Integrating Global and Regional Histories. Theoretical Reflections and Empirical Case Studies in Central Europe, 18th–20th Centuries

Integrating Global and Regional Histories. Theoretical Reflections and Empirical Case Studies in Central Europe, 18th–20th Centuries

Organizer(s)
Geschichte und Region/Storia e regione, Bozen/Bolzano; Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck; Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte / Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz
Location
Innsbruck
Country
Austria
From - Until
26.09.2019 - 27.09.2019
Conf. Website
By
Ulrike von Hirschhausen, Lehrstuhl für Europäische und Neueste Geschichte, Universität Rostock

Zu einer vielversprechenden Tagung über die Integration von globalhistorischen und regionalgeschichtlichen Ansätzen im Kontext der Habsburgermonarchie hatte ein Vierergespann aus Innsbruck, Linz und Trento eingeladen. FRANCESCA BRUNET (Trento), ELLINOR FORSTER (Innsbruck), MARCUS GRÄSER (Linz) und ERNST LANGTHALER (Linz) hatten die Problematik adressiert, dass die Habsburgermonarchie bis vor kurzem fast ausschließlich endogen, mithin aus ihrer Binnenlogik heraus, erklärt wurde. Ins Zentrum der Tagung stellten sie daher die Frage, welchen Aufschluss Ansätze der Globalgeschichte erbringen können, die vor allem exogene Faktoren zur Erklärung historischer Phänomene und Einheiten heranziehen, und wie solche in die oft regional konzipierten Narrative der Habsburgermonarchie zu integrieren sind. Mit PIETER JUDSON (Firenze) war schließlich auch ein Historiker in Innsbruck präsent, der diese neuen Ansätze mit seiner Monographie „The Habsburg Empire. A New History“ (Cambridge, Ma 2016) bereits eindrucksvoll umgesetzt hatte.

Bereits in ihrem Eingangsstatement wie auch in ihren folgenden Beiträgen setzten sich die Veranstalter auf unterschiedliche Weise mit einem zentralen Problem der gegenwärtigen Historiographie der Habsburgermonarchie auf theoretischer Ebene auseinander – wie globale und regionale Narrative sinnvoll und aufschließend zu verbinden sind – und leiteten damit auch in die empirischen Sektionen ein. MARCUS GRÄSER (Linz) fragte eingangs beispielsweise, welche Widerstände gegen außerregionale Tendenzen in den Regionen zu spüren waren, wieviel bewusste Nicht-Teilnahme an Globalisierungsvorgängen registriert werden kann, und brachte den Begriff der „defekten Globalisierung“ ins Spiel – den die Teilnehmer immer wieder aufgriffen und kritisierten. ERNST LANGTHALER (Linz) beschrieb luzide die Probleme der habsburgischen Regionalgeschichte und plädierte für eine translokale und transregionale Verflechtungsgeschichte – einen Ansatz, den ELLINOR FORSTER (Innsbruck) in ihrem Vortrag zu Parallelkonstruktionen von Regionen in Österreich und Amerika 1820–1840 eindrucksvoll durchdeklinierte. ROLAND WENZLHUEMER (München) sprach sich als Kommentator schließlich dafür aus, die zeitlichen Ebenen des zu beschreibenden Phänomens klarer zu hierarchisieren, um vermeintliche „Räume“ aus ihrer globalen, regionalen oder nationalen Markierung herauszulösen.

Die empirischen Sektionen der Tagung waren durchweg auf hohem theoretischen und empirischen Niveau und stellten die Probleme einer Transnationalisierung oder gar Globalisierung der Habsburgermonarchie deutlich heraus. Angesprochen werden kann hier nur eine Auswahl der Referate. KLEMENS KAPS (Linz) suchte globale Triebkräfte am Beispiel österreichischer Kaufleute herauszuarbeiten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Cadiz ausgewandert waren und dort „Universalkommerz“ betreiben wollten. Doch bereits hier stellte sich die Frage, ob die Verflechtungen dieser österreichischen Migranten wirklich globaler Art waren oder sich eben doch auf den bilateralen Handel zwischen Spanien und der Habsburgermonarchie beschränkten. Ähnlich suchte ANDREAS ENDERLIN-MAHR (Linz / Wien) am Beispiel des „Schreibtisch des Kaisers“ die vielfältigen informellen Netzwerke zu rekonstruieren, die auf dem Tisch seines Büroleiters und „gatekeepers“ zusammenliefen. Expeditionen zum Nordpol, archäologische Kooperationen ins osmanische Reich oder Mineraliensammlungen aus den USA waren Gegenstände, die hierunter subsummiert wurden. Doch erneut machte die Diskussion das Problem deutlich, inwieweit es sich hier um punktuelle Korrespondenzen handelte, oder ob sich die Vorgänge wirklich institutionell oder personell verfestigten. Hilfreich war der Kommentar Marcus Gräsers, der auf den prekären Charakter der meisten transnationalen oder globalen Akteure verwies, die zunächst keinen rechtlichen Schutz genossen, und damit indirekt bereits die große Bedeutung von Recht für eine Transnationalisierung der Habsburgermonarchie vorwegnahm, die auch das Schlusspanel betonen sollte.

