Mit Schwert, Gold und Koran – Konkurrenz und Konflikt im muslimischen Afrika südlich der Sahara von der vorkolonialen Zeit bis zur Gegenwart

Mit Schwert, Gold und Koran – Konkurrenz und Konflikt im muslimischen Afrika südlich der Sahara von der vorkolonialen Zeit bis zur Gegenwart

Organizer(s)
Forschungsprojekts „Soziales Handeln an der frontier. Macht, Krieg und Religion im vorkolonialen Westafrika“, Universität Kassel
Location
Kassel
Country
Germany
From - Until
18.11.2011 - 19.11.2011
Conf. Website
By
Stephanie Zehnle, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Kassel

Dass der afrikanische Islam diesen Singular keineswegs verdient hat, stellte der Workshop „Mit Schwert, Gold und Koran – Konkurrenz und Konflikt im muslimischen Afrika südlich der Sahara von der vorkolonialen Zeit bis zur Gegenwart“ deutlich heraus. Innerhalb des Workshops wurden vom Islam beeinflusste kulturell-politische und wirtschaftliche Prozesse anhand historischer und aktueller Beispiele dargestellt und verglichen. Die Vortragsthemen reichten dabei vom heutigen Burkina Faso im Westen des Kontinents bis auf die Insel Sansibar vor der ostafrikanischen Küste. Der Workshop fand im Rahmen des Forschungsprojekts „Soziales Handeln an der frontier. Macht, Krieg und Religion im vorkolonialen Westafrika“ (Universität Kassel) statt. Das Projekt wird gefördert von der Gerda Henkel Stiftung.

Der Islam beeinflusste weite Regionen des Kontinents südlich der Sahara seit dem frühen europäischen Mittelalter. Diese waren und sind sozial, ökonomisch und religiös dicht vernetzt. Der Workshop erörterte komparativ, inwiefern sich islamische Einflüsse in dem politisch-ökonomisch-religiösen Beziehungskomplex südlich der Sahara geltend gemacht haben. Insbesondere Fragen zu religiös motivierten und oft auch gewaltsamen Reformbewegungen, zu Handelsnetzwerken, zur Sklaverei sowie zu Eliten- und Staatenbildung standen dabei im Vordergrund. Es ging darum, wie islamische Elemente mit anderen religiösen Vorstellungen und Praktiken kombiniert wurden und wie sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen islamischer Denkschulen annahmen und sie weiterentwickelten.

Die wissenschaftliche und mediale Darstellung des afrikanischen Islam hinterfragte der Projektleiter WINFRIED SPEITKAMP (Kassel) in einer Einführung. Das populäre Bild des Kontinents als Ort der Magie und Hexerei verlange nach anderen Perspektiven. Wenn islamische Einflüsse thematisiert würden, dominiere der Diskurs um die Relevanz des arabischen Sklavenhandels in Afrika. Speitkamp fragte nach den konkreten Funktionen, die der Islam in Afrika übernahm. Er riet dazu, vier Aspekte zu diskutieren: Mobilität, Staatlichkeit und Grenzräume, lokale Gemeinschaften und translokale Netzwerke. Diese Bereiche würden das Wesen einer „liquid religion“ ausmachen. Karawanenrouten ermöglichten Kommunikationsnetzwerke über weite Räume hinweg und somit auch die Verbreitung neuer Ideologien und die Organisation sozialer Bewegungen. Soziale Schranken sowie politische Grenzen seien durchlässig gewesen. Staatlichkeit sei nur eine Identitätsebene gewesen, die sich durchaus mit religiösen überlappen könne. Als „liquide“ Identität sei der Islam immer wieder neu ausgehandelt worden.

