Der Blick auf den Kalten Krieg hat sich in den letzten Jahren sehr erweitert. Längst wird der Begriff nicht mehr ausschließlich auf den Wettstreit der beiden Supermächte USA und Sowjetunion um die politische Hegemonie bezogen; erst recht werden die einstmals so beherrschenden Fragen der militärischen Vorherrschaft kaum noch behandelt. Unter der Rubrik Public Diplomacy werden gegenwärtig ganz unterschiedliche gesellschaftliche Phänomene in den Blick genommen, wobei sehr oft kulturelle Austauschprozesse im Vordergrund der Betrachtung stehen – dann ist zumeist von Cultural Diplomacy als einer Form der Soft Power die Rede. Mehr noch: Solche Untersuchungen haben die Frage aufgeworfen, ob es nicht geraten sei, zusätzlich zum Cold War of Cultures von einem Cultural Cold War zu sprechen.
Die Betrachtung dieses Phänomens ist eines der Hauptthemen des vorliegenden Bands. Das wird besonders im letzten Beitrag des Mitherausgebers Giles Scott-Smith über den „Kremlflieger“ Mathias Rust deutlich. Rusts Aktion vom Mai 1987 schien den Zeitgenossen zunächst nichts anderes zu sein als die Tat eines verwirrten, damals knapp 19-jährigen Einzelgängers, der mit seiner einmotorigen Cessna 172 mitten in Moskau landete. Erst die Betrachtung aus der Rückschau macht sichtbar, wie das gesellschaftliche Klima des Kalten Kriegs den Hintergrund für diese Aktion bildete, bei der es darum ging, die Begrenzungen des Systemgegensatzes durch imaginäre Brücken zu überwinden.
Für die Untersuchung des Cultural Cold War haben die Herausgeber Beiträge zu den Themenbereichen Visuelle Kultur, literarisches und akademisches Milieu, Musik und Darstellende Künste zusammengestellt, die beschreiben, wie diese Bereiche für eine Cultural Diplomacy nutzbar gemacht wurden. Die Lektüre des Bands ist somit ein Streifzug durch ganz unterschiedliche Phänomene. Die Aufsätze liefern Material zur weiteren Diskussion der Frage, welcher der Begriffe Cultural Cold War, Cold War Culture oder Cultural Diplomacy die Vielzahl der hier angesprochenen Aspekte am besten beschreibt.
Verity Clarkson beleuchtet die komplizierten Umstände der Planung und Realisierung der Londoner Ausstellung „Art in Revolution“ von 1971 und fragt, welche Ost-West-Wechselwirkungen hier eine Rolle spielten. Deutlich wird, wie wichtig private Kontakte als Initialzündung zu einer Zeit waren, als offizielle Verbindungen noch kaum existierten. Künstlerische Zusammenarbeit erwies sich als das erste Fenster, das eine Kulturdiplomatie möglich machen sollte. Es ging noch nicht so sehr darum, die andere Seite von der Richtigkeit der eigenen Position zu überzeugen, sondern zunächst einmal darum, das Gegenüber kennenzulernen.
Ganz ähnlich stand kein Wettstreit, sondern das Bedürfnis nach gemeinsamer Lösung konkreter Probleme am Anfang der niederländisch-sowjetischen Kontakte zwischen Architekten, die schon seit den frühen 1930er-Jahren nach modernen Wohnformen suchten, wie es Ksenia Malich beschreibt. Auch wenn die eigentliche bilaterale Zusammenarbeit scheiterte, wurden die Ergebnisse doch in Chruschtschows Sowjetunion in veränderter Form wiederaufgenommen; und auch in den Niederlanden gab es Nachwirkungen, als im Zuge der Abriegelung des IJsselmeers in den Poldern neue Siedlungen angelegt wurden.
Annette Vowinckels Beitrag hingegen stellt die persuasive Funktion der Kulturdiplomatie in den Vordergrund, indem sie eine Fotoausstellung zur Berliner Mauer beschreibt, die 1962 vom United States Information Service (USIS) erarbeitet wurde, einem Gremium zur Darstellung der US-amerikanischen Politik im Ausland. Die Präsentation war in mehr als 40 westdeutschen und US-Botschaften zu sehen. Vowinckel vergleicht diese Ausstellung mit den Bemühungen der DDR, sich mithilfe des Mediums Fotografie national und international darzustellen. Sie weist darauf hin, dass beide Seiten sich als Propagandisten bezeichneten, wobei sie nicht der Frage nachgeht, ob Ost und West wirklich dasselbe unter diesem Begriff verstanden.