ANDREA KOMLOSY (Wien) deklinierte am Beispiel des Gummikonzerns „Semperit“ die Stationen vom Kautschuk des 19. Jahrhunderts zum Gummihandschuh des 21. Jahrhunderts durch und plädierte dafür, die globale Rhetorik solcher Konzerne genau zu dekonstruieren, die oft nationale Agenden zur Grundlage hatten. JONAS ALBRECHT (Linz) suchte schließlich am Beispiel von Nahrungsregimen die gegenseitige Wahrnehmung und die vergleichbaren Praktiken in Wien, Paris und New York zwischen 1770 und 1870 zu zeigen. Erneut machte auch Albrechts‘ Referat das Problem deutlich, dass der Vergleich verflochtener Nahrungsordnungen die Transnationalität solcher Regime offenbart, aber zunächst weder Aussagen zu einer Homogenisierung der gesellschaftlichen Praxis zuließ noch ein globalhistorisches Phänomen per se darstellt. In der Diskussion der Beiträge wiesen vor allem Roland Wenzlhuemer und Ulrike von Hirschhausen darauf hin, dass es nicht darum gehen kann, globalgeschichtliche Ansätze zum Ziel der Analyse zu machen, denen die Situierung der Akteure dann folgt. Vielmehr gelte es, zu allererst den Akteuren in die von ihnen gewählten Handlungsfelder zu folgen und danach den analytischen Rahmen der jeweiligen Aushandlung begrifflich und methodisch zu bestimmen. Dieser kann dann zwischen einer transnationalen Verflechtungsgeschichte, einem europäischem Vergleich oder eben einem Ansatz osziliieren, der den globalen Wechselwirkungen zwischen der Habsburgermonarchie und anderen Weltregionen berechtigt das Wort reden kann. Roland Wenzelhuemer forderte zudem immer wieder eine konkrete Akteursperspektive ein, die auch den nichtintendierten Konsequenzen globaler Verbindungen nachspürt und nach den Gründen derer fragt, die nicht „mitmachen“, die nicht global aktiv sind.

Im abschließenden Panel diskutierten WILLIAM O‘REILLY (Cambridge), ULRIKE VON HIRSCHHAUSEN (Rostock) und PETER JUDSON (Florenz) über das Potential der Globalgeschichte, die Geschichte der Habsburgermonarchie neu zu erschließen und zu verstehen. William O‘Reilly griff ein faszinierendes Beispiel früher Kolonialgeschichte heraus, indem er die Kartierungen, die global verbreiteten Manufakturen und schließlich die Siedlungsprojekte als Beispiele globaler Vernetzung globaler und regionaler Agenturen der Monarchie im 18. Jahrhundert herausstellte. Ulrike von Hirschhausen knüpfte an die Frage des Eurozentrismus an und plädierte dafür, globalgeschichtliche Annäherungen weiterhin auch als dezidierte Antwort darauf zu verstehen, zumal gerade die vergleichende Imperiengeschichte sich durch einen Fokus auf die agency vor Ort und ihre enorme Wirksamkeit und Resilienz gegenüber imperialen Strategien der Metropole derzeit neu ausrichtet. Zum anderen plädierte sie dafür, die Begriffe von Zentrum und Peripherie neu auf den Prüfstand zu stellen, da diese die Kampfbegriffe der Zeitgenossen weiter transportieren, aber der Situativität und Historizität der Wirklichkeit oft nicht gerecht werden. Gerade der globalgeschichtlich geschärfte Blick in die historische Wirklichkeit des Empires zeige die Variabilität dieser Räume, deren Machtgeographie nie statisch ist. Darauf antwortete Pieter Judson mit einer direkten Replik, in der auch er sich dafür aussprach, die Begriffe von Zentrum und Peripherie für die Analyse der Habsburgermonarchie ganz aufzugeben. Zu stark sei ihre Konnotation durch aufgeladene Normen von Rückständigkeit oder Fortschritt, als dass sie analytisch noch hilfreich seien. „Centre and periphery have not given people a new idea of the k. and k. history”, so subsummierte er seinen Vorschlag. Eindrucksvoll sprach Judson abschließend eine Aufgabe an, die unmittelbar auf die veränderte politische Landschaft der Gegenwart rekurriere, nämlich die Aufgabe von Historikern des Empires, der Öffentlichkeit Narrative anzubieten, die in verständlicher Sprache die Komplexität multiethnischer Koexistenz und imperialer Wirklichkeit verdeutliche. In dieser sprachlichen wie analytischen Herausforderung sah er ein ganz wesentliches Ziel historischer Wirksamkeit, das auch in die Öffentlichkeit hineinzuwirken habe. „Convince the public of the way we see the world“ – damit beendete Judson sein Plädoyer für mehr öffentliche Wirkung globaler Erklärungen in einer Zeit, in der die Antworten auf die Globalisierung oft an den radikalen Rändern der Gesellschaft zu hören sind.

