H.V. Bowen: The Business of Empire

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Title
The Business of Empire. The East India Company and Imperial Britain, 1756-1833


Author(s)
Bowen, H. V.
Published
Extent
304 S.
Price
£50.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Gerhard Altmann, Langenargen

Transnational operierende Unternehmen stehen im Brennpunkt hitziger Debatten. Sie gehören zu den größten und einflussreichsten Konzernen überhaupt, und ihren ökonomischen Aktivitäten entspringt meist erheblicher politischer Mehrwert. Mittlerweile haben die so genannten Multis auf die vielfältige Kritik an ihrem Geschäftsgebaren reagiert und sich das Postulat der Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen geschrieben: ökologisch, indem sie umweltschädigendes Verhalten zumindest durch Maßnahmen der Regeneration an anderer Stelle kompensieren; sozial, indem sie gerade die Bevölkerung der südlichen Hemisphäre stärker an den beispielsweise aus der Rohstoffgewinnung erwirtschafteten Profiten teilhaben lassen; politisch, indem sie sich nicht mit zwielichtigen Regimen gemein machen oder sich doch immerhin anderweitig für das Gedeihen der Zivilgesellschaft einsetzen. Diese Problemfelder sind freilich nicht erst in den vergangenen Jahrzehnten zutage getreten. Bereits die in der Frühen Neuzeit gegründeten Handelskompanien haben facettenreiche Kontroversen ausgelöst. Eine der Bedeutendsten war die zu Beginn des 17. Jahrhunderts ins Leben gerufene East India Company. Als „powerful imperial agency“ (S. 1) hat sie, wie H. V. Bowen anschaulich zeigt, stets eine Zwitterrolle gespielt: eigentlich zur Mehrung von Handel und Wandel gegründet, trieb sie, quasi nebenbei, die imperiale Durchdringung des indischen Subkontinents voran. Bowens akribisch arrangierte Studie richtet ihr Hauptaugenmerk indes auf die inwendige Dimension des britischen Imperialismus. Innovativen Tendenzen der neueren Forschung folgend, untersucht er die metropolitane Seite des überseeischen Engagements Großbritanniens und distanziert sich damit von den Adepten der Namier-Schule, die die East India Company fest in den Haupt- und Staatsaktionen der political nation verankerten. Demgegenüber analysiert Bowen das bürokratische Räderwerk der East India Company im letzten Dreivierteljahrhundert vor dem Verlust ihrer Handelsprivilegien östlich des Kaps der Guten Hoffnung 1833.

In ihrer Hochzeit fungierte die East India Company im Mutterland als Portokasse der Regierung. So sprang sie 1796 dem Schatzkanzler bei, als diesem die Kosten des Kriegs gegen Frankreich davon galoppierten. Die Company hatte demnach einen, so Bowen, nicht zu unterschätzenden Anteil an der Expansion des fiskalisch-militärischen Komplexes in Großbritannien. Mit dem Rückzug niederländischer Finanziers aus der Company in den 80er-Jahren des 18. Jahrhunderts ging die beschleunigte Integration des britischen Binnenmarktes einher. Dennoch mühte sich die Regierung in London meist vergebens, den Court of Directors als oberstes Leitungs- und Kontrollgremium der Company stärker an die Kandare zu nehmen. Zwar machte der Kampf gegen die in den Dekaden der Whigokratie gewucherte Old Corruption im letzten Viertel des 18. Jahrhundert auch vor den Stufen des East India House, dem Sitz der Company, nicht Halt. Doch musste sich die Politik letztlich stets damit begnügen, über indirekte Kanäle in die Reihen der Direktoren einzubrechen. Dies fiel ihr indes ebenso schwer wie Männern, die – dem politökonomischen Credo der Zeit konform – auf der Grundlage ihrer Leistungen in der Company zu reüssieren hofften. Die Direktoren waren peinlich darauf bedacht, den Kreis der Insider/innen überschaubar zu halten.

