V. Hyden-Hanscho u.a. (Hrsg.): Cultural Exchange and Consumption Pattern

Cover
Title
Cultural Exchange and Consumption Patterns in the Age of Enlightenment. Europe and the Atlantic World


Editor(s)
Hyden-Hanscho, Veronika; Pieper, Renate; Stangl, Werner
Series
The Eighteenth Century And The Habsburg Monarchy. International Series 6
Published
Extent
240 S.
Price
€ 36,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Anne Sophie Overkamp, Facheinheit Geschichte, Universität Bayreuth

Die Literatur zur „Atlantic History“ mit ihren verschiedenen nationalen Ausprägungen ist nahezu unüberschaubar. Auch die beiden Felder des Kulturtransfers und der Herausbildung der Konsumgesellschaft können als gut bestellt gelten. Das erklärte und intellektuell anregende Ziel des hier zu besprechende Bandes ist es, diese Forschungsfelder zusammenzubringen: „The integration of transfer theories to Atlantic history with a strong focus on material culture is one objective of this book.“ (S. 10) Darüber hinaus geht es den Herausgebern um die Frage, „how the increasingly connected Atlantic worlds influenced each other and what was the impact of Atlantic exchange on consumption patterns in different parts of Europe and the Atlantic world“ (S. 11).

Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Beiträge des Bandes sich nicht nur mit den ‚üblichen Verdächtigen‘, das heißt den europäischen Seemächten und ihren Kolonien, beschäftigen, sondern auch andere Regionen Europas in den Blick nehmen und damit die Perspektive um erfrischende Aspekte erweitern. Das Themenspektrum der Aufsätze reicht von eher klassischen Themen des Kulturtransfers wie der Zirkulation von Büchern über die Verbreitung afrikanischer Pflanzen und medizinischer Wirkstoffe bis hin zum Schokoladenkonsum. Wie bei einem Sammelband kaum anders zu erwarten, variiert allerdings die Qualität der Beiträge, sowohl hinsichtlich der Umsetzung des formulierten theoretischen Rahmens als auch der Anlage der Untersuchungen.

Im ersten Teil des Bandes sollte es darum gehen, den in der Einleitung nur kurz skizzierten theoretischen Rahmen deutlich zu erweitern. Wolfgang Schmale nimmt sich dabei des Konzepts „Kulturtransfer“ an. Schon aufgrund seiner Kürze (S. 19–24) verfehlt der Beitrag diesen Anspruch. Zwar hebt Schmale einige interessante Punkte hervor, wie etwa die Bedeutung bestimmter „cultural and functional groups“ (S. 21), z.B. der Physiokraten, für kulturellen Transfer und Austausch oder das Konzept eines „cultural space“ (S. 22) in Bezug auf diasporische Gruppen (z.B. Hugenotten, Juden). Seine Ausführungen bleiben jedoch sehr allgemein. Die Verkürzung führt sogar gelegentlich zu Verfälschungen: So werden die spanische und die britische Einflusszone in Nordamerika erwähnt, Frankreich hingegen wird nicht einmal am Rande in den Blick genommen. Der Beitrag von Bartolomé Yun-Casalilla dagegen löst seinen Anspruch, zu zeigen, „how and to what extant what we could call the ‚new‘ Atlantic history obliges us to rewrite the history of Europe“ (S. 25), voll und ganz ein. Der Beitrag bietet auf den ersten Seiten eine informierte tour d’horizon der bisherigen atlantischen Geschichtsschreibung, um sich dann der Frage zu widmen, welche Auswirkung diese beispielsweise auf die Fragen der Konsumgeschichte beiderseits des Atlantiks hat. Yun zeigt auf, dass die atlantische Dimension das gängige Narrativ der seit dem 18. Jahrhundert entstehenden Konsumgesellschaft deutlich verkompliziert, und dass Erklärungsmuster wie das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nicht greifen, wenn moralische und religiöse und nicht ökonomische Interessen die bestimmenden Faktoren sind. Yuns Aufsatz, einer der besten des Bandes, zeigt auf sehr anschauliche Weise, wie sich hohes theoretisches Niveau mit fundiertem historischem Wissen zu weiterführenden Fragestellungen verbinden lässt.

Die beiden Aufsätze des zweiten Teils, welche sich mit der Buchzirkulation zwischen Europa und Neu Mexiko beschäftigen, nehmen dagegen die theoretischen Ansätze der Einleitung und der vorhergehenden Aufsätze kaum auf. César Manrique Figeuroa kann zwar mit seiner Untersuchung mexikanischer Bibliothekskataloge deutlich herausarbeiten, dass Buchdrucker aus Antwerpen auch noch im 18. Jahrhundert den spanischen und spanisch-amerikanischen Markt bedienten. Weiterführende Überlegungen stellt er jedoch nicht an. Ludolf Pelizaeus untersucht den Einfluss der Inquisition auf Medien und ihre Verbreitung in der Neuen Welt. Dabei geht er allerdings von einem sehr engen Medienbegriff aus – es werden nur Bücher thematisiert – und verlässt selten die Ebene der Quellendarstellung. Der Nexus zwischen spanischer Aufklärung, Reformen und Vorstellungen der kolonialen Welt fehlt völlig.1 José Enrique Covarrubias schließlich beschäftigt sich mit der Zirkulation der Buchinhalte. Er zeigt, wie Alexander von Humboldt in seinem Werk zu Neu-Spanien Ideen Adam Smiths rezipiert hat. Von Humboldt ergänzte jedoch Smiths historische Perspektive um eine geographische.

