Perspektiven für die internationale Geschichtswissenschaft. Die Deutschen Historischen Institute im Ausland

Perspektiven für die internationale Geschichtswissenschaft. Die Deutschen Historischen Institute im Ausland

Organizer(s)
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD), Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA)
Location
Berlin
Country
Germany
From - Until
12.09.2011 -
Conf. Website
By
Norbert Fabian, Duisburg

Welchen Beitrag haben die Deutschen Historischen Institute im Ausland für die Internationalisierung der Geschichtswissenschaften geleistet? Welche auch kulturpolitischen Aufgaben können sie in Zukunft übernehmen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer gemeinsam an der Berliner Humboldt-Universität durchgeführten Tagung des Deutschen Historikerverbandes und der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland. Direktoren und Vertretern der DHIs in London, Paris, Rom, Washington, Warschau und Moskau sowie des Istanbuler Orientinstituts informierten zudem über die Arbeit ihrer Institute und dort aktuell laufende Forschungsprojekte.

In einem Impulsreferat verwies Prof. Jürgen Kocka, FU Berlin darauf, dass die Geschichtswissenschaften im 19. Jahrhundert im Kontext der kulturellen und politischen Nationenbildung entstanden seien und sich enge Allianzen mit aufkommenden Nationalstaaten herausgebildet hätten. Dies wirke bis in die Gegenwart fort, so dass vor allem quantitativ eine nationalgeschichtlich ausgerichtete Historiographie weiterhin überwiege. Eine zugleich kritisch betriebene Nationalgeschichtsschreibung sei kein bloßer „Anachronismus“.

Fortschritte in den Geschichtswissenschaften hätten indessen jedoch zur Herausbildung einer stärker transnationalen und globalen Perspektive geführt. Dazu beigetragen hätten ein verstärkt komparatives Arbeiten und das Aufzeigen von transnationalen Verflechtungen, wobei sich beide neue Methoden ergänzten. Der vergleichende Blick von „Außen“ trage häufig zu einer besseren Erkenntnis und adäquateren historischen Bewertung auch von eher internem, nationalgeschichtlich zu erfassendem Geschehen bei.1

Nicht zuletzt im Zeichen einer Wende hin zur Globalgeschichte, eines ‚global turn’ und vermehrter ‚area studies’ forderte Kocka dann konkret eine verbesserte auch interdisziplinär angelegte Zusammenarbeit zwischen den Deutschen Auslandsinstituten und dem Historikerverband. Neben der Erschließung von Quellen und empirischen Forschungen vor Ort gehe es darum, als Beitrag zur Internationalisierung der Geschichtswissenschaften vermehrt deutsche Forschungen in den Gastländern und Forschungen aus den Gastländern in Deutschland bekannt zu machen.

Die von Prof. Simone Lässig moderierte Vorstellung der Arbeit der DHIs wie auch die schriftlich vorliegenden Jahresberichte 2 wiesen zumindest in die von Prof. Kocka aufgezeigte Richtung. Allerdings standen transnationale Bezüge und international-globale Verflechtungen bei den präsentierten Forschungsprojekten der DHIs nicht durchgängig im Vordergrund und einige angeführte Themen waren zudem eher speziell. Meist positiv, dabei aber etwas affirmativ fielen auch Einschätzungen der Tätigkeit und des Wirkens von DHIs durch Historiker aus Gastländern aus. Teils von persönlichen Erfahrungen ausgehend plädierten Nachwuchshistorikerinnen und -historiker ihrerseits für mehr Kooperation mit deutschen Universitäten. Insbesondere die „Türöffnerfunktion“ der Institute, deren Serviceleistungen und deren Hilfestellung bei Forschungsprojekten stellte Prof. Michael Matheus vom DHI in Rom heraus. Als weiterführend fiel u.a. die von Dr. Richard Wittmann vorgestellte Konzeption des Orient-Instituts in Istanbul auf, das bereits stärker auf interdisziplinäre Vernetzung und Austausch setzt.

In der Abschlussdiskussion provozierte der Moderator Jürgen Kaube von der FAZ mit der Frage, inwieweit bilaterale DHIs überhaupt weiterhin benötigt würden und ob sich deren Auftrag nicht erledigt haben könnte. Dagegen verwies Prof. Jörg Barbarowski von der HU Berlin auf die DHIs als „Begegnungsorte“ und ihre bleibende „Brückenfunktion“ in der Wissenschaftskultur, auch durch angebotene Kolloquien. PD Dr. Ulrike Lindner, Bielefeld forderte allerdings eine stärkere zugleich multilaterale Vernetzung der DHIs untereinander, zumindest in Europa und im Blick auf die europäische Geschichte. Die Internationalisierungsbestrebungen der Geschichtswissenschaften waren für Dr. Hans-Gerhard Husung von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz sogar ein Argument dafür, neue Weltregionen durch weitere Institute zu erschließen. - Prof. Heinz Duchardt verwies als Vorsitzender des Stiftungsrates der Deutschen Geisteswissenschaftlichen Institute im Ausland darauf, dass es bereits Anfragen beim Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Einrichtung von europäischen Instituten etwa in China, Indien, Lateinamerika und Afrika gebe. Die Staatsekretärin im Ministerium, Cornelia Quennet-Thielen hatte in ihrem Grußwort zu Beginn den erheblichen Beitrag der Geschichtswissenschaften zu der auch kulturpolitischen Arbeit deutscher geistes- und sozialwissenschaftlicher Auslandsinstituten herausgestellt.

