Dass Imperien üblicherweise über militärische Stärke verfügen und nicht vor dem Einsatz dieser zurückschrecken, ist nicht neu. Lauren Benton ergänzt diesen Befund allerdings um die Erkenntnis, dass gerade auch die von den Imperien als „Zeiten des Friedens“ ausgewiesenen Episoden von Gewalt durchzogen waren. Sie platziert „imperiale Kleinkriege“ im Zentrum einer neuen Interpretation der globalen Ordnungsgeschichte. Dieser Ansatz ermöglicht eine Neubewertung der Dynamiken imperialer Gewalt und ihrer langfristigen Auswirkungen. Benton nimmt Kriege in den Blick, die nicht als solche bezeichnet wurden, weil sie offiziell im Frieden stattfanden, bestimmte Intensitätsschwellen nicht überschritten oder gegen Kontrahenten geführt wurden, denen die Fähigkeit zum Führen eines regulären Krieges abgesprochen wurde. In diesem innovativen konzeptionellen Rahmen zeichnet sie – angelehnt an den Schriftsteller Nick Harkaway – ein Bild des „hyper-violent peace“ (S. 151), in welchem limitierte Kriege eine zentrale Rolle für die globale Ordnung spielen. Ihre Untersuchung erstreckt sich diachron vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart und erlaubt es dabei, langfristige Muster und Entwicklungen in der Organisation und Rechtfertigung imperialer Gewalt zu identifizieren. Dabei rekurriert Benton vorrangig auf Vorgänge in Zentral- und Südamerika sowie in der Pazifikregion, die bisher häufig unbeachtet blieben (S. 9).
Einleitend stellt Benton ihren methodischen Ansatz dar. Dabei wendet sie sich von bekannten Erzählungen vom Aufeinandertreffen von Imperien, von großen Schlachten und der Analyse militärischer Notwendigkeiten aus europäischer Perspektive ab und orientiert sich stattdessen an „other varieties of warfare and to the framework that sustained small, chronic, and repeating violence“ (S. 4).
Welche anderen Dimensionen von Gewalt gemeint sind, eröffnet sich im anschließenden zweiten Kapitel „Conquest by raid and massacre“ (S. 27). Am Beispiel der spanischen Eroberer in Süd- und Mittelamerika zeigt sie überzeugend, dass die Eroberungen keineswegs im Anschluss an eine offizielle Kriegserklärung und auf einem Wege stattfanden, der mit den bekannten Kriegen in Europa gleichzusetzen wäre. Vielmehr beweist sie, dass sich die imperiale Gewalt – besonders in den geografischen Peripherien der Imperien – durch ein diffiziles Zusammenspiel aus Überfällen, Scharmützeln, Massakern, Vergeltung, Verträgen und Vertragsbrüchen auszeichnet.
Die Legitimation solcher limitierter Gewaltausbrüche innerhalb der Imperien erfolgte durch rechtstheoretische Argumente, die ebenfalls in Abgrenzung zu bekannten klassischen Figuren von Krieg und Frieden im Rechtssystem stattfanden. So lieferten die requerimiento den spanischen Eroberern eine einmalige Legitimation, Gewalt anzuwenden. Der Text wurde bei Betreten fremden Gebiets in spanischer Sprache verlesen und forderte die Bevölkerung auf, sich der Krone zu unterwerfen. Jede Handlung, die auf etwas anderes hindeutete, wurde von den Spaniern als Verstoß gegen das requerimiento gesehen und unverzüglich mit Gewalt, die nun gerechtfertigt gewesen sein sollte, beantwortet.
