Ph. Boucher: France and the American Tropics to 1700

: France and the American Tropics to 1700. Tropics of Discontent?. Baltimore 2008 : Johns Hopkins University Press, ISBN 978-0-8018-8725-3 392 S. € 21,99

: In Search of Empire. The French in the Americas, 1670-1730. Cambridge 2004 : Cambridge University Press, ISBN 978-0-5218-2742-3 484 S. £ 62.00

Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Andreas Hübner, International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC), Universität Giessen

Seit kurzem liegt mit John H. Elliotts Empires of the Atlantic eine komparative und verflechtungsgeschichtliche Studie zum spanischen und zum britischen Empire in den Amerikas vor.1 Gleichzeitig konstatierte Torsten Loschke mit Verweis auf die Studien von Sarah Stockwell und Peter Wende unlängst, dass der Boom zur neuzeitlichen Imperialgeschichte ungebrochen sei.2 Hier ordnen sich auch neuere Forschungsbeiträge zu den französischen Besitzungen in den Amerikas ein. Zwei Studien erfordern besondere Beachtung: Zum einen Philip P. Bouchers France and the American Tropics to 1700, zum anderen James Pritchards In Search of Empire.

Eines muss in diesem Kontext vorab festgehalten werden: Im Gegensatz zu Elliott, dessen Studie den Empire-Begriff in Bezug auf die britischen Kolonien in den Amerikas relativ prominent im Titel anführt, ist sowohl Boucher als auch Pritchard eine gewisse Skepsis gegenüber der Applizierbarkeit dieses Begriffs für die französischen Kolonien anzumerken. Während Boucher mit der Formulierung „France and the American Tropics“ a priori jegliche Diskussion vermeidet, verlegt sich Pritchard zumindest vordergründig auf die Suche nach dem französischen Empire in den Amerikas. Dass diese Suche eher rhetorischer Natur ist, wird bereits in der Einleitung deutlich. So argumentiert Pritchard “that settlers and slaves rather than metropolitan or even colonial governments largely made their own societies” (S. XXI). Pritchards Suche beginnt also mit einer Präferenz. In der Debatte über die Akteursrollen von Metropole und Peripherie bei der Konfiguration kolonialer Gesellschaften lokalisiert er die Handlungsinitiative klar in den Amerikas. Wenig überraschend endet Pritchards Suche daher in der Verortung eines Elusive Empire, d.h. eines schwer fassbaren, trügerischen Empire. Dieses erstreckte sich zwar formal von Französisch-Guyana über die westindischen und karibischen Inseln, sowie St. Dominque und Louisiana bis zu den französischen Besitzungen in Neufrankreich, de facto stellte es aber ein brüchiges Gefüge voneinander isolierter Territorien dar (S. 266).

Pritchard‘s trügerische Suche verläuft zweigliedrig. Im ersten Teil seiner Studie, Colonies Formed, erörtert er in thematischer Abhandlung demographische, sozio- und agrikulturelle, sowie wirtschaftliche und politische Aspekte zur Entwicklung der französischen Kolonien zwischen 1670 und 1730. Im zweiten Teil, Colonies Defended, erläutert er chronologisch und minutiös die Dimensionen europäischer Konflikte in den Amerikas aus französischer Perspektive. Sein besonderes Interesse gilt dem Französisch-Niederländischen Krieg, dem Neunjährigen Krieg sowie dem Spanischen Erbfolgekrieg. Wenn überhaupt, dann spricht Pritchard diesen Konflikten einen einheitsstiftenden Charakter für die französischen Territorien in den Amerikas zu (S. XVII). Entgegen der Vorstellung konzertierter, von Europa aus gesteuerter Aktionen argumentiert Pritchard, dass die Initiativen für die militärischen Aktionen in den Amerikas auch stets innerhalb der Amerikas konzipiert wurden und somit den lokalen Bedingungen in den jeweiligen Territorien unterlagen (S. 355).