Wie eine vorkoloniale muslimische Elite, die Jula, in Burkina Faso zu einer ethnisch-politischen Organisation wurde, erläuterte und deutete KATJA WERTHMANN (Mainz). Diese Gruppe spricht eine eigene Sprache und ihr Name wurde synonym mit dem Wort „Händler“. Sie sind ein direktes Beispiel dafür, wie in vorkolonialer Zeit Händler mehr und mehr islamisch beeinflusst wurden. Werthmann analysierte die Entwicklung der Jula in der Stadt Bobo-Dioulasso, wo islamische und traditionelle religiöse Praktiken lange Zeit parallel existiert hätten. Im Rahmen der westafrikanischen Dschihadbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts wurde dann nahe bei Bobo-Dioulasso die Stadt Darsalamy auf der Basis islamischer Rechtsordnung errichtet, um Spannungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen auszuräumen. Nach Darsalamy seien die islamischen Gelehrten der Nachbarstadt gezogen. Durch die Implementierung der französischen Kolonialherrschaft ab 1916 sei die religiös-politische Elite zunehmend verdrängt worden und habe sich auf ihre Gelehrtenaufgaben konzentriert. Erst in der kolonialen Phase wurde der Islam zur Religion der Mehrheit in dieser Region. Als Gruppe aus vorkolonialen Kriegern und Gelehrten stünden die Jula angesichts der ethnisch geprägten Vergemeinschaftungsprozesse heute lokalpolitisch unter dem Druck, sich ebenfalls als Gemeinschaft mit gemeinsamen historischen Wurzeln zu identifizieren. Diese Entwicklungen und die neuen politischen Konkurrenzverhältnisse zeigten die Vielfalt muslimischen Lebens in Afrika.

Über die Marginalisierung der Herrscherdynastie des muslimischen Äthiopiens im 16. Jahrhundert referierte AMELIE CHEKROUN (Paris). Damals war Äthiopien in ein christliches und ein muslimisches Reich geteilt. Die Herrschersitze beider Reiche lagen jedoch unweit voneinander und konkurrierten um den Zugang zum Seehandel. Im 16. Jahrhundert sei das muslimische Reich – beherrscht von der Walasma’-Dynastie – dann in zweierlei Hinsicht unter Druck geraten: einerseits durch eine christliche Invasion, andererseits durch innere Konflikte zwischen der Herrscherfamilie und muslimischen Gelehrten. Nach und nach verdrängten die Gelehrten die Familie aus ihrer Position, ließen den Sultan jedoch als Marionette im Amt. Mit einem als Dschihad ausgerufenen Krieg konnten die vom christlichen Königreich besetzten Gebiete weitgehend zurückerobert werden. Chekroun stellte die christlich-muslimische Dichotomie Äthiopiens zu dieser Zeit in Frage und beschrieb interne und innerislamische Konflikte, die in den zeitgenössischen Quellen weniger stark behandelt würden.

Den Fall eines ganzen Reiches erläutere CHRISTIAN HOLST (Kassel) am Beispiel des Songhay-Reiches im 16. und 17. Jahrhundert. Die Machtzentren des Reiches bildeten die Städte – die östlichen waren eher von lokalen religiösen Glaubensinhalten und Praktiken geprägt, die westlichen standen unter starkem Einfluss der islamischen Gelehrtenschicht Ulama. Diese Spannungen kamen besonders bei Nachfolgestreitigkeiten um das Staatsoberhaupt zum Tragen. Holst beschrieb die Rolle der Herrscher als verkörperlichte Grenze zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Sie hatten die schwierige Aufgabe, beiden Bevölkerungsteilen gerecht zu werden, und hätten sehr verschiedene Strategien des Umgangs mit den islamischen Gelehrtenschichten gewählt. Einige konvertierten zum Islam und vollzogen die Pilgerreise nach Mekka, während andere die religiöse Konkurrenz durch Unterdrückung und Verfolgung zu eliminieren versuchten. Das Reich sei (auch) deshalb zerfallen, weil die Bewohner und Herrscher es nicht schafften, Islam und andere religiöse Formen zu vereinen.

In einem öffentlichen Abendvortrag bündelte ROMAN LOIMEIER (Göttingen) verschiedene Thesen zur Geschichte und Gegenwart von Muslimen in Afrika. Er begann die Ausführungen mit Westafrika, wo der Islam ein Bezugspunkt von Beheimatungstendenzen gewesen sei, während der ostafrikanische Islam eher als das „Fremde“ wahrgenommen worden sei. Den Routen der Verbreitung des Islam in Afrika maß er eine tragende Rolle bei. Weil diese Handelswege in der Sahelzone vorerst endeten bzw. in andere Handelsnetze übergingen, wurden die tropischen Waldgebiete südlich der Sahara erst in der jüngeren Geschichte islamisiert. In Ostafrika hingegen blieb der islamische Einfluss lange auf einen schmalen Küstenstreifen beschränkt. Auch wenn es nicht den einen afrikanischen Islam gebe, so habe der Islam doch immer wieder sehr unterschiedliche Gesellschaften verbunden. Mobilität sei daher ein ganz wesentliches Element islamischer Gemeinschaften und konnte durch den Transport neuer Ideen auch schnell zum sozialen Unruhefaktor werden. Gerade durch das tiefe historische Gedächtnis islamischer Lehrtradition gehe vom Islam sowohl Vielfalt als auch einigende Kraft aus. Die gewaltsamen Reformbewegungen in Westafrika während der vergangenen 200 Jahre erklärte Loimeier durch die Zunahme des transatlantischen und transsaharischen Sklavenhandels. Dieser „doppelte Ausbeutungsdruck“ habe die Fragmentierung politischer Strukturen unterstützt und sozio-ökonomische Missstände geschaffen. Mit der Kolonialisierung hätten sich die Muslime Afrikas auf sehr unterschiedliche Weise arrangiert – von Kollaboration bis hin zur Bekämpfung der Kolonialherren. In den postkolonialen Staaten gebe es drei verschiedene Positionen von Muslimen: als Bevölkerungsmehrheit, als schwache Minderheit und als relevante, starke Minderheit. In den ersten beiden Fällen kämen kaum religiöse Konflikte vor, während im dritten Fall Islam oft (etwa heute in Nigeria) zum Identifikationsmoment werde.

