M. Ivanova: Cinema of Collaboration

Cover
Title
Cinema of Collaboration. DEFA Coproductions and International Exchange in Cold War Europe


Author(s)
Ivanova, Mariana
Series
Film Europa
Published
New York 2020: Berghahn Books
Extent
278
Price
$ 99,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Andreas Kötzing, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden

Während die Forschung zur Geschichte der DEFA in Deutschland häufig aus einer Binnenperspektive betrieben wird, die vor allem die ästhetischen Entwicklungen und politischen Hintergründe des ostdeutschen Filmschaffens in den Blick nimmt, ist die internationale DEFA-Forschung deutlich breiter ausgerichtet. Transnationale Perspektiven, die die DEFA-Filme in einen größeren filmhistorischen Kontext einordnen, sind in Großbritannien oder den USA keine Seltenheit. Die bereits 2020 publizierte Studie von Mariana Ivanova zur Geschichte der Co-Produktionen der DEFA und dem internationalen Austausch in der Zeit des Kalten Krieges ist hierfür ein hervorragendes Beispiel. Ivanova, die im vergangenen Jahr die Leitung der US-amerikanischen DEFA Film Library (Amherst, Massachusetts) übernommen hat, untersucht darin die Entstehung und Rezeption von DEFA-Filmen, die nicht ausschließlich in Babelsberg produziert wurden, sondern als internationale Gemeinschaftsproduktionen entstanden sind.

Konkret werden in der Studie vier Abschnitte der DEFA-Geschichte näher beleuchtet: zunächst die vier deutsch-französischen Gemeinschaftsproduktionen der DEFA in den 1950er Jahren, dann die Zusammenarbeit mit dem westdeutschen Filmproduzenten Erich Mehl und dessen in Schweden angesiedelter Produktionsfirma „Pandora“, anschließend die utopischen Science-Fiction Filme der DEFA und die „Indianer“-Filme in den 1960er und 70er Jahren, die als osteuropäische Koproduktionen entstanden sind, zuletzt die internationale Zusammenarbeit bei den Drehbüchern zu zwei biographischen Filmen der DEFA, „Goya“ (1971) von Konrad Wolf und „Die Besteigung des Chimborazo“ (1989) von Rainer Simon.

Konzeptionell basiert die Arbeit auf einem breiten Untersuchungsansatz, in dem einerseits die Filme selbst näher beleuchtet werden, andererseits aber auch die Produktionsbedingungen in den Mittelpunkt rücken. Dabei nutzt Maria Ivanova die Begriffe Heritage (Kulturelles Erbe), Collaboration (Zusammenarbeit) und Continuity (Kontinuität) als Schlüssel-Kategorien, um die Ergebnisse ihrer Teilstudien zu bündeln. Langfristige Prägungen aus der Zeit vor 1945 werden dabei ebenso untersucht wie Aspekte des kulturellen Austauschs und filmische Kontinuitäten, auch über die Zeit der DEFA hinaus. Der verheißungsvolle Ansatz eröffnet einen spannenden Blick auf Teilbereiche der DEFA-Geschichte, die sich erst durch die internationalen Bezüge vollends erschließen lassen. Interessant ist dabei, dass Ivanova konkrete politische und ästhetische Entwicklungslinien aufzeigen kann, etwa bei den ostdeutsch-französischen Co-Produktionen in den 1950er Jahren, die sie in die längere Tradition der deutsch-französischen Filmbeziehungen einordnet (Kapitel 1). Oder im Fall der von Erich Mehl initiierten deutsch-deutsch Gemeinschaftsproduktionen, die sich verstärkt an der UfA-Ästhetik orientierten (Kapitel 2). In der Studie werden aber auch die spezifischen Eigenschaften der DEFA näher beleuchtet, etwa die kulturpolitischen Zielstellungen der SED. Die filmische Zusammenarbeit etwa mit Frankreich geschah vor dem Hintergrund, internationale Anerkennung für die DDR zu generieren – ein Ziel, das sich nur bedingt erreichen ließ, denn in Frankreich legte man weit weniger Wert darauf, die Zusammenarbeit mit der DEFA öffentlich zu betonen. Nicht zuletzt kam es zu ideologischen Auseinandersetzungen über die „richtige“ Deutung eines Stoffes, wie im Fall der zweiteiligen Literatur-Adaption von Victor Hugos „Les Misérables/Die Elenden“ (1959). Bei der innerdeutschen Zusammenarbeit mit Erich Mehl wird wiederum deutlich, wie stark das Zustandekommen der Gemeinschaftsproduktionen vom Engagement einzelner Personen abhängig war – erst Mehls trickreiche Umwege über eine schwedische Briefkastenfirma machten die deutsch-deutschen Co-Produktionen möglich, da auf offizieller Ebene nicht mehr an eine Zusammenarbeit zu denken war bzw. zahlreiche Filmprojekte zuvor gescheitert waren.