Auch im dritten Teil ist die Umsetzung des theoretischen Anspruchs nicht immer deutlich. Während Michael North seinen Aufsatz etwas großspurig mit „Towards a Global Material Culture“ überschreibt, wird er vor allem dort konkret und überzeugend, wo er auf eigene Untersuchungen zur Präsenz von holländischer Malerei in den verschiedenen holländischen Kolonien auf drei Kontinenten (Asien, Afrika, Nord-Amerika) zurückgreifen kann. Die Ausführungen zu Raumaufteilungen als Zeichen einer neuen häuslichen Kultur und zu Abbildungen von Tee trinkenden Personen aus verschiedenen Kulturräumen können dagegen den Anspruch der Überschrift nicht einlösen. Deutlich fundierter ist Judith A. Carneys Beitrag zur Präsenz afrikanischer Pflanzen und Tierarten im tropischen Amerika im 18. Jahrhundert. Mit Hilfe vertrauter afrikanischer Gemüse- und Getreidesorten, die bei den Sklaventransporten als Proviant an Bord genommen wurden, gelang es den versklavten Afrikanern einen Teil ihrer Kultur mit in die Neue Welt zu transferieren. Der Beitrag von Henk den Heijer, der die Bedeutung des europäischen Textilhandels in West-Afrika untersucht, hält zwar interessantes Zahlenmaterial bereit, geht aber auf weitergehende Fragen kaum ein. Wie wurden beispielsweise Geschmackspräferenzen der afrikanischen Abnehmer von den Europäern wahrgenommen? Schließlich untersucht Jutta Wimmler in einem anregenden Aufsatz die Präsenz westafrikanischer Produkte im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts. Anhand diverser Transferprozesse, wie der Verwendung von Straußenfedern in der Hutproduktion, von Gummi Arabicum bei der Herstellung von Indigostoffen und von afrikanischen Wirkstoffen bei der Arzneimittelherstellung setzt sie sich mit gängigen Theorien von Kulturtransfer und -austausch auseinander und hebt dabei den materiellen Austausch auf eine Stufe mit den von der Forschung bisher favorisierten kulturellen Transfers. Ähnlich wie Yun überzeugt Wimmlers Aufsatz mit einer Infragestellung gängiger Narrative und zeigt, dass durch die Einbeziehung atlantischer Prozesse das Verständnis von Phänomenen, die ursprünglich als rein europäisch wahrgenommen wurden, neu überdacht werden muss.

Der vierte Teil des Bandes ist Mitteleuropa gewidmet. Veronika Hyden-Hanscho weist nach, dass Frankreich unter Ludwig XIV. Spanien als Vermittler atlantischer Produkte ablöste, vor allem aber als „broker of knowledge“ fungierte, wodurch Produkte wie Biberfell, Straußenfedern oder Zucker erfolgreich in die materielle Kultur des Hofadels inkorporiert werden konnten. Irene Fattacciu, deren Beitrag zum Madrilener Schokoladenkonsum ein wenig aus dem geographischen Rahmen dieses Teils fällt, beschäftigt sich mit den Auswirkungen dieses Verbrauchs auf neue Formen der Geselligkeit. Sie widmet sich der Konsumption von Schokolade und deren Performanz, den „rituals of consumption“, weniger den „terms of results“ (S. 170). Der Ansatz ist interessant, hätte aber noch davon profitiert, wenn das Argument etwas stringenter vorgetragen worden wäre und vor allem auch ein Vergleich zur Kaffeehauskultur anderer europäischer Länder einbezogen worden wäre. Der Aufsatz von Benita Wister zum Schokoladenkonsum in Westfalen und der Steiermark überzeugt vor allem methodisch. In ihrem Vergleich dieser beiden sorgfältig ausgewählten Regionen kann Wister zeigen, dass regionale Konditionen und Interaktionsmöglichkeiten einen entscheidenden Einfluss auf Konsumgewohnheiten ausübten. Der letzte Beitrag des Bandes von Renate Pieper beschäftigt sich mit der Präsenz von Objekten aus Spanisch-Amerika in spanischen und österreichischen Adelshaushalten und fragt dabei nach dem Übergang von kulturellem Austausch zu kulturellem Gedächtnis. Denn obwohl im 18. Jahrhundert Luxusgüter größtenteils aus dem asiatischen Raum stammten, bildeten die älteren Luxusgegenstände aus dem spanisch-amerikanischen Raum weiterhin geschätztes Familieneigentum.

Alles in allem liegt hier ein anregender Band vor, der interessante neue Forschungsperspektiven eröffnet und in seinen besseren Beiträgen gängige Narrative nicht nur in Frage stellt, sondern Alternativen anbietet.

Anmerkung:
1 Diesen Zusammenhang hat bereits vor Jahren deutlich herausgearbeitet Jorge Cañizares-Esguerra, How to Write the History of the New World. Histories, Epistemologies, and Identities in the Eighteenth-Century Atlantic World, Stanford 2001.

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07.03.2014
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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