Timo Vilén interessiert sich für den Zusammenhang von politischer Diplomatie und politischer Kultur. Am Beispiel einer Statue im Hafen von Helsinki beschreibt er, wie die komplexen Konstellationen des finnisch-sowjetischen Verhältnisses auf finnischer Seite von den Nachwirkungen des Winterkriegs (1939/40) und dem ostentativen Friedenswillen der prosowjetischen finnischen Linken geprägt wurden. Für diese innenpolitischen Gegensätze schlägt er den Begriff Memory Diplomacy vor.
Astrid Shchekina-Greipel schildert die Bedeutung des sowjetischen Dissidenten Lew Kopelew (1912–1997) als Kulturvermittler zwischen der Sowjetunion und Westdeutschland. Wichtig ist ihre Beobachtung, dass Kopelew in beiden Staaten die jeweils andere Kultur vorstellte, allerdings auf ganz unterschiedliche Weise: In der Sowjetunion fungierte er als Werber für die deutsche Literatur, in der Bundesrepublik wurde er vor allem als Bürgerrechtler wahrgenommen. In beiden Fällen wirkte Kopelew trotz seiner großen persönlichen Autorität stets innerhalb der gesellschaftlich vorgegebenen Rezeptionsmuster des Ost-West-Gegensatzes. Diese Überlegungen helfen möglicherweise bei der Beantwortung der von Shchekina-Greipel aufgeworfenen Frage, warum Kopelew heutzutage, nach dem Ende des Kalten Kriegs mit seiner spezifischen Cold War Culture, nicht bekannter ist, obwohl er von 1980/81 bis zu seinem Tod in Köln lebte.
Natalia Tsvetkova ordnet den Zugriff der beiden Supermächte des Kalten Kriegs auf die Universitäten ausgewählter Länder dem Bereich der Cultural Cold War Studies zu. Die parallele Betrachtung der Situation in den beiden deutschen Staaten, in Äthiopien und Afghanistan erscheint zunächst willkürlich, kann dann aber als schlagender Beleg dafür gelten, wie sich trotz ganz unterschiedlicher Ausgangslage überall ähnliche Grundmuster zeigten: Die lokalen akademischen Netzwerke setzten sich den Einflüssen von außen entgegen.
Sergej I. Zhuk betrachtet, wie sowjetische USA-Experten während der Breschnew-Ära als Kulturvermittler im eigenen Land wirkten. Ihre Tätigkeit in der Sowjetunion führte zu Prozessen kultureller Amalgamierung: Die Faszination des US-Lebensstils wurde in den sowjetischen Film integriert, doch gelang es der offiziellen Propaganda, diese Darstellung auf eine für das Publikum anscheinend glaubhafte Weise mit der gleichzeitigen Abwertung der angeblich verderbten US-Gesellschaft zu verbinden.
Bereits relativ früh hat die Forschung zum Kalten Krieg die Musik als ein blockübergreifend wirkendes gesellschaftliches Feld ausgemacht. Während die ältere Literatur hier von einer aktiven Rolle des Westens und einer eher passiven, widerwillig aufnehmenden Rolle des Ostens ausging, betonen Forscher/innen heutzutage die Interaktion der Einflüsse, wobei insbesondere auch die aktive Rolle des Ostblocks untersucht wird. Dieser Perspektive schließen sich die Beiträge des vorliegenden Sammelbands an.
Evgeniya Kondrashina betrachtet die zentrale Stellung von Schallplattenaufnahmen als Medien der Kulturvermittlung und der Cultural Diplomacy. Am Anfang standen ihr zufolge die Konzertreisen der Tauwetterperiode – offizielle, staatliche Ereignisse, die eine Schlüsselrolle in der beiderseitigen Cultural Diplomacy seit den 1960er-Jahren spielten. Bald entwickelte sich eine Zusammenarbeit zwischen sowjetischen und westlichen Schallplattenfirmen. Anfangs ging es der UdSSR weniger darum, kommunistische Ideologie zu verbreiten, sondern sich als ernstzunehmendes Kulturland von Weltrang zu präsentieren. Während zunächst der Vertrieb sowjetischer Musikerzeugnisse im Westen dominierte, entstand ab Mitte der 1970er-Jahre auch eine Gegenseitigkeit, sodass die Sowjetunion westliche Musik, nicht zuletzt Popmusik, per Schallplatte importierte. Die wirtschaftliche Rezession führte dann zum Niedergang dieses Teils des Musikaustauschs.
