Ja, es gibt sie, die gemeinsame Grundlage – jedenfalls zwischen den rund 40-50 Beteiligten, die sich in dem von Birgit Schäbler (Erfurt) geleiteten Panel versammelt hatten. Globalhistoriker und Spezialisten außereuropäischer Geschichte zeigten sich sowohl im Vortragsteil als auch in der lebhaften Diskussion zum Gespräch über gemeinsame Aufgaben und Zielsetzungen bereit. Die Prozesse der Globalisierung, so das allgemeine Einvernehmen, mache eine Kooperation zwischen Globalgeschichte und Area Studies unbedingt erforderlich: nicht nur gelte es über die Sprach- und Regionalkompetenzen der AußereuropahistorikerInnen andere Kulturen in historische Erzählungen zu integrieren, sondern insbesondere wirkmächtigen Traditionen einer auf Europa zentrierten Geschichte entgegenzuwirken. Die gemeinsame Programmatik war also klar. Was aber war dann das grundlegende Problem, das jene Gruppe von Wissenschaftlern in Leipzig zusammenführte?
Eine erste Antwort auf diese Frage gab Birgit Schäbler (Erfurt), die zunächst die Problematik aus der Perspektive der Außereuropäischen Geschichte an deutschen Hochschulen mit einer sehr geringen Zahl an Lehrstühlen sowie in einem grundsätzlichen Sinne darlegte. Mit dem Beispiel der area history (in ihrem Falle als Teil der Middle East Area Studies in den USA) zeigte sie ein „worst case scenario“ dessen auf, was der area history geschehen kann: Da Area Studies in Krisensituationen, wie dem 11. September 2001, in besonderem Maße unter den Verdacht des Staatsverrats zugunsten der von ihnen untersuchten Regionen gerieten, sich andererseits in der Tat unangemessenen Generalisierungen und hegemonialen Deutungsentwürfen widersetzten, seien sie gegenwärtig besonders stark politisch motivierten Eingriffen und einer institutionellen Verdrängung durch eine wachsende Globalgeschichte ausgesetzt. Schäbler warnte auch davor, die jüngsten kulturhistorischen Innovationen in den Deutungen außereuropäischer Geschichte bereits jetzt durch eine globale Wirtschaftsgeschichte zu ersetzen. Gerade von den area histories – so das abschließende Fazit – seien gegenwärtig die effektivsten Beiträge der wohl wichtigsten Zielstellung und Herausforderung zu erwarten: Europa in einer neuen transnationalen Geschichte zu provinzialisieren.
Dass Globalgeschichte weit mehr sein kann, als die einseitig zentrierte Deutung der Welt, machte Sven Beckert (Harvard) mit dem Vortrag „Practicing Global History“ deutlich, der zunächst eine Ausdifferenzierung des globalgeschichtlichen Arbeitsfeldes in fünf prominente Richtungen bot. An dem von ihm favorisierten Ansatz, globale Verbindungen und vergleichende Analyse zu verbinden, diskutierte er überzeugend intellektuelle wie praktische Vor- und Nachteile. So sei es sowohl aus intellektuellen Überlegungen heraus wenig überzeugend, einen Staat ohne seine grenzüberschreitenden Bedingungen und Beziehungen zu begreifen, als auch aus alltäglichen Erfahrungen, wie er am Beispiel von Konsumgütern aufzeigte. Auf der anderen Seite sei allerdings zu bedenken, dass eine solche Globalgeschichte zahlreiche Regionen zu berücksichtigen, hohe Sprachbarrieren zu überwinden habe und nicht zuletzt erneut westliche Universitäten und Wissenschaftler privilegiere, indem solche Forschungen mit erheblichen Kosten verbunden seien. Globalgeschichte bleibe deshalb unbedingt auf das Wissen der Area Studies angewiesen, ohne die sie nur allzu leicht der Gefahr einer westlichen Zentrierung und Marginalisierung anderer Regionen ausgeliefert sei. Als Alternative schlug Beckert eine transnationale Geschichte vor, problematisierte aber auch, dass es sich hier nicht um einen von allen Ländern geteilten Wunsch handele.
Patrick Manning (Boston) lieferte die praktische Unterfütterung der beiden vorangegangenen Beiträge, in dem er nach einer kurzen Diskussion der Begriffe „World History“, „Global Studies, „Area Studies“ und „Global History“ einerseits auf die Umsetzung lokaler und globaler Fragestellungen in seinem Phd-Programm einging, andererseits am Beispiel des von ihm mitbegründeten World History Network zeigte, wie die weltweite Zusammenarbeit von Individuen und Institutionen in Forschung und Lehre organisiert werden kann. Das neue Internetportal solle dabei keineswegs nur eine weitere elektronische Plattform bilden, sondern Forschenden und Lehrenden zugleich ein Instrumentarium an die Hand geben, um Wissensbestände zu einer kritischen Interpretation globaler Vergangenheit zusammenzuführen.