Exemplarisch lässt sich Pritchards Argumentation über seine Erörterungen zum Neunjährigen Krieg verdeutlichen. Diesen Krieg, dessen bisherige historiographische Aufarbeitung er als euro- bzw. anglozentriert kritisiert, versucht Pritchard für die Amerikas differenzierter zu erfassen. So bemerkt er mit Blick auf die westindischen Inseln, dass der Neunjährige Krieg hier weniger als imperialer Konflikt zwischen Frankreich und England zu verstehen sei, sondern eher als maritime Auseinandersetzung, in der neben England auch Spanien und die Niederlande in Opposition zu Frankreich agierten (S. 355). Gestaltet und realisiert wurde diese maritime Auseinandersetzung auf französischer Seite nicht von der Metropole Paris aus. Vielmehr erkennt er in den Abenteurern, Piraten und kolonialen Milizen der westindischen Inseln die wahren Akteure (S. 301). Getreu seiner These der französischen Kolonien als loses Gefüge unterschiedlicher Territorien verallgemeinert Pritchard diese Folgerungen nicht auf die gesamten Amerikas. Im Gegenteil, mit Blick auf die französischen Besitzungen in Neufrankreich diskutiert er den lokalen Charakter des Neunjährigen Krieges weiter und argumentiert, dass der Konflikt zwischen den europäischen Mächten hier zwar als Auslöser zu identifizieren sei, die eigentlichen Konflikte aber zwischen Franzosen und Irokesen, bzw. zwischen Massachusetts und den Abenaki zu erkennen wären (S. 356). Im Kontrast zu den westindischen Inseln vermerkt Pritchard für Neufrankreich zudem die Akteursrolle der coureur de bois sowie der französischen Kaufleute (S. 302). Er negiert damit den Einfluss der Metropole Paris und konstatiert für Ludwig XIV. gar einen gewisse ‚Unlust‘ gegenüber den französischen Besitzungen in den Amerikas (S. 356).

Einzig die Aussicht auf schnellen Profit und Prestige, i.e. gloire, so Pritchard, hätten den französischen König und dessen Minister kurzfristig dazu bewegt, eine imperiale Programmatik zu verfolgen, ohne dass aus diesen Motivationen eine kohärente Politik erwachsen wäre (S. 133). Besonders stark bildet Pritchard diese Form der Argumentation, die sich vor allem in den Kapiteln des ersten Teils widerspiegelt, in seinen Darstellungen zur Entwicklung der wirtschaftlichen Aspekte heraus. Ausgehend von der Feststellung, dass die französischen Territorien in den Amerikas nicht nur durch ihre Distanz voneinander getrennt waren, sondern auch in ihrer Geographie, ihrem Klima sowie ihrer Ökologie und Ökonomie stark differierten, unterscheidet Pritchard zwischen drei Typen von Exportgütern: indigenen Produkten, z. B. Tabak und Kakao, ergänzenden Produkten, z. B. Fisch und Hanf, sowie Produkten asiatischen Ursprungs, die auch in den Amerikas erfolgreich angebaut wurden, z. B. Indigo und Baumwolle (S. 123). Diese Produkte formten laut Pritchard die französischen Gesellschaften in den Amerikas nachhaltiger und asymmetrischer als bisher angenommen. Zudem konnten sie nie einen integrierenden Effekt erzielen, da ihre interkoloniale Zirkulation stets unterbunden wurde und die Bedingungen für ihren Transfer nach Europa der wechselhaften Import- und Steuerpolitik Frankreichs unterlagen (S. 187). Über diese Schlussfolgerung suggeriert Pritchard, dass das trügerische, französische Empire isolierter Territorien in den Amerikas vor allem auf die politischen und fiskalischen Schwächen des Absolutismus in Frankreich zurückzuführen sei.

Problematisch ist diese Schlussfolgerung aus zweierlei Gründen. Einerseits erscheint sie von Pritchards Präferenz getragen, der traditionellen, französischen Historiographie zu widerstreben.3 So leitet er sowohl die Inkohärenz imperialer Politik als auch die Verortung der Akteursrolle in den Amerikas stark von dieser Präferenz ab und kommt damit zwangsläufig zu dem Schluss eines trügerischen Empire. Andererseits, und daraus folgend, beschreibt Pritchard die französischen Gesellschaften in den Amerikas als „the most free“ (S. 70). Er spricht diesen also eine lokale Autonomie zu, die er auch auf die afrikanischen Sklaven ausweitet. Dabei vermeidet er es, seine Position in der historiographischen Diskussion zu lokalisieren. Gerade in Bezug auf die Rolle der afrikanischen Sklaven wäre dies jedoch nötig gewesen.4

