Es gibt, zumal in der globalisierten Gegenwart, kaum eine komplexere Kategorie als das Fremde. Die sozialen, kulturellen, ökonomischen und medialen Entgrenzungsbewegungen des 21. Jahrhunderts stellen die Selbstdefinition der europäischen Moderne, besonders, wenn man sie mit Zygmunt Baumann ordnungspolitisch, als Konstruktion nationaler Räume begreift, strukturell infrage. Das Abendland reagiert bislang hilflos: mit nicht immer glücklichen Diskussionen über Migration, Integration und Assimilation, mit Begriffen wie der „Leitkultur“ und vom „Dialog der Kulturen“, die mindestens ebenso viele Probleme aufwerfen, wie sie Lösungen bieten.
Für die Forschung stellt sich mithin die Frage nach den Perspektiven: Wer leitet und wer spricht? Und von welchen Standpunkten aus? Was sind die blinden Flecken eines Diskurses, der das Fremde stets aus einer Perspektive des Eigenen erzeugt? Wenn das Fremde als Nicht-Wir konstruiert wird, erscheint es als Devianz, als Abweichung von der kulturellen Normalität mit allen negativen Implikationen, die sich daran knüpfen: denn die Festlegung des Eigenen als Norm ist exklusiv. Sie neigt, auch und gerade in einer globalisierten Welt, dazu, andere Versionen von Normalität auszuschließen.
Historisch und kulturgeschichtlich lässt sich die diskursive Spielregel der reziproken Definition des Eigenen und des Fremden in mehreren Richtungen verfolgen: interkulturell etwa zum kontrastiven Dialog der Systeme zwischen den Kulturen in der DDR und der Bundesrepublik, transkulturell zu Ein- und Ausschlussbewegungen, wie man sie aus den Debatten um den Orient und den Okzident, um Judentum, Christentum und Islam kennt. Auch in seiner wissenschaftsgeschichtlichen Dimension ist das Feld prominent besetzt und reicht von Georg Simmel über Werner Sombart, Carl Schmitt, Edmund Husserl bis zu neueren Theoretikern wie Michel Foucault, Jürgen Habermas und Emmanuel Levinas.
Dabei fällt auf, dass bei der Beschäftigung mit dem Fremden Raum-Metaphern zu den wirkmächtigsten hermeneutischen Vehikeln zählen: prominent etwa in Helmut Plessners anthropologisch-philosophischer Unterscheidung von „Außenwelt", „Innenwelt“ und „Mitwelt“, allgemeiner aber auch in allen Figuren der Utopie, Heterotopie und Uchronie. Hier offenbart sich eine diskursgeschichtlich bemerkenswerte Tradition des Denkens dritter Räume.
An diesem Punkt will die Tagung ansetzen: Zu fragen ist nach der Tradition, Relevanz und gesellschaftlicher Wirkungsmacht von Raumkonstruktionen, die gerade durch die Behauptung ihrer Eigengesetzlichkeit die Möglichkeit zur Reflexion und Problematisierung gegebener Normen zu gestatten vorgeben. Welche Zwischen-Räume erzeugen Kulturen wie die DDR, die wesentliche Elemente ihrer Selbstdefinition aus Topographien der Grenze gewinnt, zugleich aber innergesellschaftlich Gegenwart nur als Entwurf auf ein zukünftiges Ideal begreift? Gelten schließlich kulturelle Texte als privilegierte Medien der Selbst- und Fremddarstellung, was für einen Stellenwert haben sie selbst? Stellen sie eine Zwischeninstanz dar: ein Drittes, das Eigenes und Fremdes, Identität und Differenzen gleichzeitig repräsentiert? Und wenn die Kultur ein Drittes darstellt, kann sie insgesamt als Heterotopie im Sinne Foucaults betrachtet werden? Und ist nicht, andererseits, die Behauptung ihres eigengesetzlichen Funktionierens selbst eine kulturpolitische Bestimmung? Dies sind einige der Fragen, die uns auf der Tagung in vier Panels beschäftigen:
1. Heterotopien: Begriff, Rezeption und Kritik
2. Das Fremde aus kulturhistorischer Perspektive – Figuren des Dritten
3. Heterotopie – Utopie – Heterochronie
4. Literarische Heterotopien
Die Konferenz versammelt Beiträge aus Geschichte, Soziologie, Philosophie, Literatur- und Medienwissenschaft, die sich mit der Raumordnung, Grenzverschiebung, Fremdheitswahrnehmung und Fremdheitsdarstellung in Texten, Filmen und Bildern befassen. Die Tagung richtet sich ebenso an etablierte wie an Nachwuchswissenschaftler.