Gegenwärtig werden pädagogisches Wissen und pädagogische Institutionen vermehrt als vernetzte Phänomene betrachtet. Entsprechend widmet die bildungshistorische Forschung Zirkulationen, Transfers und Grenzüberschreitungen zunehmend Beachtung. Der Fokus wird dabei zumeist auf die transnationale Kultur als Gegenstand der Forschung gelegt. Der vorliegende Band bietet die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit den transnationalen Prozessen und Räumen pädagogischen Wissens in verschiedener Hinsicht.
Den Herausgeberinnen und Herausgebern Marcelo Caruso, Thomas Koinzer, Christine Mayer und Karin Priem zufolge soll der Band dazu beitragen, das noch weitgehend national verankerte Verständnis der Historischen Bildungsforschung aufzubrechen: „Im Mittelpunkt des Bandes stehen Prozesse der Globalisierung pädagogischer Debatten, der Internationalisierung bildungspolitischen Steuerungswissens, der Etablierung und (Neu-)Konstituierung pädagogischer Strukturen, der Zeigestrategien von Ausstellungen mit internationaler Reichweite sowie der Transformation pädagogisch-anthropologischer Vorstellungen.“ (S. 1) Die Herausgeberinnen und Herausgeber schließen damit an den Kulturtransferansatz, die Verflechtungsgeschichte und die entangled history an. Das Interesse gelte weniger den Bedeutungsverschiebungen durch Zirkulation und Transformation als vielmehr der zirkulären Wissensproduktion sowie dem Transfer von Wissen: „Lokale, nationale und transnationale Prozesse, so die übergreifende These, greifen ständig ineinander und unterwerfen das (pädagogische) Wissen wechselseitigen Veränderungen, Bedeutungsverschiebungen und Reinterpretationen.“ (ebd.)
Ein weiteres Anliegen des Bandes ist, die Perspektive, aus der heraus der Forschungsgegenstand in den Blick genommen wird, zu schärfen. Die Herausgeberinnen und Herausgeber fordern, die Aufnahme- und Ausgangskultur, bzw. deren Räume, nicht mehr nationalkulturell zu denken. Diese Forderung wird aber ohne eine vorherige erziehungswissenschaftliche Problematisierung erhoben und weder inhaltlich noch formal ausreichend begründet. Die Ziele hinter dem skizzierten Methodenprogramm sind lediglich in Abgrenzung zur national zentrierten Geschichtsschreibung zu verstehen. So beabsichtigen die Verantwortlichen mit den hier versammelten Arbeiten, geografisch-räumliche, mediale und organisatorische Entgrenzungen pädagogischen Wissens sichtbar zu machen. Ergänzt werden die Beiträge durch die bildungshistoriografische Auseinandersetzung mit Grenzgängen, Zirkulation und Transformation (S. 2).
Die methodologischen Beiträge des Bandes werben für einen differenzierteren Umgang mit dem methodischen Ansatz und den beschriebenen Prozessen. Mayer behandelt in ihrem einleitenden Aufsatz unter Hinzunahme der Histoire croisée das methodologisch-methodische Programm der transnationalen Zirkulation und Aneignung pädagogischer Konzepte am Beispiel von sprachlichen und kulturellen Grenzüberschreitungen pädagogischen Wissens kritisch und weist auf die Notwendigkeit des Vergleichs hin (Mayer S. 34ff.; siehe dazu auch Martin Lawn S. 21f. und Karin Priem / Geert Thyssen S. 208). Jede Verflechtung sei, so Mayer, zudem wiederum selbst als historisch konstruiert und in Abhängigkeit von ihren thematischen und kontextuellen Bedingungen zu sehen. Zirkulation und Rezeption, wie Christina Alarcón es ausdrückt, müssten als Komplemente in der Transferforschung verstanden werden (S. 132). Ein interpretativer Zusammenhang sei erst aus der Rückbindung an den Entstehungskontext und die gesellschaftlichen Verhältnisse sowie die nationale Kultur erschließbar (Mayer S. 34). Martin Lawn verweist darüber hinaus darauf, dass der Gegenstand der Forschung nur in einem Rahmen existiere, welcher national, kulturell oder traditionell sei (S. 21). Er konstatiert: „Our subject is vertical; it is periodized; it is hierarchized; it is institutional.“ (ebd.) Daraufhin fordert er – über die Berücksichtigung von „ideas and practices of a location [of research]“ hinaus – auch die personale Vernetzung als einen möglichen Ausgangspunkt in Betracht zu ziehen (S. 23ff.).