Dennoch, Pritchards Studie liefert einen elementaren Beitrag zum Verständnis französischer Gesellschaften in den Amerikas. Seine Schilderungen sind detailliert, seine Darlegungen nachhaltig. Die Präferenz seiner Argumentation schwächt den Wert der Studie nicht, eher ist sie als wesentlicher Beitrag zur Diskussion um das (trügerische) französische Empire zu verstehen. Auch Philip Bouchers France and the American Tropics to 1700: Tropics of Discontent? trägt zu dieser Diskussion bei. Wie Pritchard verortet Boucher die Handlungsinitiative bei den Akteuren in den Kolonien und argumentiert “that the French state was less directive of colonial development in the French Caribbean than is usually portrayed” (S. 10). Im Gegensatz zu Pritchard verwendet Boucher allerdings einen nicht unerheblichen Aufwand darauf, diese und weitere seiner Argumentationen innerhalb der jeweiligen historiographischen Diskussionen zu positionieren. So erläutert er beispielsweise das Desiderat der postkolonialen Historiographie, frühere, oftmals romantisierende Narrative zur europäischen Kolonialisierung der Amerikas zu entlarven und zu revidieren (S. 112). Dabei ist es sein elementares Ziel, unser Verständnis der französischen Aktivitäten und Besitzungen in den amerikanischen Tropen bzw. der Zirkumkaribik grundlegend zu verbessern. Gerade für die Zeit vor 1700 erkennt er zu Beginn seiner Studie ein Forschungsdefizit.5

Dieses Defizit versucht Boucher in der Folge in einem Wechselspiel von chronologischem Narrativ und thematischen Exkursen zu revidieren. Einführend erörtert er die klimatische, ökologische, geo- und topographische Ausgangslage des Raumes und geht in diesem Zusammenhang dezidiert auf die Entwicklung der indigenen karibischen Bevölkerung ein. In der Folge widmet er sich den gescheiterten französischen Versuchen der 1620er Jahre, die spanische Hegemonie in Südamerika und Florida zu durchbrechen. Diesen beiden Anfangskapiteln schließt Boucher in den Kapiteln 3 bis 6 eine präzise Darstellung und Analyse der Phase zwischen 1620 und 1660 an, die er in eine Frontier- und eine Siedlungsperiode unterteilt. Sein besonderes Augenmerk gilt der strukturellen Charakterisierung der französischen Frontier-Gesellschaft. Seine Untersuchung greift dabei auf die Methode des Vergleichs zurück. So gelingt es Boucher beispielsweise über die Berücksichtigung britischer Frontier-Gesellschaften in Barbados und auf den Leeward-Inseln unser Verständnis der französischen Frontier-Gesellschaften in der Zirkumkaribik nachhaltig zu fördern. Offensichtlich kämpften sowohl französische als auch englische Siedler mit den gleichen Problemen. Beide Seiten suchten verzweifelt nach effizienten Anbauprodukten und -methoden. Beide Seiten litten unter einem Mangel an Arbeitskräften. Und, beide Seiten befanden sich permanent in Konflikten mit der indigenen karibischen Bevölkerung (S. 111).

Den Schilderungen der Frontier- und Siedlungsperiode folgt in den Kapiteln 7 bis 10 der chronologische Überblick der Jahre 1660 bis 1690 sowie die ökonomische und soziale Analyse dieser Ära, die er mit dem Begriff der Pre-Plantation Complex-Ära definiert. Mit dem Begriff der Pre-Plantation Complex-Ära verknüpft Boucher seine elementare These. So argumentiert Boucher, dass sich die zirkumkaribischen Siedlergesellschaften des 17. Jahrhunderts wesentlich von den Plantagengesellschaften des 18. Jahrhunderts unterschieden hätten. Zudem sei die Entwicklung hin zu diesen Plantagengesellschaften nicht zwangsläufig gewesen: “frontier and pre-plantation societies did not inevitably evolve into ‚mature‘ plantation regimes” (S. 115). Zur Unterstützung dieser These führt Boucher im Laufe der Studie wiederholt zwei Aspekte an. So verweist er darauf, dass die Siedlergesellschaften des 17. Jahrhundert zum einen „relatively healthier“ und zum anderen „less brutal“ gewesen seien (S. 11, 134). Die indigene karibische Bevölkerung schließt Boucher von dieser Argumentation aus und offenbart damit eine Schwäche der Studie. Seine Darstellung und Analysen basieren methodisch häufig auf den Quellen französischer Missionare wie den Dominikanern Jean-Baptiste Labat und Jean-Baptiste Dutertre. Sein Ansatz bevorzugt insofern die Perspektive der französischen Siedler und vernachlässigt im Gegenzug jene der indigenen karibischen Bevölkerung und der afrikanischen Sklaven. Nur so ist es zu verstehen, dass Boucher in seinem vergleichenden Fazit schlussfolgert: “the condition of coerced laborers in the seventeenth-century French Caribbean was perhaps not as unbearably grim as that of those in the English West Indies. Moreover, worse conditions were endured by their own eighteenth-century African and African American successors on the plantation islands” (S. 300).

