Themenportal „Europäische Geschichte“ (18.-21. Jh.): Newsletter 01/2017

Von
Siegrist, Hannes - Universität Leipzig

Themenportal Europäische Geschichte

Liebe Leserinnen und Leser von H-Soz-Kult,

nachfolgend finden Sie eine Aufstellung der zuletzt neu ins Themenportal Europäische Geschichte eingestellten Artikel, Essays, Materialen und Quellenauszüge.

Essay/Artikel:

Maximilian Buschmann: „That Most Terrible Weapon“. Hungerstreik und Zwangsernährung in der europäischen Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts.
Abstract:
Am 9. Juli 1909 verbreitete sich eine Nachricht aus dem berüchtigten Londoner Frauengefängnis Holloway weit über die britischen Inseln hinaus. Nach 91 Stunden im Hungerstreik wurde Marion Wallace Dunlop, die Anerkennung als politische Gefangene einforderte, vorzeitig entlassen. Ihre einmonatige Haftstrafe wegen unerlaubten Plakatierens endete bereits nach fünf Tagen. In Votes for Women, der Wochenzeitung der militantesten Organisation der britischen Frauenbewegung, Women’s Social and Political Union(WSPU), hieß es: „At last the Authorities had to give way. They saw that Miss Wallace Dunlop’s spirit was strong enough to carry out her determination even to a fatal conclusion […], and they knew that such an action on their part would bring down upon them the hatred and scorn of the people of the country.” Noch im gleichen Jahr traten zahlreiche weitere Suffragetten, die aufgrund ihres entschlossenen Engagements für das Frauenwahlrecht in Großbritannien regelmäßig mit Haftstrafen konfrontiert waren, in Hungerstreik.
Diese Praxis wurde in Westeuropa als eine neue Form des Protests wahrgenommen. Über weite Strecken des 19. Jahrhunderts waren Hungerstreiks nicht als politisches Druckmittel bekannt. Doch mit der Ausdifferenzierung und dem Wandel der Praktiken, Darstellungen und Wahrnehmungsweisen von Nahrungsverweigerungen traten Hungerstreiks als eigenständige Form hervor. Die Hungerstreikkampagne der Suffragetten war eine der bedeutendsten Episoden dieser Geschichte. Zahlreiche Narrative und Diskursstränge, die sich hier entfalteten, prägten die Anwendung und öffentliche Diskussion von Hungerstreiks noch auf Jahrzehnte maßgeblich. Denn nur wenige Jahre nach Marion Wallace Dunlops Hungerstreik hatte „that most terrible weapon” eine europaweite, ja sogar globale Verbreitung erfahren. Der folgende Beitrag skizziert diese Entwicklung und zeigt die prägenden Faktoren für die Etablierung und Verbreitung von Hungerstreiks im frühen 20. Jahrhundert auf. ….
In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, URL: <http://www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-4006>.

Anka Steffen: Schlesische Leinwand als Handelsgut im atlantischen Sklavenhandel der frühen Neuzeit. Das Beispiel der Hirschberger Kaufmanns-Societät
Abstract:
Der Atlantische Ozean war der bis ins frühe 19. Jahrhundert wichtigste Schauplatz der Europäischen Expansion. Die Konkurrenz der westeuropäischen Mächte in diesem Raum, ihr Handel untereinander und mit indigenen Händlern in Afrika, den Amerikas und auch in Südasien gab dem Prozess ein Gepräge von früher Globalisierung. Auch die historische Forschung zu diesem Bereich war sehr früh internationalisiert. Da aber jede Seemacht mit eigener Handels- und Kolonialpolitik ihre spezifischen Interessen verfolgte, spricht die Fachliteratur von einem spanischen, portugiesischen, britischen, französischen oder holländischen Atlantik, mit zunehmender Einbeziehung Afrikas und der afroamerikanischen Sklavenbevölkerungen der „Neuen Welt“ auch von einem „Black Atlantic“. Einerseits gilt es als selbstverständlich, dass diese atlantischen Welten sich bereits im 17. und 18. Jahrhundert im Westen bis nach Lima oder Acapulco, bis nach Minas Gerais, den Missouri oder an die Hudson Bay erstreckten, und in Afrika tief ins Niger- und ins Kongobecken ausdehnten. Auf der anderen Seite suggeriert die in Europa vor allem aus Perspektive der frühen Kolonialmächte geschriebene Geschichte, dass der atlantische Raum im Osten allenfalls bis zum Rhein und die unmittelbaren Küstenstreifen von Nord- und Ostsee reichte.
Ein im Jahr 1768 verfasster Brief Hirschberger Leinwandkaufleute zeigt jedoch, dass die Realität für die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts anders aussah. Die Stadt Hirschberg (heute Jelenia Góra) liegt tief im Binnenland (im heutigen Polen), rund 570 km von der Nordsee und 460 km von der Ostsee entfernt – und doch hatte der atlantische Seehandel über mehr als ein Jahrhundert eine existentielle Bedeutung für den Ort und sein weites Umland. Bei dem Brief handelt es sich um ein Antwortschreiben an den Schlesischen Provinzialminister Ernst Wilhelm von Schlabrendorff vom August 1768 auf dessen Anfrage, wie es um den Vertrieb schlesischer Leinen über französische Seehäfen bestellt sei. Der Grund für Schlabrendorffs Erkundigungen darf in den langwierigen Bemühungen vermutet werden, einen Handelsvertrag zwischen Preußen und Frankreich abzuschließen. In der Forschungsliteratur findet sich zwar kein Nachweis eines ratifizierten Vertrages zwischen den beiden Königreichen, doch der bereits im Februar 1747 an die schlesischen Kaufleute verschickte umfangreiche Fragenkatalog zu ihren Import- und Exportgeschäften mit ihren französischen Partnern, lassen auf die Anstrengungen schließen, die von preußischer Seite dahingehend unternommen worden waren. ….
In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, URL: <http://www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-4005>.

Material/Quellenauszug:

Women’s Social and Political Union, The Modern Inquisition. Die Zwangsernährung der britischen Suffragetten (1910). In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, URL: <http://www.europa.clio-online.de/quelle/id/artikel-4004>.

Brief der Hirschberger Kaufmannsältesten an den Minister Schlabrendorff (8. August 1768). In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, URL: <http://www.europa.clio-online.de/quelle/id/artikel-4003>.

Das Themenportal Europäische Geschichte veröffentlicht seit 2006 unter der Adresse <http://www.europa.clio-online.de> Materialien (Textdokumente, Statistiken, Bilder und Karten), Darstellungen und Debatten zur Geschichte Europas und der Europäer/innen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Nutzerinnen und Nutzer, die gerne mit eigenen Beiträgen mitwirken möchten, werden um Vorschläge gebeten. Schreiben Sie bitte an die Redaktion <clio.europa-redaktion@geschichte.hu-berlin.de>. Über die Auswahl und Annahme von Beiträgen entscheidet das Herausgeberkollegium aufgrund eines unkomplizierten Evaluationsverfahrens. Weitere Informationen zur Zielstellung und Konzeption des Projektes finden Sie auf den Webseiten des Projektes.

Im Namen der Herausgeberinnen und Herausgeber des Themenportals wünschen ich Ihnen erfolgreiche wie auch erholsame Semesterferien.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Hannes Siegrist (Leipzig), Sprecher des Herausgeberkollegiums

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