STEPHANIE ZEHNLE (Kassel) bot in ihrem Vortrag einen Einblick in die islamischen Reformbewegungen und Kriege in der Hausa-Region (Nordnigeria) im 18. und 19. Jahrhundert. Im Fokus der vorgestellten Untersuchung stand vor allen Dingen die Mobilität und Selbstorganisation von verschiedenen Gruppen. Zusammenhänge von räumlicher Mobilität und sozialer Bewegung wurden erläutert. Den analytischen Rahmen bildeten fünf verschiedene Gemeinschaften und Konzepte: Reiseerzählungen, die oft mit magischem Denken durchzogen sind, werden zur Abbildung der oralen Geschichte genutzt. Gewalttätige Gruppen verschleppten Menschen als Sklaven und waren gleichzeitig selbst besonders mobil. Muslimische Pilger, die nach Mekka reisten, verbanden Orient und afrikanischen Okzident und brachten so neue Ideen nach Sokoto, genauso wie professionelle Reisende und pastorale Gemeinschaften den Informationsfluss zwischen dem unteren Niger und dem Rest der Welt erhöhten. Mit Hilfe dieser Konzepte wurde erläutert, wie der Dschihad ab 1804 organisiert wurde und wie er durch die Nutzung verschiedener Netzwerke über lokale Grenzen hinweg aufflackern konnte.

Das Aufeinandertreffen verschiedener islamischer Überzeugungen an der ostafrikanischen Küste stellte CLÉLIA CORET (Paris) in ihrem Beitrag dar. Es handelte sich dabei einerseits um die Swahilibevölkerung, die sich aus Händlern des Indischen Ozeans und afrikanischen Küstenbewohnern seit dem 8. Jahrhundert herausgebildet hat. Hinzu stießen im 19. Jahrhundert zunehmend arabische Händler. Diese neue Immigrationswelle gipfelte in der Verlegung des osmanischen Herrschersitzes nach Sansibar. Ein Prozess der Arabisierung habe nun eingesetzt, Sansibar wurde zum kulturellen Zentrum. Zwei verschiedene islamische Rechtsschulen standen sich dabei gegenüber: Ibaditen aus dem Oman und die sunnitische Swahilibevölkerung. Doch auch eine Swahilisierung der Omanis sei möglich gewesen, wenn sie von der Insel Sansibar an die Küste zogen. Anhand von Beispielen der Versklavung und der Integration von Sklaven in eine neue soziale Umgebung zeigte Coret die Bedeutung des Islam für soziale Strategien. Gerade für Sklaven sei die Konversion eine Chance gewesen, Teil einer prestigeträchtigen Gemeinschaft zu werden.

Über translokale muslimische Netzwerke und lokale soziale Ordnungen in Ostafrika im 20. Jahrhundert referierte KATHARINA ZÖLLER (Bayreuth). Dabei konzentrierte sie sich besonders auf Tanganyika und den östlichen Kongo. Gewaltsame religiöse Konflikte seien im von ihr untersuchten Zeitraum von etwa 1920 bis 1970 in der Region kaum vorgekommen. Besonders im Bildungssektor sei aber Konkurrenz zu spüren gewesen; durch Missionsschulen und (kolonial)staatliche Einrichtungen. Der Erste Weltkrieg habe zu neuen religiösen Bewegungen und zahlreichen Konversionen geführt. Gerade muslimische Bruderschaften seien dabei erfolgreich gewesen. Zwischen ihnen und christlichen Missionaren bzw. kolonialen Institutionen sei es daher zu Spannungen gekommen. Die muslimischen Händler wurden nun als Schmuggler bezeichnet. Besonders den Handel über die tanganyikisch-kongolesische Grenze hinweg habe man von kolonialer Seite zu unterbinden versucht. Die dynamischen Netzwerke in der Grenzregion hätten jedoch fortbestanden. Für sie sei der Islam auch Teil ihrer ethnischen Identität gewesen. Zöller versteht die von ihr untersuchten Netzwerke als translokal und transnational.