Im folgenden Kapitel zeigt Benton, dass neben imperialen auch persönliche Interessen der Anwendung begrenzter Gewalt zugrunde lagen. Beutemachen zur persönlichen Bereicherung und das Festhalten von Sklaven waren keine (erwünschten) Nebeneffekte von Strafexpeditionen und Kampfhandlungen an den Rändern der Imperien; allzu oft entschieden Kapitäne, Ortsvorsteher und lokale Herrscher, Gewalt vordergründig aus diesen Motiven anzuwenden, die nicht in ihrer Brutalität, aber wohl in ihrer relativ kurzzeitig andauernden Anwendung haarscharf hinter der eines Krieges zurückblieb. Mehr oder weniger private Gewalt (S. 188) war ebenso wie die zuvor beschriebene Gewalt in offiziellem Auftrag legitimierungsbedürftig. Die „measures short of war“ (S. 160) waren zwar rechtlich erklärungsbedürftig, fallen aber nach einhelliger Meinung nicht unter die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts voranschreitende Etablierung des Gewaltverbotes. Auch hier öffnet Benton den Blick für das Recht, das in Zeiten des angeblichen Friedens häufig bis über die Grenzen des Verständlichen hinaus interpretiert wurde und mit dessen Hilfe die Akteure ihre begrenzte Gewaltanwendung im Namen des Friedens zu rechtfertigen versuchten.
Die Kapitel vier und fünf widmen sich der These, dass die limitierten Kriege zur Stabilisierung der Imperien unerlässlich waren. Die Imperien hatten sich gar auf diese Form der Gewaltanwendung auf der Grenze zwischen Krieg und Frieden spezialisiert. Eine herausragende Stellung attestiert Benton den Kapitänen britischer Schiffe, die auf ihren Patrouillen in den Pazifikregionen des Empires Teil der begrenzten Kriege waren. Diese Kapitäne eignen sich dabei besonders gut als Protagonisten der imperialen Kleinkriege, da sie relativ autonom an den Rändern und im Namen des Empire handelten, gleichzeitig aber ihre Gewaltanwendung in der streng hierarchischen Marine bis hin zur Krone legitimieren mussten. Ihr Auftrag war keinesfalls den Ausbruch eines Krieges zu provozieren; vielmehr sollten sie den Frieden sichern, für Recht und Ordnung sorgen und britische Staatsbürger schützen (S. 148). Doch zur Erreichung dieser vage formulierten Ziele wendeten sie umfassende Gewaltmaßnahmen an, die nicht selten sogar in größere Kriege mündeten. So begründete der britische Kapitän Charles Elliot 1839 die Bombardierung eines chinesischen Hafens in Kanton im Vorfeld des Ersten Opiumkrieges damit, dass das Eingreifen chinesischer Autoritäten in den Opiumhandel – beispielsweise durch das Aufbringen britischer Handelsschiffe – eine immanente Gefahr für britische Staatsbürger und ihr Eigentum darstelle. Andere Einsätze der Navy, nicht weniger gewaltvoll, gerieten schnell in Vergessenheit, wenn sie keine lang anhaltenden Auseinandersetzungen zur Folge hatten, operierten aber nach demselben Muster. Den transatlantischen Sklavenhandel und die Piraterie klammert Benton aus, verweist aber unter anderem auf ihre eigenen Arbeiten dazu.1
Lauren Bentons Studie ermöglicht ein präziseres Verständnis der Komplexität imperialer Gewaltausübung. Methodisch innovativ erarbeitet sie eine nuancierte Konzeptualisierung von Gewalt, die verschiedene Formen und Intensitäten von Gewalt, insbesondere im Grenzbereich zwischen Krieg und Frieden differenziert. Damit entsteht gewissermaßen ein Kontinuum der Gewaltausübung als imperiale Technik, das sichtbar macht, was Imperien selbst versuchen unsichtbar zu machen: dass sie gerade unterhalb der Schwelle zum Krieg beständig organisierte Gewalt ausüben.
Ihr vorliegendes Buch verortet Benton vor allem im Rahmen ihrer zahlreichen vorangegangenen Arbeiten2 mit globalgeschichtlichem Ansatz, aber auch als Beitrag im politischen, nicht nur dem wissenschaftlichen Diskurs. Anschließend an ihre eigenen Erfahrungen – gesammelt in der US-amerikanischen Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg – stehen am Ende eine Erkenntnis und zugleich ein Appell: „[...] history tells us to say no to war, at any scale“ (S. 198).
Anmerkungen:
1 Vgl. Lauren Benton, A Search for Sovereignty. Law and Geography in European Empires, 1400–1900, New York 2010.
2 Vgl. beispielsweise Lauren Benton / Lisa Ford, Rage for Order. The British Empire and the Origins of International Law, 1800–1850, Cambridge 2016.