Die Dialektik der administrativen Vernunft sorgte freilich dafür, dass es den Direktoren in ihrem Verhältnis zu den men on the spot in Indien nicht besser erging. Bei Kommunikationsspannen von 18 Monaten, die ein postalisch abgewickelter Vorgang von London zum Subkontinent und wieder zurück mitunter dauerte, nimmt es nicht Wunder, dass dem „paper empire“ (S. 180) innerhalb des East India House oftmals die Hände gebunden waren, wenn Missstände in Indien nach Abhilfe verlangten. Die Ereignisse auf dem Subkontinent ließen sich jedenfalls nicht kurzerhand per ordre de Mufti dirigieren. Das Dilemma der „asymmetrischen Information“ (S. 151) entschärfte sich zwar gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als die Company zusehends auf die Expertise von Botanikern/innen, Linguisten/innen und Geografen/innen zurückgriff. Allerdings vermochten diese Aktivitäten – die der Company nicht zuletzt dabei zupass kamen, vom Parlament eine Verlängerung ihrer zeitlich befristeten Monopolcharta zu erwirken – das eklatante Kommunikationsdefizit nicht grundlegend zu beheben. In ihren Bemühungen, das heimische Publikum für ihre prekäre „twin role as trader and sovereing“ (S. 83) zu gewinnen, engagierte die Company auch Geistesgrößen der damaligen Zeit: James Mill, Edward Strachey und Thomas Love Peacock trugen durch ihre Arbeit im Examiner’s Office der Company dazu bei, die Ausbildung der später vor Ort so wenig greifbaren Angestellten zu professionalisieren.

Bowen schätzt die Rückwirkungen der Company-Aktivitäten in Indien auf das Mutterland als erheblich größer ein, als dies von der älteren Forschung bislang eingeräumt wurde, auch wenn sie keineswegs in die politökonomischen Dimensionen des transatlantischen Handels vorstießen. Etwa 30.000 Menschen waren in London an der Wende zum 19. Jahrhundert direkt oder indirekt von der East India Company abhängig. Bis zu 25.000 Matrosen dienten zur selben Zeit dem maritimen Arm der Company. Ohne Umschweife formuliert Bowen als Fazit seiner anregenden Studie die Einschätzung, dass die Company vor allem einem Zweck diente: Wohlstand von Indien nach Großbritannien zu transferieren. Die ehemaligen Angestellten der Company begnügten sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst jedoch mit einem meist finanziell komfortablen Rentierdasein, ohne nennenswerte politische Ambitionen zu entwickeln. Als die Company schließlich ihre Privilegien verlor und nur mehr mühsam dem immer raueren Wind der zusehends globalisierten Konkurrenz standzuhalten vermochte, hatten sich unterdessen die Gewichte deutlich vom „empire of business“ zum „business of empire“ (S. 298) verschoben.

Bowen gelingt es, das administrative Fundament eines weltumspannenden Reichs freizulegen, ohne die Leser/innen dabei im Dickicht bürokratischer Regularien den roten Faden verlieren zu lassen. Seine Studie wirft ein aufschlussreiches Schlaglicht auf das Beziehungsgeflecht und die Methoden der East India Company, die als privates Unternehmen hoheitliche Aufgaben wahrnahm und so dem Mutterland das Kronjuwel des Imperiums verschaffte. Bowen zeigt des Weiteren, wie eng umgrenzt der Aktionsradius der Metropole war: Die Verantwortlichen in London mussten sich lange Zeit damit begnügen, ex post Irrwege der Männer vor Ort zu korrigieren, bzw. konnten im besten Fall vermittels einer gewissenhaften Ausbildung etwaigen Exzessen vorzubauen versuchen. Bowens Arbeit ist damit ein substantieller Beitrag zur Erforschung des Empire at home und, darüber hinaus, zur transnationalen Geschichtsschreibung.

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08.09.2006
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