Unter dem Titel „’The World in One Country’: South Africa – Special Case or Prototype of Modern Racism?” legte Christoph Marx (Essen) am Beispiel des südafrikanischen Rassismus nahe, dass historische Phänomene in letzter Instanz durch ihren lokalen Kontext und die vergleichende Analyse zu erklären seien. In einem ersten Schritt macht er deutlich, welche Aspekte des südafrikanischen Rassismus mit jeweils unterschiedlichen Konzeptionen des Lokalen und Globalen sichtbar würden bzw. aus dem Blickfeld gerieten. An der gewählten Fallstudie zeigt er auf, dass die Einführung der Apartheid in den 30er Jahren primär durch die politische Kultur der Siedler – d.h. auf der Deutungs- und Vorstellungsebene – und über die Analyseeinheit der Farm als Hauptlaboratorium rassischer Praktik und Unterdrückung zu erklären sei: Die Apartheid sei nicht durch ein ‚zu wenig’ an Integration, sondern in jenem Moment eingeführt worden, in dem weiße Siedler durch eine bereits laufende Integration vor dem Hintergrund großer Wirtschaftskrisen ihre Privilegien nicht mehr anders zu sichern sahen. Rassismus, so erweiterte Marx den lokalen Befund auf einer theoretischen Ebene, scheine also immer dann artikuliert und in das Gerüst einer Ideologie gebracht zu werden, wenn sich die soziale und ökonomische Integration bereits vollziehe bzw. von Menschen derart wahrgenommen werde, und sei in diesem Sinne als defensive Ideologie in Abwehr gegen die Gefährdung eigener Privilegien zu verstehen. Solange jene Privilegien hingegen als selbstverständlich wahrgenommen würden, werde man keinen Rassismus in Form einer Ideologie finden. Es ist also das Lokale, das hier theoriebildend wirkt, nicht das Globale.
Einen ambitionierten Versuch, das Konkurrenzverhältnis zwischen Globalgeschichte und Area Studies erkenntnistheoretisch aufzulösen, lieferte Angelika Epple (Berlin). In ihrem Vortrag „Koelner chocolate goes global“ schlug sie vor, die hermeneutische Frage nach ‚Teil’ und ‚Ganzem’ derart (neu) zu beantworten, dass sie nicht bereits eine Unter- oder Überordnung einer beider Disziplinen impliziere. Vielmehr seien beide Arbeitsfelder als gleichberechtigte ‚Teile’ historischer Forschung zu konzipieren, die erst zusammen ein ‚Ganzes’ ergäben. Am Beispiel der Geschichte der Schokoladenfabrik Gebrüder Stollwerck führte sie schließlich vor, wie eine „Mikrogeschichte der Globalisierung“ sowohl wachsende Homogenisierungstendenzen als auch die Ausbildung feiner lokaler Differenzen kultureller Deutungen in den Blick bekommen könne.
Eingeführt durch den systematisierenden Kommentar von Barbara Potthast (Köln), die die angesprochene Themenvielfalt auf drei Problemherde – intellektuell-theoretische Fragen, (finanzielle) Praktikabilität und politische Implikationen einer revitalisierten Globalgeschichte – brachte, machte die anschließende lebhafte Diskussion insgesamt deutlich, dass eine Kooperation durchaus gewünscht ist, um Europa im Sinne Chakrabartys zu provinzialisieren. Dennoch ließen sich Ängste und gegenseitiges Misstrauen nicht völlig aus der Welt und Diskussion räumen. Wenig sinnvoll schien es hierbei zu sein, den Ängsten durch den Vorschlag zu begegnen, beide Arbeitsfelder schlicht unter dem gemeinsamen Label ‚Geschichte’ zusammenzufassen. Anschlussfähiger dürfte hingegen der von Angelika Epple unternommene Versuch sein, eine Zusammenarbeit durch eine erkenntnistheoretische Gleichberechtigung zu fundieren. Von hier aus dürften dann Wege zu finden sein, die weg von einer Dichotomisierung in global/theoretisch versus lokal/empirisch führen und sich auch institutionell auf eine gemeinsame Koalition gegen die Nationalisierung von Geschichte konzentrieren. Beachten sollten beide Arbeitsfelder hierbei, dass die Menschen – ob „normale“ Bevölkerung, Kolonisierte oder Frauen – nicht aus dem Blickfeld der Forschung verschwinden. Dadurch könnte am ehesten gesichert sein, einem Rückfall in hegemoniale Deutungen der Welt entgegenzuwirken.