Zum dritten Vernetzungstreffen themenverwandter DFG-Graduiertenkollegs trafen sich vom 7. bis 9. Mai in Rostock Professoren und Graduierte der vier veranstaltenden Graduiertenkollegs. Unter dem Rahmenthema „Kulturkontakt“ sollten Potentiale und Grenzen des Begriffs diskutiert werden. Neben dem fachlichen Dialog stand das Treffen auch unter dem Motto der informellen Vernetzung und des gegenseitigen Erfahrungsaustauschs. Das bewährte Format der letzten Tagung in Gießen kam auch in Rostock erneut zur Anwendung, so dass die Graduierten das Programm an den ersten beiden Tagen allein bestritten. In verschiedenen Diskussionen wurden so neben den Vorträgen, die den Leitbegriff des Treffens mit den jeweiligen Projekten verknüpften, auch die Chancen und Herausforderungen des Promovierens im Kolleg debattiert.
Im ersten Panel „Was bleibt übrig? Spuren des Kulturkontakts“ sprach HEHN-CHU AHN (Gießen) zum Einfluss illustrierter Moralhandbücher des Neokonfuzianismus im Choson Reich auf der koreanischen Halbinsel. Sie zeigte den starken Einfluss chinesischer Vorbilder und illustrierte damit, wie sich der mediale Kulturtransfer in den koreanischen Moralhandbüchern niederschlug. Dabei ging sie besonders auf die teils gegenläufigen Wechselwirkungen zwischen Text und Bild ein. JULIAN BUCHMANN (Rostock) demonstrierte Phänomene der Akkulturation anhand des auffallenden Synkretismus in bildlichen Darstellungen antiker griechischer und alt-syrischer Gottheiten in der antiken syrischen Handelsstadt Dura Europos.
Im anschließenden Panel „Globalisierung und Kulturkontakt“ untersuchte FRIEDERIKE KUNTZ (Bielefeld), ob sich der Begriff der Weltkultur des Neoinstitutionalismus für die Untersuchung der Etablierung und Diffusion multilateraler Konferenzdiplomatie fruchtbar machen lässt.
Im Panel „Multikulturelle Interaktionen: Chancen und Grenzen?“ fragte AMREI FUCHS (Bielefeld) nach einer interaktionistischen lingua franca der Weltgesellschaft, die das Funktionieren globaler Interaktionen ermöglicht. CORINNA KAISER (Gießen) beschäftigte sich mit der Adaption des jüdischen Pessach-Seder-Rituals in anderen religiösen Gruppen der USA.
Unter dem Titel „Deutschland und die Welt“ setzte sich das vierte Panel mit der geschichtlichen Bedeutung Deutschlands für den globalen Kulturkontakt auseinander. NATHANAEL KUCK (Leipzig) widmete sich einem wenig beachteten Thema: der Rolle Berlins in der Weimarer Republik als eines der europäischen Zentren des Antikolonialismus (neben Paris und London). Durch den Aufenthalt Intellektueller aus den europäischen Kolonien wurde Berlin zu einer wichtigen Nahtstelle zwischen Europa und dem außereuropäischen Raum. CHRISTOPH HILGERT (Gießen) rekonstruierte die Debatte um die ,Amerikanisierung‘ der westdeutschen Jugend im Hörfunk der 1950er-Jahre. Er hob die doppelte Funktion des Mediums Radio für den deutsch-amerikanischen Kulturaustausch hervor, als zugleich vermittelnde und kritische Instanz.
Das Zusammenspiel von Medien und Kulturkontakt stand auch im Zentrum des ersten Panels am dritten Tag des Treffens. Aus der transnational orientierten Perspektive des Gießener Graduiertenkollegs erörterten FRANK BÖSCH (Gießen) und HORST CARL (Gießen) den Zusammenhang von „Medienereignissen und Kulturkontakten“. Während Bösch allgemein dieses Wechselspiel untersuchte, wobei er besonders die Unterscheidung zwischen medialisierten und akteursbezogenen Kulturkontakten unterstrich, betrachte Carl vor allem. den medialen Status von Kulturkontakten im Europa der frühen Neuzeit.
