D. Day: Conquest. How Societies Overwhelm Others

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Title
Conquest. How Societies Overwhelm Others


Author(s)
Day, David
Published
Extent
288 S.
Price
£14.99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Hans-Heinrich Nolte, Barsinghausen

Der australische Historiker Day, der sowohl über die politische wie die militärische Geschichte seines Landes gearbeitet hat, legt eine Weltgeschichte der „Überwältigungen“ von Gesellschaften vor, womit er vor allem Siedlungskolonien bzw. Versuche dazu meint, die etwa bei Osterhammel ja nur einen Typ von dreien bildet. 1 Day gliedert die Eroberung fremder Gesellschaften in zehn Schritte: einen legalen Anspruch schaffen – Kartieren – Namen geben – die Wilden ersetzen – Erobern – Verteidigen – Gründungsmythen schaffen – den Boden bearbeiten – der genozidale Imperativ – das Land bevölkern , und nennt die erobernde „supplanting“ society – also eine, welche die vorherige ersetzt.

Die Beispiele entstammen alle aus der Neuzeit sowie aus der Tradition der europäischen Staaten bzw. ihrer Siedlungskolonien und Japans. Vor allem die Eroberung Australiens, des Westens der USA, die deutsche-polnische Auseinandersetzung um das Gebiet zwischen Oder und Weichsel, die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern, die japanische Eroberung Hokkaidos sowie die Marginalisierung und Assimilierung der Ainu werden verglichen; hinzu kommen gelegentlich andere Beispiele wie das chinesische Vordringen in Tibet.

Ob muslimische oder aztekische Eroberer dieselben Rituale und Verfahren verwandt haben, wird nicht diskutiert. Den Mongolen scheint es weithin genügt zu haben, wenn die unterworfenen Völker Tribut zahlten oder Weidegründe abgaben; waren sie an Territorien interessiert, in denen kein Pferd weiden konnte? Jedenfalls scheint ein Wettsegeln im Eis, wie Briten, Amerikaner und Franzosen es sich 1840 um die Antarktisküste lieferten, um Adelie-Land zu besetzen, für das mongolische Imperium kaum vorstellbar (n. b: die Franzosen haben gewonnen, wie der Name zeigt). Aber Briten, Franzosen sowie Amerikaner haben auch Kolonien erobert, in denen niemals Siedlung geplant war.

Bilder erweitern den Text, von den Ritualen der Besitzergreifung (Balboa watet in den pazifischen Ozean) über die Verwandlung von Feinden in „Wilde“ Nomaden ( Bild vom Gemüse und Maisanbau der Powhatan in Virginia) oder Tiere (Iren als Affen), über erzwungene Assimilation (Indianerkinder in einer Boarding-School in Pennsylvania 1900) Abgrenzungsversuche (der Zaun im Süden der USA) und schließlich die Ironie in Eroberungs- und Besitzmythen, wenn Hispano-Amerikaner im Südwesten der USA nach der Legitimität der US-Eroberung von 1846 fragen. Fragen sie angelegentlich auch nach der Legitimität der spanischen Eroberungen im 16. Jahrhundert?

So wie es vor der Neuzeit und außerhalb der europäischen oder mit den europäischen Mächten konkurrierenden Staaten keine Beispiele gibt, so gibt es zwar eine Diskussion von Raphael Lemkin und der Ächtung von Genozid, aber keine über die Frage nach einem Annexionsverbot im modernen internationalen Recht. Die Invasion der Türkei auf Zypern 1974 und die Besiedlung des von der Türkei eroberten Landes durch 60.000 Bauern aus Anatolien wird also beschrieben, aber der Tenor ist, dass das eben zu wenig Neusiedler waren: „Während die Türken den Anschluss der Insel an Griechenland verhindert haben, bedeutete ihr Versagen bei einer zahlenmäßig ausreichenden Besiedlung des Landes dass die Türkei, trotz ihrer militärischen Macht, nicht hoffen durfte, die Insel zu annektieren.“ (S. 218).

Eroberung von Gesellschaften ist für Day immer erst abgeschlossen, wenn ein Land bevölkert ist. Es kann, wie er im letzten Kapitel „die niemals endende Reise“ zeigt, durch neue Bevölkerung also auch neu erobert werden. Als Beispiele wählt er die Neubevölkerung des Südens der USA durch Hispano-Amerikaner, die Einwanderung von Asiaten nach Australien, nachdem diese Länder sich zuvor gegen Einwanderungen verschlossen haben, wobei Australien in den 20er Jahren den Einwanderungsgesetzen der USA auch darin gefolgt ist, dass Südeuropäern die Einwanderung erschwert wurde, wogegen Mussolini protestierte. Übrigens wollte man in Australien auch keine Juden nach 1939 (S. 201). Day skizziert auch die seiner Meinung nach bevorstehende Einwanderung in die EU und nach Russland, sowie nach Japan.

