R. J. Evans: Cosmopolitan Islanders

Titel
Cosmopolitan Islanders. British Historians and the European Continent


Autor(en)
Evans, Richard J.
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
$ 19,99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Kiran Klaus Patel, Europäisches Hochschulinstitut, Florenz

Im britischen Universitätssystem nehmen die Regius-Professuren eine Sonderstellung ein, da sie direkt von der Krone eingerichtet und ihre Inhaber vom Monarchen bestätigt werden. Für das gesamte Feld der Neuen Geschichte gibt es im Vereinigten Königreich genau zwei derartige Professuren – eine in Oxford und eine in Cambridge (beide seit 1724). Zu Quentin Skinners Nachfolger in Cambridge ist 2008 Richard J. Evans ernannt worden, womit beide Stellen mit einem Evans besetzt sind (wobei Robert in Oxford mit Richard nicht verwandt ist). Dass beide zudem Experten des deutschsprachigen Raumes sind, sagt viel über die britische Geschichtswissenschaft aus – und führt direkt zum Thema dieses faszinierenden Buches.

Richard Evans geht in dieser erweiterten Fassung seiner Antrittsvorlesung der Frage nach, warum sich so viele erfolgreiche britische Historiker mit der Geschichte Kontinentaleuropas befassen, warum die britische Historiographie also weniger parochial ausgerichtet ist als die anderer Länder. Zunächst wendet er sich mit einer Mischung aus Statistiken und selbst erhobenen Umfragen unter britischen Kollegen der Gegenwart zu. Seine „unsystematic yet suggestive statistics“ (S. 12) verdeutlichen, dass sich in Großbritannien unter den großen europäischen Ländern prozentual am meisten Historiker mit der Geschichte anderer Gesellschaften befassen. Zugleich werden auffallend viele dieser Briten nicht nur auf der Insel in Wissenschaft und Öffentlichkeit breit rezipiert, sondern weit darüber hinaus, was Namen wie Norman Davies, Ian Kershaw oder Paul Preston verdeutlichen. Evans erklärt diesen Erfolg mit vielen Faktoren, nicht zuletzt jedoch mit der britischen Mischung aus wissenschaftlicher Zuverlässigkeit und stilistischer Qualität.

Anschließend lenkt Evans den Blick zurück auf die Wurzeln dieser Erfolgsgeschichte und bietet einen konzisen Rückblick auf die britische Europa-Historiographie seit dem 18. Jahrhundert. Ein eindrucksvolles Panorama von weit gereisten Gentlemen, exzentrischen Gelehrten und einflussreichen Emigranten ersteht hier in kurzweiligen, mit Sottisen gespickten Miniaturen. Evans zeigt, dass es ebenso viele Gründe für die Beschäftigung mit dem Kontinent gibt wie Biographien. Deutlich wird aber auch die Relevanz des Interesses an Europa für die Stabilisierung des britischen Selbstverständnisses – ob bei Charles Kingsley (1819-1875), der den Terror der französischen Revolution und Unterdrückung auf dem Kontinent im Allgemeinen der angelsächsischen Freiheit gegenüberstellte; bei George Macaulay Trevelyan (1876-1962), dessen Garibaldi darauf hinarbeitete „to make the Italians more like the British“ (S. 98); oder bei A.J.P. Taylor (1906-1990), der das „Dritte Reich“ letztlich aus der Geographie und dem Fehlen klarer geographischer Grenzen erklärte. Genau diese Ambivalenz hat Evans treffend im Titel seines Buches zusammengefasst: „Cosmopolitan Islanders“ seien diese Historiker nicht nur aufgrund ihres Interesses an der Vergangenheit anderer Länder gewesen, sondern auch weil sie den Kontinent oder Europa zumeist als etwas Anderes, von Großbritannien Getrenntes wahrgenommen hätten – was sich bis heute in den Strukturen des britischen Wissenschaftssystems abbildet, in denen Britische und Europäische Geschichte nebeneinander existieren.

Evans’ neues Buch ist nicht nur gut geschrieben, sondern wartet auch mit vielen faszinierenden Einsichten auf. Das Werk ist ein großes Kompliment an die britische Europahistoriographie; an ganze Generationen und ihre Leistungen, ohne dabei die institutionellen Rahmenbedingungen und die öffentlichen Reaktionen zu vernachlässigen. Sicherlich, man vermisst bei der Lektüre einige Namen (etwa Alan Milward, oder auch die vielen, die außerhalb der Wissenschaft ihre Karriere machten) und einen gewissen Bias auf Oxbridge (und auf Evans’ engsten Dunstkreis) kann und will das Buch nicht verschweigen. Just dies ist aber auch eine Stärke des Buches; einerseits ist es so ein sehr persönliches Werk eines der renommiertesten Historiker auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Dass Evans andererseits seine Kolleginnen und Kollegen ausführlich zu Wort kommen lässt, zeugt von einer Bescheidenheit, die dem Genre der Antrittsvorlesung (und auch dem Autor) nicht immer zueigen sind. Mehr Aufmerksamkeit hätte wahrscheinlich der Faktor Amerika verdient – denn es ist bemerkenswert, dass viele britische Europahistoriker auf der anderen Seite des Atlantiks zu vollem Ruhm gelangten. Dies blendet Evans aus. Leider bleibt auch blass, was „Europa“ für die verschiedenen Generationen britischer Historiker eigentlich meinte – von denen viele nicht nur Experten einzelner europäischer Gesellschaften waren und sind, sondern auch äußerst einflussreiche Gesamtdarstellungen zur europäischen Geschichte verfasst haben. Übrigens muss sich Evans diese Frage zur Zeit stellen, da er nun, nach Abschluss seiner dreibändigen Darstellung zum „Dritten Reich“, an einer Geschichte Europas im 19. Jahrhundert schreibt. Trotz dieser kleineren Einwände: Die Agenda ist gesetzt, Historiographiegeschichte gerade im britischen Fall nicht nur auf die Geschichtsschreibung zum eigenen Land zu reduzieren und international nach Gründen für unterschiedliche Grade von Parochialität zu fragen. Mehr kann man von einem solchen Werk nicht erwarten.

Zugleich hält Evans die europahistorische Tradition in Großbritannien heute für gefährdet und führt dafür eine Hauptursache ins Feld. Während frühere Historikergenerationen über Fremdsprachenkenntnisse als Schlüssel zur europäischen Geschichte verfügten, ist dies immer weniger der Fall. Veränderungen im Schul- und Universitätssystem tragen dafür wesentliche Verantwortung; hier bestehe dringender Reformbedarf. Wer das britische Universitätssystem kennt, den wird Evans’ Diagnose kaum überraschen. Dass sie in eine Eloge auf die bisherigen Leistungen der Zunft verpackt ist, stellt aber einen eleganten Kunstgriff dar – auf entsprechende bildungspolitische Konsequenzen kann man freilich nur hoffen. Ansonsten könnte es sein, dass R. Evans & R. Evans die letzten Europahistoriker auf den beiden Regius-Professuren sind.

Für die deutsche Geschichtswissenschaft stellt sich im Lichte dieses Buches die Frage, welche Konsequenzen die neuen Debatten über transnationale und globale Geschichte, Exzellenzinitiativen und der Umbau zu BA- und MA-Studiengängen zeitigen werden. Vom Zustand „cosmopolitan continentals“ sind wir auf jeden Fall noch weit entfernt.

Redaktion
Veröffentlicht am
16.10.2009
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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