen Analyse zielt van Groesen auf die Marktkonformität der de Bry. Anhand einiger ausgesuchter Themenstränge – etwa die europäische Begegnung mit den Ureinwohnern und der fremden Flora und Fauna, die Darstellung des Heidentums und heidnischer Rituale – zeigt der Autor, dass die Unzivilisiertheit und Wildheit der Indigenen, ebenso wie das Monströse und Exotische der fremden Welten über die Text- und Bildredaktionen besonders betont werde. So würden die ‚Anderen’ vorzugsweise nackt dargestellt, was im europäischen Kontext negativ konnotiert gewesen sei und die Eingeborenen als den europäischen Eroberern deutlich unterlegen zeige. Mancherorts würden sie gar über sprachliche oder visuelle Suggestionen in die Nähe von Tieren gerückt. Von ähnlicher Primitivität seien die Schilderungen religiöser Überzeugungen oder Rituale: die ‚Anderen’ würden, so van Groesen, gerade im Verhältnis zu den Vorlagen der de Bryschen Texte als Heiden geradezu überzeichnet. Diese Homogenisierung der Fremden, die über India Occidentalis und Orientalis hinaus für die ganze Welt galt, diente wiederum als Marktstrategie: Um eine gesamteuropäische Leserschaft zu gewinnen, würden europäische Werte vereinheitlicht, von denen die ‚Anderen’ abgesetzt würden.

Den Erfolg dieser verkaufstechnischen Maßnahmen verfolgt van Groesen einerseits anhand der Indices verbotener Bücher in Spanien und Portugal: Im Gegensatz zu den Originalausgaben etwa eines Jean de Léry oder Hans Staden, deren Verbreitung gänzlich unterbunden wurde, konnten die de Bry dieselben Texte – aber eben mit den von ihnen vorgenommenen ‚Anpassungen’ – als Teil ihrer Serie auch nach Spanien und Portugal verkaufen, wenn auch immer wieder Passagen durch Zensoren geschwärzt wurden. Andererseits bedient sich van Groesen eines rezeptionsgeschichtlichen Ansatzes: Über private und öffentliche Sammlungs- und Bibliothekskataloge forscht er nach Käufern, Besitzern und Sammlern der Reiseserien und kann zeigen, dass die de Bryschen Bände in ganz Europa in sehr unterschiedlichen sozialen Milieus verbreitet waren. Adlige Sammler kauften sie ebenso wie jesuitische Missionare, und selbst in vielen Humanisten-Bibliotheken kann van Groesen die Bände nachweisen.

Da sich direkte Leseerfahrungen nur schlecht rekonstruieren lassen, widmet van Groesen sein letztes Kapitel der Aufnahme des de Bryschen Werkes vor allem auf dem niederländischen Markt für Druckerzeugnisse, mit dem schon während seiner Entstehung der größte Austausch bestand. Er kann zeigen, dass das Bildrepertoire der Großen und Kleinen Reisen im 17. und 18. Jahrhundert in so verschiedenen Medien wie Büchern und Karten stilprägend gewirkt hat.

Die Arbeit Michiel van Groesens zeichnet sich durch fundierte Quellenarbeit aus und liefert im Anhang einen wertvollen Katalog der de Bryschen Publikationen. Mit ihrer starken Betonung der marktstrategischen Editionsverfahren bietet sie eine wirklich neue Perspektive auf das Verlagshaus de Bry. Mit dieser Fokussierung gelingt es van Groesen, den in der Sekundärliteratur dominierenden Blick auf die protestantische Ausrichtung des de Bryschen Werks zu relativieren.
Doch birgt eine starke These auch die Gefahr einer Homogenisierung der Bände, die immerhin über 40 Jahre, drei Generationen und den Zeitraum einer fulminanten, sehr diversifizierten europäischen Expansion entstanden sind. Die von ihm durchgehend hervorgehobene Konstruktion europäischer Überlegenheit wird in ihrer Eindeutigkeit dann fraglich, wenn man nach Mechanismen und Strategien der europäischen Identitätskonstruktion und (Selbst)Repräsentation fragt und das europäische Werteraster nicht nur auf ‚gut’ und ‚böse’ beschränkt. Eine Einbeziehung auch postkolonialer Ansätze hätte es van Groesen erlaubt, mehr Zwischentöne zu hören und Ambivalenzen in den Schilderungen wahrzunehmen.

Anmerkung:
1 Bernadette Bucher, La sauvage aux seins pendants, Paris 1977 und Anna Greve, Die Konstruktion Amerikas. Bilderpolitik in den „Grands Voyages“ aus der Werkstatt de Bry, Köln 2004.

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28.10.2008
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