Über die Zakat-Almosen in Nordnigeria sprach DAUDA ABUBAKAR (Berlin). Diese Armenspende ist eine der wichtigsten islamischen Pflichten. In seiner Feldstudie untersuchte Abubakar das Verhältnis zwischen den reichen Gebern und den armen Nehmern in der Stadt Jos. Die Zakat sei bereits durch Usman Dan Fodio im 19. Jahrhundert in Nordnigeria als eine staatliche Institution eingerichtet worden. Infolge der britischen Kolonialisierung sei sie wieder privatisiert worden. Besonders die neue muslimische Jugend von Jos nehme diese Spende heute sehr ernst. Der Schenkungsakt diene auch der Abgrenzung von christlichen Jugendlichen. Es gebe regelrechte Bewerbungsverfahren der Bedürftigen um die Zakat-Gelder und institutionalisierte kollektive Spendenformen, die von islamischen Gelehrten organisiert würden. Wohlhabende würden sich allerdings oft selbst um ihre Almosen kümmern und ihr Geld nur ungern Geistlichen anvertrauen.

In der Abschlussdiskussion wurde die scheinbar banale und dennoch komplexe Antworten verlangende Frage gestellt, weshalb der Islam für Afrikaner in Geschichte und Gegenwart so attraktiv erscheint. Islamische Glaubensinhalte hätten Identitäten geprägt und seien dabei selbst wieder verändert und „afrikanisiert“ worden. Es wurde darauf hingewiesen, dass ausgebildete Muslime Fähigkeiten bieten konnten, die andere nicht besaßen, etwa Schriftlichkeit. Daher sei der Islam lange Zeit die Religion der Wohlhabenden, der Händler und Gelehrten gewesen. Gefragt wurde auch, inwiefern das spezifisch religiöse, spirituelle Angebot des Islam zu dessen Attraktivität beigetragen habe. Es wurde eingewandt, religiöse Elemente des Islam seien kaum von anderen Bereichen – wie Kultur oder Gesetz – zu trennen. Islamische Werte seien Grundbestandteil von Mentalitäten. Und der Islam sei nicht immer in Konkurrenz zu traditionellen Religionsformen getreten, er habe sie eher erweitert. Die Attraktivität des Islam gehe zu einem Teil von der Vielfalt seiner Erscheinungsformen und Elemente aus, die mehrere Identifikationsebenen biete. Gerade für räumlich mobile Individuen und Kollektive habe der Islam Beheimatungsrituale (immer gleiche Gebete, Lesen im Koran) ermöglicht. Besonders neue heterogene Lebensgemeinschaften – wie die Bewohner entstehender und bestehender Städte – hätten den Islam als einigendes Band nutzen können. Religion stamme von religio (Rückbindung) ab und verweise daher auf den menschlichen Drang, zu einer Gemeinschaft zu gehören.

Konferenzübersicht:

Opening Remarks : Winfried Speitkamp, Kassel

Katja Werthmann, Mainz: The Jula in Burkina Faso: From Pre-Colonial Elite to Ethno-Political Association

Amélie Chekroun, Paris: The Fall of the Walasma' Dynasty (Ethiopia, 16th Century)

Christian Holst, Kassel: Guns, Honour and Islam: The Decline and Fall of the Songhay

Öffentlicher Abendvortrag: Roman Loimeier, Göttingen: Die Muslime in Afrika im Spannungsfeld zwischen vorkolonialem Erbe und Globalisierung

Stephanie Zehnle, Kassel: Moving Movements – 19th Century Jihads in the Hausa Region

Clélia Coret, Paris: Expansion of Islam and Political Competition on the Swahili Coast in the 19th Century

Katharina Zöller, Bayreuth: Translocal Muslim Networks and Local Social Orders in Tanganyika and Eastern Congo, 1920s to 1960s

Dauda Abubakar, Berlin: The Giving and Receiving of Zakat: Relationships between the ‘Wealthy’ and ‘Needy’ Citizens of Jos, Nigeria


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Published on
22.12.2011
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