Neben Beiträgen, die polykulturelle Sinnstrukturen offen legen, bietet der Band Fallanalysen zur Zirkulation und Transformation, aufgeteilt in verschiedene Prozesswege, -bewegungen und -momente, an. Dabei wird zunächst herausgearbeitet, wie pädagogische Wissensbestände und -praktiken räumliche und kulturelle Grenzen überschreiten und wie es zu Rezeption und Adaption in neuen Räumen kommt. Im zweiten Teil wird gezeigt, wie Austausch und Rückbindung an die ursprünglichen nationalen Grenzen funktionieren und zu „Metamorphosen“ führen (Christa Kersting S. 109). Christina Alarcón betrachtet die Synthetisierung zweier Kulturen durch eine bidirektionale Zirkulation als „Quelle des Neuen“ (S. 115, S. 130). Der dritte Abschnitt stellt die Wechselwirkung von Zirkulation mit „missionarische[r] Haltung und Aufgabenstellung“ heraus (S. 10, Herv. d. E.G.). Eckhardt Fuchs verweist unter anderem auf wissenschaftspolitische, nationale, institutionelle und disziplinäre Grenzen bei der organisierten Wissenszirkulation; Carlos Manique da Silva untersucht „circulation that displayed processes of partial transformation of educational knowledge“ und dessen Wirkung auf das Denken und Handeln der Grenzgänger (S. 141f. und S. 187). Karin Priem und Geert Thyssen untersuchen (nicht intendierte) Bedeutungsverschiebungen durch „grenzüberschreitende Hybridität“ zwischen lokalen und nationalen Grenzen (S. 191; siehe dazu auch Barbara Schulte S. 211f.). Der letzte Teil liefert Beispiele zu Grenzgängern und deren teilweise ambivalenten „Verarbeitungsstrategien“ durch Entgrenzung und Abgrenzung (Petra Götte S. 11, Herv. d. E.G.; vgl. dazu auch Daniel Tröhler S. 289 und S. 255). Welche Erkenntnisse ein Aufbrechen nationaler Perspektiven bei der Deskription und Analyse mit sich bringt, beantworten die Autoren und Autorinnen der Aufsätze dabei teilweise widersprüchlich. Einige stehen diesem Vorhaben kritisch gegenüber, Andere konzentrieren sich weitgehend auf die Beschreibung inter- und transnationaler Prozesse.
Der Sammelband liefert erkenntnisreiche Beiträge zur Entwicklung der Methodologie der Historischen Bildungsforschung und zur Erprobung neuerer historiographischer Zugänge jenseits der nationalen Verständnisse. Die meisten Artikel verbleiben dabei jedoch im Denken der Räume in Abhängigkeit von nationalen Grenzen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Historische Bildungsforschung und die gewonnenen Erkenntnisse über pädagogisches Wissen und pädagogische Institutionen bleiben nur angedeutet. Insgesamt ist unterbestimmt, was diese neue Perspektive, die Erfassung von Grenzüberschreitung durch Sichtbarmachung der Prozesse verspricht, erkenntnistheoretisch leistet und ob, bzw. wie, sie in die national zentrierte pädagogische Geschichtsschreibung zu integrieren sei. Transformation durch Zirkulation beschreibt zwar das Wesen der Wissensproduktion. Die Transformation des Wissens ist jedoch im neuen Wissen auch ohne die Zirkulation sichtbar. Kaum behandelt wird, was inter- oder polykulturelle Zirkulation sowie transkulturelle Transformation formal und inhaltlich von intrakultureller Zirkulation unterscheidet. Neu ist, dass durch diesen methodischen Zugang Machtverhältnisse während der Zirkulation von Wissen genauer erfasst werden können. Diesbezüglich verweisen die Autoren auf die bedingte Kontrollierbarkeit der Zirkulation. Interessant wäre folglich auch eine genauere epistemologische Begründung, welche zeigt, warum man sich gerade im Jahr 2014 dem Thema widmet. Mayer stellt in ihrem Fazit in diesem Sinne fest, dass internationale Vernetzung kein neues Phänomen sei. Transkulturelle Zirkulation und interkultureller Austausch pädagogischen Wissens fanden bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt (S. 29). Insgesamt fehlt eine genaue Verbindung des angedeuteten Erkenntnisinteresses, der Erkenntnisse über Prozesse innerhalb und jenseits der national zentrierten Forschung und der Konsequenzen für pädagogisches Wissen und pädagogische Institutionen.