Bei der Untersuchung der mit erheblichem Aufwand realisierten Genre-Filme der DEFA zeigt Ivanova, wie eng die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Partnern war – sowohl bei den utopischen Science-Fiction-Filmen als auch bei den „Indianer“-Filmen (Kapitel 3). Die prestigeträchtigen Produktionen waren getragen von dem Gedanken, das Publikumsbedürfnis nach unterhaltsamen Filmen zu bedienen – und zugleich einen sozialistischen Gegenentwurf zum westlichen Genrekino zu präsentieren. Auch in der Abgrenzung von den westlichen Erfolgsfilmen spiegelt sich indirekt die internationale Bezogenheit des DEFA-Kinos wider, denn die Entwicklung der Genre-Filme war in der DDR generell von dem Gedanken geprägt, Unterhaltungsaspekte mit politischen Intentionen zu verknüpfen. 1

In der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse betont Ivanova, dass auch die ostdeutschen Filmemacher einen spürbaren Einfluss auf die europäische Filmentwicklung hatten. Doch wie groß war dieser Einfluss tatsächlich? Lässt sich aus den hier näher untersuchten internationalen Co-Produktionen schlussfolgern, dass das filmische Erbe der DEFA stärker von internationalen Einflüssen geprägt wurde – und die DEFA zugleich auch selbst prägend für die innereuropäische Filmentwicklung war? Ivanovas Studie bietet hierfür wichtige Anknüpfungspunkte, aber die Untersuchung birgt auch die Gefahr einer „Schlüssellochperspektive“: Durch die Fokussierung auf die Co-Produktionen entsteht der Eindruck einer international ausgerichteten Filmlandschaft, die bei der DEFA aber letztlich immer nur in Einzelfällen möglich war. Die Co-Produktionen mit Frankreich fanden schon nach kurzer Zeit keine Fortsetzungen mehr und auch die indirekte Zusammenarbeit mit westdeutschen Produzenten blieb bis weit in die 1980er Jahre hinein eine seltene Ausnahme. Vor allem im letzten Untersuchungskapitel, in dem Ivanova am Beispiel von „Goya“ und „Die Besteigung des Chimborazo“ die internationalen Verflechtungen der beiden biographischen Filme näher betrachtet, zeigen sich die Grenzen ihres Ansatzes: Fraglich ist, ob sich anhand der zwei bemerkenswerten Filme generelle Rückschlüsse auf die „Biopics“ der DEFA ziehen lassen (S. 224f.). Dafür waren die beiden Filme zu singulär und sind letztlich nicht repräsentativ für andere biographische Filme, die bei der DEFA entstanden sind.

Ivanovas Untersuchung ist gleichwohl in vielerlei Hinsicht wegweisend, weil es ihr gelingt, die internationale Verflochtenheit des DEFA-Filmerbes anhand von konkreten Beispielen aufzuzeigen. Die kulturelle Entwicklung in der DDR nicht isoliert zu betrachten, sondern sie als Teil einer gesamteuropäischen Tradition zu begreifen, ist ein wichtiges Anliegen für die zukünftige DEFA-Forschung, um den Stellenwert der ostdeutschen Kultur besser einschätzen zu können. Transnational angelegte Studien unterstreichen dieses Potential, weil sie zeigen, dass die Austauschs- und Abgrenzungsbeziehungen des Kalten Krieges unmittelbare Rückwirkungen auf die kulturelle Entwicklung in der DDR hatten.

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu auch den von Stefanie Mathilde Frank und Ralf Schenk hrsg. Sammelband: Publikumspiraten. Das Genrekino der DEFA und seine Regisseure (1946-1990), Berlin 2022.

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02.12.2022
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