In seinem Vorwort gibt der Autor einige wichtige Informationen über Ziele und Inhalte seines Werks. So beginnt er gleich mit der Feststellung, es handle sich um eine „Ergänzung zu meinem Hauptwerk“ (S. 9). Mit Hauptwerk meint Henze seine „Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde“, die er in jahrzehntelanger mühevoller Gelehrtenarbeit zusammenstellte. Zwischen 1975 und 2004 erschienen 27 Lieferungen mit mehr als 3600 Druckseiten, ein wahres Titanenwerk. Die Enzyklopädie endet 1900, was man immer schon als unglücklich empfand, der Erste Weltkrieg hätte sich als weltgeschichtliche Zäsur sicher mehr angeboten. Das vorliegende Werk setzt die Enzyklopädie zeitlich fort, es lässt aber darüber hinaus in vieler Hinsicht denselben Verfasser erkennen. Sprache und Inhalt sind sehr ähnlich, lediglich die Gliederung wechselt vom Biographischen zum Regionalen.
Auch was der Autor unter „der geographischen Erforschung“ versteht, macht er im Vorwort unmissverständlich deutlich. Es ist die „geographische Ganzheitlichkeit“ (S. 9), die komplexe Betrachtungsweise von Ländern und Landschaften. Die geographische Detailforschung, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts mehr und mehr durchgesetzt hat, spielt für Henze keine Rolle: „Keinen Platz können beanspruchen Arbeiten über quartäre Strandlinien, über Eisdickenmessungen, über seitliche Erosion u.ä.m.“ (S. 10). Sein Bedauern, dass sich die Geographie von ihrem länderkundlichen Ansatz abgewendet hat, mögen viele Geographen, vor allem ältere, teilen.
Und noch eine weitere Bemerkung des Vorwortes deutet Henzes Einstellung seinem Stoff gegenüber an: „Im Forschungswettstreit der Nationen blieb Deutschland in der ersten Reihe“ (S. 9). Das klingt nach Erich Mindt „Der erste war ein Deutscher“ (1942) und ist auch so gemeint. Im Vordergrund der Darstellung stehen die unbestritten großen Verdienste deutsch(sprachig)er Forscher. Henze macht in sympathischer Offenheit kein Hehl daraus, dass die Akteure seine Helden sind, deren Taten es verdienen, wieder an die Öffentlichkeit gebracht zu werden. In diesem Sinne ist das Buch ein „Who was where“, eine einzigartige Aneinanderreihung von Forschungsreisen und deren publizierten (!) Ergebnissen.1 Wobei nach unten kaum Grenzen sichtbar werden: Selbst eine Hochzeitsreise durch Korea findet Aufnahme, da als Ergebnis „ein gut bebildertes Werk“ entstand (S. 95). Weniger wäre oftmals Mehr gewesen, denn damit wird ein weiteres Problem angedeutet: Der Text ist durchsetzt von Eigennamen von Personen wie Orten, was die Lesbarkeit nicht gerade auflockert. Zahlreiche detaillierte Routenbeschreibungen mit Namenlisten, z. B. „Eregli – Devrek – Boli – Düsdje – Aktsche-scheht“ (S. 32), „von Aden über Schuqra, Laudar Nisab, Wadi Djirdan nach Hadramaut“ (S. 47) usw. erfordern eine räumliche Vorstellungskraft, die kein Mensch besitzt, oder großmaßstäbige Karten, die sich zumeist in den Originalberichten befinden, hier aber vollends fehlen. Selbst der gewissenhafte Leser, der sich bemüht, die Reiserouten im Atlas oder im Internet nachzuvollziehen, wird vor schier unlösbare Probleme gestellt, da viele Orte heute anders geschrieben werden. Ähnliches gilt für Völkernamen („die Wahima (Watussi) und die Wanjambo, die Waganda und die Waheie, die Wageia und die Bakulia, die Masai und die Wandorobbo“ S. 196). Einige Überblickskarten zu den einzelnen Großregionen wären für den Verlag sicher aufwändig gewesen, hätten dem Leser aber die Orientierung erleichtert.
In einem Kontrast zu solchen schwerfälligen Aufzählungen geographischer Namen steht die Sprache Henzes, die er wählt, um seiner Hochschätzung der Forscherleistungen Ausdruck zu verleihen: „Bei allem Streben nach einer aufgelockerten, lebendigen Form waren epitaphisch anmutende Prägungen nicht zu vermeiden, die indes dem nicht mißfallen werden, der das Werk als Ehrenmal deutscher Forschungsreisender aufzufassen geneigt ist“ (S. 10). Immer wieder bemüht sich Henze, seine Beschreibungen und Bewertungen in eine künstlerische Sprachhülle zu stecken. So wird das große China-Werk Ferdinand von Richthofens zu „einer faustischen Schöpfung, deren Lichtbau dem Eintretenden geistige Läuterung verhieß“ (S. 14). Nachdem Henze die Publikationen des Schutztruppenoffiziers Ludwig von Stein in Kamerun ausführlich und mit viel Empathie dargelegt hat (S. 246–249), steigert er sich gegen Ende: „In diesem stygischen Winkel mit seinen Hippopotamus und Riesenalligatoren bewährte sich STEINs alle niederhaltende Kraftnatur. Er blieb ganz empfangenden Sinnes inmitten dampfender Sumpf- und Wasserwälder ...“ (S. 249). Richard Kandts Buch „Caput Nili“ ist für Henze „von tiefbeseelter Prägung und vollendeter Form, nicht geschrieben für reine Sachgeister“ (S. 200). Zu einem Buch Walther Pencks über die Puna de Atacama heißt es: „Das kleine erlebnisfrische Buch entzückte jede träumerische Seele und erregte die Mitgehenslust aller geographischen und nichtgeographischen Leser“ (S. 299). Und Martin Schwind, „ein Abendländer von tiefer japanischer Gefühligkeit“, fand nach Henze „im kolonialen Bild Karafutos [...] die reinsten Züge japanischen Seelentums“ (S. 101). Kein Wunder, dass der Geographiehistoriker bei so viel Seele sogleich an Ewald Banse denkt, der die Wissenschaft mit der Kunst versöhnen wollte und die Seele in der Landschaft suchte. Henze wurde 1968 mit einer Arbeit über Banse promoviert und hat sich immer wieder mit dessen Werk auseinandergesetzt.