Eine Lehre aus der Tagung müsse sein, so Duchardt abschließend, den Einfluss der DHIs auf die deutsche Geschichtswissenschaft durch einen verbesserten wechselseitigen Austausch zu verstärken. Prof. Werner Plumpe betonte für den Deutschen Historikerverband die Notwendigkeit der „Dauerhaftigkeit“ der Institute als einer „Bedingung der Möglichkeit gelingenden Forschens“.

Programm
10:00 h Begrüßung
Prof. Dr. Heinz Duchhardt, Stiftung DGIA
Prof. Dr. Werner Plumpe, Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V.
Prof. Dr. Michael Matheus, DHI Rom

Grußwort: Sts. Cornelia Quennet-Thielen, BMBF

10:30 h Impulsreferat
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jürgen Kocka, FU Berlin

11:00 h Aufgabenstellung und Zielsetzung der Deutschen Historischen Institute: Prof. Dr. Heinz Duchhardt

11:30 h Die Bedeutung der DHIs als außeruniversitäre Forschungsinstitute aus Sicht der Historikerinnen und Historiker in Deutschland: Prof. Dr. Werner Plumpe

13:00 h- 15:00 h Panel I: Jahresthemen – Forschungsschwerpunkte: Die wissenschaftlichen Profile der DHIs

Internationale Stimmen:
Dr. Filippo Focardim Università degli Studi di Padova
Prof. Dr. Michail Bojcov, Lomonossow-Universität Moskau
Prof. Dr. Hélène Miard-Delacroix, Université Paris IV Sorbonne
Prof. Dr. Richard Bessel, York University
Prof. Dr. Jiři Pešek, Karls-Universität Prag

Direktoren der DHI's
PD Dr. Marcus Gräse, DHI Washington
Prof. Dr. Gudrun Gersmann, DHI Paris
Prof. Dr. Andreas Gestrich, DHI London
Prof. Dr. Nikolaus Katzer, DHI Moskau
Prof. Dr. Michael Matheus, DHI Rom
Prof. Dr. Eduard Mühle, DHI Warschau

Moderation: Prof. Dr. Simone Lässig, Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung

15:00 h - 15:30 h Panel II: Karrieresprungbrett oder Endstation? – Die Rolle der DHIs bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses

Dr. Martin Kohlrausch, Dilthey-Fellow der VolkswagenStiftung, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Mark Spoerer, Universität Regensburg
Dr. Martina Steber, DHI London

15:30 h-16:00 h Panel III: Türöffner und Schaufenster – Die Bedeutung der DHIs als Serviceeinrichtung

PD Dr. Marcus Gräser, DHI Washington
Dr. Lorenz Erren, DHI Moskau
Prof. Dr. Michael Matheus, DHI Rom
Dr. Matthias Uhl, DHI Moskau

Moderation: PD Dr. Ulrike Lindner, Universität Bielefeld

16:30 h Abschlussdiskussion: Nationale, bilaterale oder internationale Geschichtswissenschaft? Die DHIs und die Internationalisierung der historischen Wissenschaften

Prof. Dr. Andreas Beyer, DFK Paris
Prof. Dr. Raoul Motika, OI Istanbul
Dr. Hans-Gerhard Husung, Gemeinsame Wissenschaftskonferenz
PD Dr. Ulrike Lindner, Universität Bielefeld
Prof. Dr. Jörg Baberowski, Humboldt-Universität Berlin
Prof. Dr. Uwe Israel, TU Dresden

Moderation: Jürgen Kaube, Frankfurter Allgemeine Zeitung

18:00 h Zusammenfassung und Perspektiven
Prof. Dr. Heinz Duchhardt
Prof. Dr. Werner Plumpe

Anmerkungen:
1 Beachte u.a. Gunilla Budde, Sebastian Conrad, Oliver Janz (Hrsg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006.
2 Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, Jahresbericht 2009-2010, Bonn 2011.

Contact (announcement)

Lic. Norbert Fabian
Email: nobfabian@t-online.de


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Published on
07.10.2011
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German
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