Dieses Fazit lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers zugleich auf eine von zwei Besonderheiten der Studie, scheint doch ein solch strittiges, abschließendes Argument, das zumal an die Ursprünge der Historiographie zur Sklaverei anknüpft, nach weiterer Aufklärung zu verlangen.6 Boucher erkennt diese Notwendigkeit und deutet die Erarbeitung einer Folgestudie zur Entwicklung der französischen Besitzungen in der Zirkumkaribik im 18. Jahrhundert an. Damit kommt er einer übereilten Bewertung zuvor und lenkt den Fokus auf die Stärken seiner Studie: Wer die Grundlagen, Strukturen und wesentlichen Charakteristika der französischen Expansion im atlantischen, speziell im karibischen Raum verstehen will, der wird an Bouchers France and the American Tropics kaum vorbeikommen. Auch die zweite Besonderheit der Studie darf als eine ihrer Stärken begriffen werden. Neben dem ausführlichen Endnotenapparat im Anhang stellt Boucher auf seiner Homepage außerdem eine Bibliographie sowie ein weiteres Kapitel, das die zeitgenössischen, französischen Vorstellungen und Stereotypen zur Karibik im 17. Jahrhundert erläutert, zur Verfügung. Auf diese Weise umgeht er nicht nur die publizistischen Vorgaben seines Verlages, sondern erleichtert auch anknüpfende Recherchen zur Thematik, etwa im Rahmen eines Seminars.7

So bleibt ausgangs der Wunsch, dass sowohl Bouchers als auch Pritchards Studie den Weg in deutsche Seminare und den hiesigen Forschungsdiskurs finden. Schließlich stehen mehrere exzellente Studien zur Verfügung, die zum einen unser Verständnis zur Kolonialisierung des atlantischen Raums nachhaltig verbessern, zum anderen aber die weitere Untersuchung ihrer Argumentation und Thesen in diversen Mikrostudien geradezu herausfordern.

Anmerkungen:
1 John H. Elliott, Empires of the Atlantic World: Britain and Spain in America 1492 - 1830, New Haven 2007.
2 Torsten Loschke: Rezension zu: Wende, Peter: Das Britische Empire. Geschichte eines Weltreichs. München 2008, in: H-Soz-u-Kult, 12.03.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-206>.
3 Vgl. Pierre Pluchon, Histoire de la Colonisation Française, Paris 1991.
4 Siehe u.a. Lucien Abénon, Les Français en Amérique: Histoire d'une Colonisation, Lyon 1993; Marcel Dorigny (Hrsg.), Les abolitions de l'esclavage, Saint-Denis 1995; des Weiteren sei auf die neueste Studie von Frédéric Régent, La France et ses Esclaves. De la Colonisation aux Abolitions, 1620-1848 (Paris 2007) hingewiesen.
5 Boucher kritisiert vor allem William Eccles, The French in North America, 1500-1783, East Lansing3 1998 sowie James McClellan, Colonialism and Science: Saint Domingue in the Old Regime, Baltimore 1992.
6 Siehe u.a. Frank Tannenbaum, Slave and Citizen, New York 1947; Stanley Elkins, Slavery. A Problem in American Institutional and Intellectual Life, Chicago 1959; Eugene D. Genovese, The Political Economy of Slavery, New York 1965.
7 Siehe Philip P. Boucher, <http://www.philipboucher.com>.

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24.09.2010
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