Die bisherigen Zitate haben bereits gezeigt, dass sich Henze einer Sprache bedient, die so manchen Leser zumindest irritieren wird, erwartet man sie nicht in einem Sachbuch des Jahres 2016, von einem Wissenschaftsbuch ganz zu schweigen. Es ist die Sprache der Zeit, in der sich der Verfasser bewegt. Und damit sind wir beim Hauptproblem des Buches. Der Klappentext verheißt „eine eindrucksvolle Zusammenschau und kritische Würdigung“. Eine eindrucksvolle Zusammenschau ist es ohne jeden Zweifel, eine kritische Würdigung hingegen nicht. Hierzu fehlt Henze die Distanz, eine wichtige Grundlage für jede wissenschaftliche Abhandlung. Man sucht vergebens nach kritischen Untertönen; Fragen nach den Motiven werden nicht gestellt, einzig „Wagelust und Tatenwille“ (S. 9) scheinen der Antrieb der Reisenden gewesen zu sein. Der politische Kontext der Forschungen, gleichgültig ob im Zeitalter des Kolonialismus oder während des Nationalsozialismus, spielt für Henze keine Rolle. Daher kann es auch kaum verwundern, dass die jüngere Forschungsliteratur, bis auf wenige Ausnahmen, unberücksichtigt bleibt. Einzige Quellenbasis bilden die zeitgenössischen Veröffentlichungen, die allerdings exzessiv: Die beiden Literaturverzeichnisse – warum es zwei sind, bleibt unklar – umfassen 80 Seiten und enthalten 1840 Titel!
Der Autor identifiziert sich so sehr mit seinen Helden, empfindet so starke Sympathie mit ihnen, dass sich die Texte Henzes und die zeitgenössischen Berichte in Form und Inhalt nicht mehr unterscheiden. Wenn Zitate nicht als solche mit Anführungszeichen kenntlich gemacht wären, wüsste man häufig nicht, stammt der Text aus 2016 oder 1916. Zweifellos hat die deutsche Kolonialkartographie hervorragende Karten hervorgebracht, aber muss, nein darf man die „Zeit der schönsten Blüte der deutschen Kolonialkartographie“ (S. 15) so enthusiastisch verklären: „Es war ein rauschhaftes Schaffen, dessen schöpferischer Glanz das Ephemerische jener einzigartigen Epoche um so schmerzhafter machte“ (S. 16). Oder im Buch „Kumbuke“ des Kolonialoffiziers August Hauer wird die koloniale Landschaft zur „Bühne aller opfervollen Gefechte und Patrouillen. Die Bühne bleibt davon unberührt, und dies ist wie Trost für die Schicksale und Leiden der kämpfenden Truppe“ (S. 214 f.). Ob es auch ein Trost für die niedergemetzelten Afrikaner war? Solche Texte stehen in der Kolonialliteratur zuhauf, hier aber werden sie von Henze als seine eigenen Worte geschrieben. Da passt es auf erschreckender Weise, dass die „Kolonialschuldlüge“ in der Weimarer Republik den Kolonialgegnern Gustav Noske und Matthias Erzberger zugewiesen wurde. Henze übernimmt diese Diktion, ohne jeden Kommentar als Tatsache (S. 17)! Spätestens hier fragt man sich, was man da gerade liest, aber auch, ob das Buch lektoriert wurde und die beiden prominenten Stiftungen, die das Buch gefördert haben, diese Stellen kannten.
Nach all der Kritik bleibt abschließend festzuhalten, dass Henze ein an Fakten überbordendes Werk geschrieben hat. Mancher wird das Buch als Nachlagewerk nutzen, vermutlich ohne Henze als Quelle zu nennen. Auch dies ist das Schicksal solcher enzyklopädischer Kompilationen. Oder wie Henze Franz Thorbecke über Hans Dominik zitiert: „Für die Wissenschaft sind die Bücher eine oft nur schwer zu entwirrende Materialsammlung, trotzdem bleiben sie eine reiche Fundgrube“ (S. 250).
Anmerkung:
1 Nur am Rande sei erwähnt, dass trotz der Fülle an Akteuren auch seltsame Lücken existieren. So fehlen beispielsweise der Offizier Paul Graetz, der 1907–1909 als erster Afrika von Küste zu Küste mit dem Auto durchquerte, oder die Geographen Gustav Stratil-Sauer, der auf dem Motorrad 1924–1926 bis nach Afghanistan kam, und Wilhelm Rohmeder, dessen Landeskunde von Argentinien (1937) ihm als Habilitationsschrift anerkannt wurde. Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.