Eine vielversprechende Tagung löste in der Praxis ihren hohen Anspruch immer wieder ein, nach neuen Zugängen zur Geschichte der Habsburgermonarchie zu fragen, gerade auch weil die Probleme der Referate die schwierige Umsetzbarkeit dieses Anspruchs offenlegten und zum Weiterdenken anregten.

Konferenzübersicht:

Welcome
Ellinor Forster (Innsbruck) / Francesca Brunet (Trento)

Introduction
Marcus Gräser (Linz) / Ernst Langthaler (Linz)

Panel I: Brokers
Chair: Francesca Brunet (Trento)

Klemens Kaps (Linz): Globale Triebkräfte, habsburgischer "Universalkommerz" und lokaler Wandel: Händlernetzwerke zwischen Zentraleuropa und dem spanischen Atlantik in einem transformativen Jahrhundert (1713–1815)

Andreas Enderlin-Mahr (Linz/Wien): Schnittstellen globaler und regionaler Netzwerke: Intermediäre, Broker, Gatekeeper und ihre Bedeutung für die Global- und Regionalgeschichte

Marcus Gräser (Linz): Abenteurer oder Avantgarde? Broker, Netzwerke, transnationale Akteure und ihre Bedeutung für die Regionen

Panel II: Knowledge
Chair: Ellinor Forster (Innsbruck)

Cecilia Cristellon (Frankfurt/Main): Von Rom in die Missionsgebiete und zurück in europäische Regionen. Globaler Rechtstransfer gemischter Ehen zwischen Christen und konvertierten Juden in der Toskana des 18. Jahrhunderts

Jonathan Singerton (Innsbruck): Encountering the "Fields of Fire" – Neapolitan Networks from Bohemia to Pennsylvania and the Transformation of Regional Study into Global Science

Martin Rohde (Innsbruck): Zirkulierende Ideen in globaler Perspektive. Vom Transfer zur lokalen Implementierung

Panel III: Perspectives
Chair: Marcus Gräser (Linz)

Marco Meriggi (Napoli): Regional Space and Imperial Space. The Transnational History of the Lombard-Venetian Kingdom

Ellinor Forster (Innsbruck): Ungarn in South Carolina? Parallelkonstruktionen von Regionen in den "Vereinigten Staaten von Österreich" und jenen von Amerika 1820–1848

Ernst Langthaler (Linz): Globalgeschichte transregional? Potenziale und Probleme der Transregional Studies

Panel IV: Goods
Chair: Ernst Langthaler (Linz)

Andrea Komlosy (Wien): Güterketten als Bindeglieder zwischen regionalem Standort und Weltmarkt. Am Beispiel der niederösterreichischen Gummiwarenindustrie, 19.–21. Jahrhundert

Jonas Albrecht (Linz): Überraschende Ähnlichkeiten? Die Politik der Nahrungsverordnungen zwischen "Moral-" und "Markt"-Ökonomiken in Wien, Paris und New York 1770-1870

Roland Wenzlhuemer (München): Beyond Binaries: Zum Verhältnis globaler Verbindungen und Nicht-Verbindungen

Roundtable: Approaches from Different Perspectives
Moderator: Marcus Gräser (Linz)

William O’Reilly (Cambridge): New Postcolonial Studies: Entangling the Global and the Local. Theory and Practice in Habsburg Hungary, 1711–1780

Ulrike von Hirschhausen (Rostock): The Habsburg Monarchy and the New Imperial History

Pieter Judson (Firenze): Seeing the Habsburg Monarchy as a Global Empire in an Era of self-styled nation-state Empires


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Published on
30.10.2019
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Conf. Language(s)
German
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