P. Vries: Zur politischen Ökonomie des Tees

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Title
Zur politischen Ökonomie des Tees. Was uns Tee über die englische und chinesische Wirtschaft der Frühen Neuzeit sagen kann


Author(s)
Vries, Peer
Series
Stabwechsel. Antrittsvorlesungen aus der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien 1
Published
Extent
161 S.
Price
€ 14,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Alexander Drost, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald

In seiner für die Professur für „Internationale Wirtschaftsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Globalgeschichte“ gehaltenen Antrittsvorlesung, die in der Reihe „Stabwechsel. Antrittsvorlesungen aus der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien“ erschien, fragt der Historiker Peer Vries, wie sich der Handel von Tee zwischen Asien und Europa auf die Entwicklung ökonomischer Strukturen auswirkte. Darüber hinaus geht Vries auch der Frage nach, inwieweit das Beispiel des Teehandels überhaupt dienlich ist, politische Ökonomien zu untersuchen. Obwohl im Mittelpunkt der Betrachtung die Wirtschaften von China und England stehen, verwendet der Autor viel Zeit darauf, den globalgeschichtlichen Ansatz vor dem Hintergrund der frühneuzeitlichen Weltwirtschaft zu reflektieren. Sein Blick auf Strukturen und ökonomische Theorien eröffnet dabei eine andere, nicht weniger interessante Perspektive auf den Tee und seine Rolle in den weltweiten Austauschbeziehungen als die gegenwärtig dominierenden kulturhistorischen Untersuchungen, wie zum Beispiel die im gleichen Verlag erschienene Studie von Martin Krieger.1 Doch im Vergleich wird deutlich, dass es sich um eine Antrittsvorlesung und einen Problemaufriss handelt, worauf unter anderem der fehlende Index hindeutet. Gleichzeitig machen die Problematisierungen und Fallbeispiele Lust auf eine noch zu vollendende Gesamtstudie, insbesondere wenn es zu zeigen gilt, ob der Teehandel in der Frühen Neuzeit bereits globalen Marktmechanismen unterlag.

Dieser Überlegung verschafft Peer Vries vor allem in seinem einleitenden Fragenkatalog und mit dem Versuch einer ersten Beantwortung Raum. Neben einer kurzen Problematisierung des Periodenbegriffs „Frühe Neuzeit“ fragt Vries, ob es denn überhaupt eine globale Weltwirtschaft in vornationalstaatlicher Zeit gegeben hat und ob diese auch einer Logik folgte, die dem Wirtschaftshistoriker einen ausreichenden Untersuchungsgegenstand liefert. Nachdem der Autor dem Terminus „Frühe Neuzeit“ mit John Richard (S. 16) eine allzu ausgeprägte Problematik in diesem Kontext abspricht, konzentriert er sich auf die Frage, ob und ab wann „es eine frühmoderne Welt-Wirtschaft“ gegeben hat. Trotz der zahlreichen Widersprüche gegen eine solche Annahme bei Kevin OʼRourke oder Patrick OʼBrien (S. 20) hat Vries mit Hilfe von Einschränkungen dieses Widerstands aus der Hand derselben Autoren auf den grundlegenden Wandel der Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Handel im Zuge der frühneuzeitlichen europäischen Expansion hingewiesen und so Raum für seine Untersuchung geschaffen. Anschließend widmet sich der Autor der methodologischen Spannung zwischen Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsgeschichte. Hierbei begründet Vries, warum sowohl Marktmechanismen als auch Institutionen in den näheren Fokus seiner Analysen rücken müssen, er dabei aber den „malthusianischen“ Charakter der Welt nicht außer Acht lassen kann. Reine Institutionenökonomie oder die Beschwörung von Theorien eines allgegenwärtigen Marktes und der durch ihn vorgegebenen Gesetze können für den Untersuchungszeitraum singulär nicht angewandt werden. Bei der Thematisierung seines globalgeschichtlichen Ansatzes schweift Vries in der Ablehnung einer wenig fruchtbaren Eurozentrismusdebatte so weit ab, dass sich der Leser auf Seite 35 (bei 161 Seiten Gesamtumfang) wirklich fragt, „wo der Tee bleibt“. Eine Definition seines Begriffs von Globalgeschichte bleibt der Autor schuldig. Er will versuchen an die Wiener Traditionen einer „breit angelegten Wirtschaftsgeschichte, die Wirtschaft und Gesellschaft verbindet“ anzuschließen.

