C. Martin: Quand je pense à l'Allemagne, la nuit

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Title
Quand je pense à l'Allemagne, la nuit. Mémoires d'un ambassadeurs


Author(s)
Martin, Claude
Published
La Tour-d'Aigues 2023: Éditions de l'Aube
Extent
936 S.
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Michel Espagne, Paris

Man kann nur bedauern, dass Botschafter ihre Memoiren nur selten publizieren. Claude Martin, der frühere französische Botschafter in Beijing (1990-1993) und Berlin (1999-2007), hat glücklicherweise zwei dicke Bücher (jeweils 945 und 925 Seiten) geschrieben, die nicht nur über seine Zeit als offizieller Vertreter Frankreichs, sondern auch über seine Jahrzehnte lange Mitwirkung an der China- und Deutschland-Politik der entsprechenden französischen Regierungen berichten.

Der zweite, Deutschland betreffende Band ist 2023 erschienen. Obwohl Claude Martins Familie aus dem Departement Haute-Loire im Zentralmassiv stammte, ist das Kind in der Pariser Vorstadt Poissy in einer Zeit aufgewachsen, in der der Schatten der letzten Kriegsjahre noch die frühen Jugendjahre trüben konnte. Im Buch erzählt der Botschafter zum Beispiel von seinem Französischlehrer, einem Franziskaner, den er besonders schätzte, und der noch in den 1950er Jahren an den gesundheitlichen Schäden litt, die ihm rohe Behandlung im Konzentrationslager Rawa Ruska zugefügt hatte. Gerade dieser Mann hatte ihm eine Übersetzung des Romans von Wiechert „Die Jeromin-Kinder“ geschenkt, so dass die Erinnerung seiner unmittelbaren Umwelt an die düsteren 1940er Jahre ihn keineswegs von dem Projekt ablenken konnte, sich der Entdeckung der deutschen Literatur zu widmen. Diese Entdeckung führte ihn beispielsweise dazu, mit einem gleichaltrigen jungen deutschen Austauschschüler, den er später nicht mehr aus den Augen verlor, eine Radwanderung vom Familienhaus im Zentralmassiv nach Frankfurt zu unternehmen. Die Radwanderungen blieben auch für den späteren Botschafter an der Tagesordnung.

Claude Martin, der sich neben der deutschen auch die chinesische Sprache aneignete, sollte jedoch kein Germanist werden, sondern eher ein Politikwissenschaftler mit einem Schwerpunkt in den deutsch-französischen Beziehungen. Als solcher war er von der Tradition geprägt, die Adenauer und De Gaulle gegründet hatten, indem sie 1963 den Elysée-Vertrag unterzeichneten und den Weg für möglichst enge deutsch-französische Beziehungen innerhalb einer noch engen europäischen Gemeinschaft anbahnten.

Dieses politische Projekt war aber von mehreren Seiten bedroht. Die Nato übte von vornherein eine Kontrolle über die deutsch-französischen Beziehungen aus und verstand Europa als eine Art Erweiterung Nord-Amerikas, für welche auch nur der Ansatz einer eigenständigen Verteidigungspolitik eine Gefahr darstellte. Ein gewisses Gleichgewicht zwischen der Dynamik einer deutsch-französischen schrittweisen Verschmelzung innerhalb des « couple franco-allemand », eines Begriffs, der nie richtig zu übersetzen war, und den Anforderungen der Nato konnte noch einigermaßen gerettet werden, solange die Sowjetunion nicht zusammengebrochen war. Rückblickend ist Claude Martin der Ansicht, dass ein bestimmtes Miteinanderschreiten von Deutschland und Frankreich ohne osteuropäisches Reservoir an billiger Arbeitskraft und ohne überhebliche Unkenntnis der Nachbarkultur die Vorbedingung für eine ernstzunehmende EU gewesen wäre. Nach der deutschen Vereinigung und nach dem Ende des Warschauer Pakts stellte sich in der Tat nicht nur die Frage nach einer Fortsetzung der Nato, sondern auch nach der Eingliederung in die EU der osteuropäischen und baltischen Länder, die die militärische Abgrenzung von Russland zu einem Glaubensbekenntnis erhoben hatten. Ihnen sei die Problematik der deutsch-französischen Integration eher gleichgültig gewesen, solange die EU nur als Moment der Nato und der Einordnung in eine nordamerikanisch definierte westliche Welt verstanden werden konnte. Diese Dynamik, deren einzelne Phasen Claude Martin als autorisierter Beobachter im Einzelnen schildert, entsprach aber langfristig einer Absage an den französischen Traum eines auf zwei ebenbürtigen Partnern, Deutschland und Frankreich, beruhenden Kerneuropas und an die gaullistische Sehnsucht nach einem friedlichen Kontinent, das die ganze europäische Bevölkerung zwischen Atlantik und dem Ural unter einem einzigen Dach versammelt hätte. Die Partnerschaft von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt, von Helmut Kohl oder Gerhard Schröder und Jacques Chirac schien ein politisches gesamteuropäisches Schema dieser Art noch begünstigen zu können. Allerdings konnte diese Vorstellung dann nicht mehr ernsthaft verteidigt werden. Die Geschichte Europas in den letzten zwanzig Jahren lasse sich als Niedergang eines eigenständigen Europas verstehen. Und die unmittelbare Konsequenz sei die fieberhafte Ausdehnung der Nato nach Auflösung des Warschauer Pakts und die nicht weniger fieberhaft betriebene Heraufbeschwörung einer russischen Gefahr. Der Beitritt zur EU sei zu einem ersten Schritt auf dem Weg zur Nato degradiert worden.