Wie scheinbar häufiger bei Werken aus dem angelsächsischen Raum [vgl. meine Rezension von Bayly, Geburt der modernen Welt in Zeitschrift für Weltgeschichte 8.2, S. 179 -182] sind die Karten sehr fehlerhaft. So fehlt auf der Karte zum Wechsel der polnisch-deutschen Grenze S. 94 für Deutschland nach Versailles Ostpreußen, während das heutige Deutschland auch das Elsass umfasst. Auf der Karte zu Griechenland – Türkei S. 42 lassen Linien den Verdacht zu, Bulgarien habe doch einen Hafen an der Ägäis und die Halbinsel von Marmaris gegenüber Rhodos sei eine Insel. Die Ostasienkarte S. 88 zeigt eine seltsame Linie von Beijing nach Südosten, die unverständlich bleibt – würde sie nach Osten geführt, könnte sie die Mauer andeuten, direkt nach Süden den Kaiserkanal – oder lässt der Zeichner den Yangtse bei Beijing münden?

Es werden auch klassische Vorurteile bedient, so heißt es S. 165, die Mongolen seien aus den „russischen Steppen“ gekommen (die Russen werden sich gewundert haben, als sie ihr Waldland gegen drei Feldzüge aus dem Steppen-Imperium nicht verteidigen konnten). Eher eine Geschichtsfälschung (nicht des Autors, sondern der Literatur, auf die er sich bezieht) ist es, wenn er S. 211f. eine unmittelbare Linie zwischen mittelalterlicher Ostkolonisation und den polnischen Teilungen zieht, als habe Polen vor 1772 bis zur Oder-Neiße gereicht – immerhin war die mittelalterliche Grenze zwischen Polen und dem Heiligen Römischen Reich, nach der Schlesien, Ost-Brandenburg und Pommern zum Reich gehörten, vom 14. bis zum 18. Jahrhundert in Kraft und eine der stabilsten Grenzen Europas. Kann man von „Jahrhunderte dauerndem Konflikt“ (S. 5) reden, wenn es über vier Jahrhunderte lang keinen gab? Denn Brandenburg, das am 1. Nordischen Krieg zuerst gegen Polen, dann auf Polens Seite teilnahm, war ja nicht Deutschland [zuletzt Dariusz Adamczyk: Polen-Litauen 1569 – 1660, oder: Warum wird das Großreich kein Imperium, in Hans-Heinrich Nolte Hg.: Imperien, Schwalbach 2008, S. 12 – 21].

Trotz solcher Einwände im Einzelnen (von Australien aus mag manches in Europa nicht so eng gesehen werden) ist das Buch insgesamt spannend zu lesen und es öffnet den Blick für Zusammenhänge. Auch die deutsche Geschichte wird von der Niederwerfung der Herero bis zu nationalsozialistischen Genoziden in diesen großen Kontext eingeordnet, vor allem die Ähnlichkeiten, aber auch einige Differenzen herausgearbeitet. Day hat keine Probleme damit, Thomas Jeffersons und Adolf Hitlers „fast mystische Hochachtung vor dem Akt der Kultivierung, vor dem Graben im Boden“ nebeneinander zu stellen (S. 166) oder von der irischen Behauptung einer ungebrochenen Blutlinie trotz der vielen Eroberungen auf deutsche „Volksboden“ – Theorien zu kommen (S. 155f.).

Eine politisch-historische Kritik muss allerdings tiefer ansetzen. Immanent und trotz der „Gesellschaften“ im Titel geht Day von Völkern als Akteuren der Geschichte aus. Er erweckt den Anschein der Ewigkeit und Allgegenwart von Konflikten um Land und Siedlung und macht die Siedlungskolonie zur einzigen Form von Kolonie. War hier nicht doch der Wunsch der Vater des Gedankens, die Genozide an australischen Aborigines als sozusagen normal einzustufen?

Und: bedeutet die Entwicklung internationalen Rechts einen Einschnitt? Kann man das Vorgehen der „sudanesischen Araber gegen ihre afrikanischen Mitbürger“ (S. 3) durch Einführung von internationalen Rechtsnormen beenden oder ist das ausgeschlossen? Day beschreibt den „genozidalen Imperativ“ kolonialer (oder möchte gern kolonialer) Siedlung überzeugend – vom „Removal-Act“ des US.Kongresses von 1830, dem Hererokrieg, der deutschen Polenpolitik im „Warthegau“ und dem Vordringen von Tschuktschen in Nordostasien bis Palästina. Hat sich gar nichts geändert, seit die Weltgesellschaft Genozide für illegal erklärt hat und seit - in einigen Fällen – Genozide auch gerichtlich verfolgt wurden?

Anmerkung:
1 Osterhammel, Jürgen, Kolonialismus, München 1995, S. 17f.

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16.09.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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