Im zweiten Panel „Bruchzonen und Kulturkontakt?“ näherte sich zunächst SONJA GANSEFORTH (Leipzig) der konfliktgeladenen Aushandlung internationaler Fischerei- und Territorialrechte im maritimen Raum, einer im Gegensatz zum Festland lange nicht eindeutig definierten Kontaktzone. Am Beispiel des japanischen Fischfangs unterstrich sie, wie neben nationalen ökonomischen Interessen auch kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle in diesen globalen Disputen spielen. Im Anschluss daran plädierten ULF ENGEL (Leipzig) und MATTHIAS MIDDELL (Leipzig) in ihrer Präsentation dafür, den Überbegriff Kulturkontakt durch spezifischere Termini zu ersetzen, die den jeweiligen geographischen, machtpolitischen und sozioökonomischen Gegebenheiten Rechnung tragen.
Demgegenüber verteidigten PETER BURSCHEL (Rostock), HANS-UWE LAMMEL (Rostock) und GESA MACKENTHUN (Rostock) den Begriff des Kulturkontakts mit dem Hinweis auf sein transdisziplinäres Potential. Im Panel „Kulturkontakt und Hybridität“ wiesen sie vor allem darauf hin, dass gerade die begriffliche Offenheit eine produktive Pluralität möglicher Themen- und Fragestellungen ermöglicht und zum fächerübergreifenden Dialog herausfordert. INSOON PARK (Rostock) beleuchte abschließend eine konkrete Form des linguistischen Kulturkontaktes: Sprachwandelphänomene in der Presse der koreanischen Minorität in Großbritannien.
Aus den auf dem Treffen gehaltenen Vorträgen und geführten Debatten kristallisierten sich damit folgende Hauptstärken und -schwächen des Begriff des Kulturkontakts heraus: Einerseits lassen sich unter ihm eine Vielzahl unterschiedlicher Fragestellungen, Phänomene, verschiedene theoretische und methodologische Ansätze subsumieren. Andererseits birgt auch gerade diese Unschärfe des Begriffs und seine inflationäre Anwendung die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit im Umgang mit dem Wort. Um „Kulturkontakt“ weiter heuristisch fruchtbar zu machen, so das Fazit, ist es neben der Verwendung alternativer, spezifischerer Termini auch nötig, in jedem Einzelfall genau zu definieren, welches Verständnis von ,Kultur‘ zur Anwendung kommt.
Konferenzübersicht:
Was bleibt übrig? Spuren des Kulturkontakts.
Hehn-Chu Ahn (Gießen): „Der übermächtige Nachbar China? Der Einfluss von illustrierten Moralhandbüchern des Neokonfuzianismus aus China im Choson Reich.“
Julian Buchmann (Rostock): „Zu Gast bei Zeus, Hadad und Co. Schnittpunkte in Darstellungen antiker griechischer und alt-syrischer Gottheiten und ihre Kultbauten.“
Globalisierung und Kulturkontakt.
Friederike Kuntz (Bielefeld): „Diplomatische Verhandlungen und Weltpolitik.“
Multikulturelle Interaktionen: Chancen und Grenzen?
Amrei Fuchs (Bielefeld): „Weltgesellschaft und Interaktion – Gibt es eine interaktionistische lingua franca der Weltgesellschaft?“
Corinna Kaiser (Gießen): „Kulturelle, religiöse oder nationale Kontakte? Christliche und buddhistische Adaptionen des jüdischen Pessach-Seders in den USA.“
Deutschland und die Welt.
Nathanael Kuck (Leipzig): „Antikolonialismus im Berlin der Weimarer Republik.“
Christoph Hilgert (Gießen)
„Medienvermittelter Kulturkontakt und Kulturkontakt in den Medien: Zur Debatte um die ,Amerikanisierung‘ der westdeutschen Jugend im Hörfunk der 1950er Jahre.“
Medienereignisse und Kulturkontakt?
mit Frank Bösch und Horst Carl
Bruchzonen und Kulturkontakt?
mit Ulf Engel und Matthias Middell und Sonja Ganseforth
Sonja Ganseforth (Leipzig): „Bruchzonen in der Aushandlung maritimer Territorialität und Eigentumsrechte.“
Kulturkontakt und Hybridität?
mit Peter Burschel, Hans-Uwe Lammel, Gesa Mackenthun und Insoon Park
Insoon Park (Rostock): „The press of ethnic minorities in Britain as a cultural hybrid form and the result from cultural contact – Korean Diaspora in Britain.“
Abschlussdiskussion „Kulturkontakt? Potential und Grenzen eines Begriffs?“