Als feiner Kenner der chinesischen Politik, der 1989 die Ereignisse auf dem Tian’anmen Platz als direkter Zeuge beobachten konnte, ist Claude Martin in der Lage, die deutsch-französischen Beziehungen von einem wirklich globalen Standpunkt aus zu analysieren. Die vielen Episoden der französischen Europapolitik hat er 50 Jahre lang mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, so dass das dicke Buch, das er heute publiziert, aus einer Vielzahl von im Alltag niedergeschriebenen Notizbüchern entstanden ist. Zahlreiche Anekdoten, die jetzt in Vergessenheit geraten sind, wie das erstaunliche Auftreten von Brigitte Sauzay als Beraterin von Kanzler Schröder, dürften für die künftigen Historiker als Quelle ersten Ranges betrachtet werden. Porträts der Politiker, die Claude Martin unterwegs traf, von Roman Herzog bis Joschka Fischer über sämtliche deutsche Kanzler und französische Präsidenten vermitteln einen sehr lebendigen Überblick über die deutsch-französischen Beziehungen, auch wenn sie meistens in der Perspektive des von Frankreich ersehnten Kerneuropas wahrgenommen werden. Man spürt in dem Buch eine richtige Begeisterung für die deutsche Kultur. Martin besucht mit Andacht das Grab Hölderlins in Tübingen, ist mit Kleist und Rahel Varnhagen vertraut, und der Titel seiner Memoiren ist ein Verweis auf Heine. Darf ihm daraus, dass er sich hauptsächlich auf dem Parkett der diplomatischen Treffen bewegt und die soziologischen Bedingungen, die die europäischen Gesellschaften weitgehend bestimmen, außer Acht lässt, ein Vorwurf gemacht werden? Zweifelsohne hat Claude Martin ein beeindruckendes Gespür für die Brücken jeder Art, die die europäischen Kulturräume miteinander verbinden. Der Maßstab, den er in seiner Geschichte der EU anlegt, bleibt jenes anfängliche in der Nachkriegszeit entstandene Modell eines Zusammenwachsens Deutschlands und Frankreichs, das im Laufe der politischen Krisen zerbröckelte. Auch ist sein Versuch zu begrüßen, den Ukrainekrieg als Konsequenz einer Entwicklung zu verstehen, die mindestens vor zwei Jahrzehnten begann. Dabei liefert er zumindest eine Alternative zur heutigen Verzettelung des europäischen Raums und zu der sich breit machenden Kriegsstimmung, die den Prozess begleitet. Dass die politische Geschichte des europäischen Kontinents von einem so gut informierten Diplomaten anhand reichhaltiger Dokumente erster Hand untersucht wird, ist eine Seltenheit. Deshalb wäre eine deutsche Übersetzung dieser Memoiren höchst wünschenswert.

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Published on
24.11.2023
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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