Einen lehrreichen Rückgriff in die Zeit vor dem Kalten Krieg unternimmt Viktoria Zora. Sie zeigt, dass die Sowjetunion vor allem in der frühen Stalinzeit kulturpolitisch sehr aktiv war, um eine positive Rezeption im Ausland zu erreichen. So kam es zu Lizenzübereinkünften sowjetischer und US-amerikanischer Organisationen, die noch während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fortdauerten, ab 1946 jedoch eingestellt wurden. Dieser Befund zeigt auch, wie der Kalte Krieg vorher existente Bindungen zerstörte. Der Beginn des Kalten Kriegs erwies sich in den Beziehungen beider Länder als ein Riegel, der zunächst die Fortführung der Kulturkontakte verhinderte, bis dann zu Beginn der Ära Chruschtschow wieder gegenseitige Annäherungen erfolgten.
Bruce Johnson, Mila Oiva und Hannu Salmi analysieren in einem gemeinsamen Beitrag die Reise des Schauspielers und Sängers Yves Montand (1921–1991) in den Ostblock und zugleich den Film, der in der Sowjetunion über diese Reise von 1959 gedreht wurde. Sie verwenden dabei ungewöhnliche Methoden: Die Analyse der Rezeption erfolgt mithilfe einer Reihe von Momentaufnahmen aus dem Film, in denen das lächelnde Publikum gezeigt und propagandistisch eingesetzt wurde. Weniger überzeugend ist die computergestützte Wortfeldanalyse, mit der die Autoren den Freundschaftsbegriff der sowjetischen Medien genauer beschreiben wollen.
Dem Leser drängt sich spätestens bei diesem Beitrag die Frage auf, ob der Terminus Cultural Diplomacy nicht ein zu enges Gefäß für die Vielzahl der Aspekte ist, um die es hier geht: Montand startete in Frankreich als in Westeuropa sozialisierter, moskauorientierter Linksintellektueller, der vor allem den sowjetischen Friedensgedanken hochhielt; er kehrte zurück als desillusionierter Kritiker der Sowjetunion, der vom sowjetischen Überwachungsstaat und seiner Missachtung der Menschenrechte enttäuscht war. Es ist bedauerlich, dass die Autoren nicht auch Montands Aufenthalte in den anderen Ostblockstaaten betrachtet haben, wo, wie etwa im Falle Polens, antisowjetische und antirussische Ressentiments die Dinge zusätzlich verkomplizierten. Zentral ist die Beobachtung, dass die Rezeption seiner Musik entscheidend vom semiotischen Hintergrund des Auditoriums abhing. Montands ironische Darstellung eines Jazzfans konnte in der Sowjetunion als Angriff gegen die Stilyagi interpretiert werden, sodass Montand unversehens als Handlanger der staatlichen Anti-Jazz-Kampagne des Stalinismus und Poststalinismus erschien – während sein Lied „Le fanatique du Jazz“ in Frankreich lediglich als humorvolle Kritik an der Amerika-Manie der französischen Nachkriegszeit gemeint war.
Der Beitrag zeigt ein Grundproblem des Begriffs Cultural Diplomacy: Ohne das Studium derartiger Perzeptionsverschiebungen kann die Wirksamkeit solcher „Diplomatie“ nicht verstanden werden – ein Problem, das sich nicht nur dem Wissenschaftler in der Betrachtung ex post stellt, sondern auch dem Praktiker in der tatsächlichen Situation. Unzweifelhaft deutlich machen die Herausgeber mit diesem Band jedoch, wie nicht zuletzt aufgrund der politischen Konstellationen des Kalten Kriegs im kulturellen Bereich (Cold War Culture) die Verflechtung von Ost und West zu einer Beschreibung als Entangled History auffordert. So erscheint dieser Begriff ganz zu Recht im Haupttitel des Buchs.