Mit einer Beschreibung des Teehandels beginnen dann auf Seite 38 die interessanteren, zum Teil erstaunlichen Einblicke in die Organisation des Warenverkehrs und der Akteure in China und England. Nach einem Überblick über die Akteure in den verschiedenen europäischen Handelskompanien, von denen die niederländische und die englische Kompanie die wichtigste Rolle spielten, stellt Vries erste ökonomische Verknüpfungen dar, die einerseits ihren Ursprung in der Herausbildung einer spezifischen Teekonsumkultur und andererseits in den Untiefen europäischer Macht- und Kolonialpolitik hatten. Die Bedeutung des Teehandels für die englische und chinesische Wirtschaft bewertet Vries entsprechend den verschiedenen Strukturen der Länder unterschiedlich. Obwohl für die Profite der englischen Ostindienkompanie und der privaten Händler äußerst wichtig, nimmt der Außenhandel mit Tee am Gesamtwirtschaftsaufkommen Chinas einen sehr geringen Teil ein. Betrachtet man aber nur den Anteil des Tees am chinesischen Außenhandel, dann konnte dieser je nach Schätzung im Verlauf des 19. Jahrhunderts bis zu einem Drittel betragen. Wichtiger waren die Einnahmen aus dem Teehandel für den Staat. Das Steueraufkommen in Großbritannien, das Tee im 18. Jahrhundert mit nie weniger als 65% besteuerte, bescherte dem englischen Fiskus Einnahmen in Millionenhöhe, die durchschnittlich ein Prozent des Bruttonationaleinkommens ausmachten (58). Doch die gesamte wirtschaftliche Bedeutung, insbesondere in Europa, wird nur klar, wenn man die Implikationen des Teekonsums als Massenphänomen betrachtet. Im Anschluss an die kurze Darstellung der Konsumkultur holt Peer Vries weit aus und geht der Frage nach, ob China das Zentrum der Weltwirtschaft in der Frühen Neuzeit darstellte, um dann sukzessive Silver-Sink-Thesen oder Überlegungen zum Technologiefortschritt Chinas zu widerlegen und die Bedeutung der britischen Wirtschaftskraft und seiner Dienstleistungsstärke auch im Handel mit Tee zu betonen. Hierbei reduziert der Autor die Weltwirtschaft aber hauptsächlich auf die bilateralen Beziehungen zwischen Großbritannien und China, obwohl wir den „China factor“ 2 in der Region Südostasien kennen und wissen, wie sich Europäer bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich einem zweckmäßigen und ertragreichen „countrytrade“ unterwarfen.3 Nicht nur dass auch die niederländische VOC eine wichtige Macht im maritimen Südostasien war, auch unter der Qing Dynastie (1644-1911) gab es im 18. Jahrhundert ein „Chinese century“ in dieser Region.4 Doch es gelingt Vries in der Reduktion seiner Betrachtungen auf Großbritannien und China die strukturellen Unterschiede beider Volkswirtschaften – vornehmlich am Beispiel der Organisation des Agrarsektors und des Steueraufkommens – herauszuarbeiten (S. 114), um dann die Rolle des Marktes und die Entwicklung bzw. Auflösung traditioneller Produktionsformen zu betrachten (S. 115). Er kommt zu dem Schluss, dass die evolutionär-hierarchisch angelegten klassischen Wirtschaftstheorien grundsätzlich von einem Verschwinden der kleinbäuerlichen Wirtschaft ausgingen, damit aber die Anpassungsfähigkeit und Ertragskraft in Wirtschaftsregionen wie China und Russland übersahen. Vries macht auf diese Weise eindrucksvoll deutlich, wie der Fokus der Wissenschaft auf westlich-europäische Wirtschaftsentwicklung zu einer sehr beschränkten globalen Wirtschaftstheorie führten, die nichtwestliche sozio-kulturelle Realitäten unterschlug. Aussagekräftigere Denkmodelle entwickelten sich dann vor dem Hintergrund der Industrialisierungen des 20. Jahrhunderts in Asien und führten zu einem Perspektivwechsel in der Betrachtung der industriellen Entwicklung der Welt Ende des 18. Jahrhunderts.

Im Kontext dieser Betrachtung gesteht Vries dann vor allem den kalifornischen Untersuchungen zur Wirtschaftsgeschichte zwischen Ost und West in der Frühen Neuzeit die Richtigkeit der Feststellung zu, dass China in diesem Zeitraum weder unproduktiv noch arm war, sondern die unterschiedlichen Strukturen einen möglichen Entwicklungsvorsprung gegenüber Großbritannien verhinderten. Vries betont, dass – zeitgleich mit Großbritannien – die in China gegen Ende des 18. und im 19. Jahrhundert einsetzende Intensivierung der Arbeitsleistung nicht nachhaltig genug war (S. 149). Strukturelle Unterschiede in den Produktionsweisen ermöglichten die Industrialisierung Großbritanniens und verhinderten die Industrialisierung Chinas (S. 153). Diese strukturellen Unterschiede wirkten noch stärker in einem Umfeld eines schwachen Staates, der angeblich kaum zu lenken im Stande war (S. 159). Auch wenn in der zweiten Hälfte des Bandes nur noch vereinzelt auf den Tee verwiesen wird, entdeckt man ihn als Teil ausgesuchter, in kleinbäuerlichen Betrieben hergestellter und von westlichen Kunden begehrter chinesischer Produkte. Sein Anteil nahm sukzessive ab, bei gleichzeitiger Zunahme der Importe aus den alternativen Anbauregionen in Assam, Darjeeling oder Ceylon. Die preiswerte Handarbeit und das unüberschaubare Geflecht der zunehmend an Qualität einbüßenden chinesischen Produktion konnten aus Mangel an Innovation und staatlicher Unterstützung mit den konkurrierenden Produkten am Weltmarkt nicht mithalten. Peer Vries ist ein Anfang gelungen, anhand eines Produkts, das in der Frühen Neuzeit in vielen Gesellschaften der Welt kulturell verändernd wirkte, strukturelle Eigenheiten und Verknüpfungen in der Ökonomie aufzuzeigen. Doch braucht es eine ausführlichere Studie, die der Komplexität von ökonomischen Strukturen gerecht wird, insbesondere, wenn man den Anspruch verfolgt, eine globale Perspektive auf den Handel mit Tee in der Frühen Neuzeit zu gewinnen.

Anmerkungen:
1 Martin Krieger, Tee. Eine Kulturgeschichte, Köln 2009.
2 Sun Laichen, Assessing the Ming Role in China’s Southern Expansion, in: Geoff Wade/ Sun Laichen (Hrsg.), Southeast Asia in the Fifteenth Century. The China Factor, Singapore, Hong Kong 2010, S. 57.
3 Martin Krieger, Kaufleute, Seeräuber und Diplomaten. Der dänische Handel auf dem Indischen Ozean (1620-1868), Köln 1998.
4 Leonard Blussé, Chinese Century. The Eighteenth Century in the China Sea Region, Archipel 58 (1999), S. 107-129.

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06.07.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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