P. Huber: Fluchtpunkt Fremdenlegion

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Title
Fluchtpunkt Fremdenlegion. Schweizer im Indochina- und im Algerienkrieg, 1945–1962


Author(s)
Huber, Peter
Published
Zürich 2016: Chronos Verlag
Extent
320 S.
Price
€ 43,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Eckard Michels, Birkbeck College London

Obwohl schon Mitte des 19. Jahrhunderts die Schweizer Kantone Anwerbungen auf ihren Gebieten für fremde Kriegsdienste verboten hatten, konnte dies nicht verhindern, dass einzelne Schweizer weiterhin die Grenze überquerten, um im Ausland zu kämpfen, etwa als Freiwillige auf Seiten Frankreichs oder Deutschlands im Ersten Weltkrieg, in den Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkrieges oder der Waffen-SS. 1928 stellte die Schweiz den Militärdienst im Ausland wegen angeblicher Schwächung der heimischen Wehrkraft unter Strafe. Seitdem ermittelte die eidgenössische Justiz gegen jeden dieser modernen Reisläufer. Ihnen wurde in Abwesenheit der Prozess gemacht, der im Falle der Heimkehr wieder aufgerollt wurde und in der Regel mit einer kurzen Gefängnisstrafe auf Bewährung endete. Folglich hat sich seit 1928 ein großer, für die Historikerinnen und Historiker wertvoller Quellenfundus angesammelt, um Herkunft, Lebensläufe und Kriegserfahrungen von Schweizer Freiwilligen in den Konflikten des 20. Jahrhunderts zu rekonstruieren sowie ihre Reintegration in die Zivilgesellschaft nach ihren militärischen Einsätzen in der Fremde nachzuvollziehen. Auf diesen Fundus griff auch Peter Huber bei seiner Untersuchung über die Schweizer Söldner in der französischen Fremdenlegion der Nachkriegszeit zurück.

Frankreichs Dekolonisierungskriege in Indochina (1946–1954) und Algerien (1954–1962) bildeten die letzten Konflikte, in denen Schweizer in größerer Zahl gekämpft haben. Anhand akribischer Recherchen in den Justizakten und den Unterlagen der Schweizer Konsulate in Indochina und Nordafrika kommt Peter Huber auf eine Gesamtzahl von etwa 2.200 Schweizern, die in der Legion zwischen 1945 und 1962 dienten, was etwa fünf Prozent aller in diesen beiden Kriegen eingesetzten Legionären entsprach. Die Fremdenlegionäre stellten zwar quantitativ in beiden Kriegen nur eine Minderheit innerhalb der französischen Streitkräfte dar, weil die Söldnertruppe jedoch stets an den Brennpunkten eingesetzt wurde und als schlagkräftigste aller militärischen Formationen der in Bedrängnis geratenen Kolonialmacht galt, waren ihre Verluste überproportional hoch. Laut Huber kamen etwa neun Prozent der Schweizer Legionäre in den beiden Kolonialkriegen durch Feindeinwirkung oder Krankheiten um, fünf Prozent gelten als vermisst.

Hubers Buch wertet eine repräsentative Stichprobe von 424 der von der eidgenössischen Justiz verfolgten Fremdenlegionäre aus. Noch nie ist – der Besonderheit des Schweizer Strafrechts sei Dank – das soziale Profil von Fremdenlegionären gleich welcher Nationalität und ihre Motivation zum Eintritt in die Söldnertruppe auf einer derartig breiten, verlässlichen und präzisen empirischen Basis herausgearbeitet worden. Die Schweizer Legionäre gehörten zum sehr großen Teil den städtischen Unterschichten an. Nur etwa 20 Prozent verfügten über eine abgeschlossene, zumeist handwerkliche Berufsausbildung. Etwa 40 Prozent der Legionäre waren unter besonders schwierigen Bedingungen aufgewachsen: Sie hatten zu Hause Gewalttätigkeit erfahren, ein Elternteil fehlte oder sie waren in Waisenhäusern oder Erziehungsheimen eingewiesen worden, weil sie als verhaltensauffällig oder ihre Familienverhältnissen als problematisch galten. 56 Prozent der Legionäre waren zudem vorgängig in der Schweiz straffällig geworden, was auf den ersten Blick dem tradierten Klischee zu entsprechen scheint, die Legion sei vornehmlich ein Zufluchtsort für Kriminelle gewesen. Huber betont aber, dass es sich in großer Mehrheit um Armuts- und Spontandelikte wie Diebstähle, Einbrüche, Zechprellereien oder Wirtshausschlägereien handelte. Die bei weitem stärkste Alterskohorte unter den Rekrutierten mit 47 Prozent waren die der 18 bis 21-Jährigen. Das Durchschnittsalter der Stichprobe betrug 22 Jahre. Der Entschluss zum Eintritt in die Legion resultierte also in vielen Fällen aus einer Lebenskrise von jungen, entwurzelten, beruflich schlecht qualifizierten Männern, die keinen Platz in der Zivilgesellschaft gefunden hatten oder deren Versuche, eine militärische Karriere als Unteroffiziere in der Schweizer Armee zu machen, aus Mangel an Qualifikationen, falschem familiären Hintergrund oder Vorstrafen gescheitert waren. Viele Legionäre sahen denn auch nach der Rückkehr in die Schweiz den Eintritt in die Söldnertruppe rückblickend als eine Art zweite Chance im Leben an, als eine notwendige „Reifezeit“ (S. 17), die ihnen daheim verweigert worden sei. In der Legion, so gaben die Söldner in den Anhörungen zu Protokoll, hätten sie Disziplin und Verantwortungsbewusstsein gelernt und sich teilweise beruflich qualifizieren können als Kraftfahrer, Bürohilfe oder Mechaniker. Die Legion habe sie vor einem weiteren Abgleiten in die Delinquenz bewahrt. In der Truppe sei man grundsätzlich anständig behandelt worden, sofern man sich widerstandslos eingegliedert habe. Die meisten Ex-Legionäre blieben der Einheit daher auch nach ihrer Dienstzeit in Dankbarkeit verbunden. Die Tatsache, dass sie ein Werkzeug der Franzosen zur Unterdrückung der Freiheitsbestrebungen der Bevölkerungen in Vietnam und Algerien mit all den Gewaltexzessen eines Kolonialkrieges gewesen waren, reflektierten nur einzelne Ex-Legionäre. Huber nennt hierzu das Beispiel eines Sanitäters, der den Folterungen von verdächtigen Algeriern beiwohnen musste, um sie gegebenenfalls wieder vernehmungsfähig zu machen oder vor einem frühzeitigen Ableben zu bewahren. In dieser Einstellung zum Dienst in der Legion und den Kriegen in Indochina und Algerien gibt es starke Parallelen zu den deutschen Fremdenlegionären der Nachkriegszeit, für die allerdings nicht eine derartig ergiebige und präzise Quellenbasis existiert wie für ihre Schweizer Kameraden.1

Huber hat eine Kollektivbiographie verfasst, die gerade dadurch eindrücklich wird, dass er die generalisierenden Befunde aus seinen Stichproben mit aussagekräftigen, sich spannend zu lesenden Einzelschicksalen illustriert, von denen im Anhang des Buches 37 ausführlicher präsentiert werden. Leider stellt er keine vergleichenden Überlegungen an, inwiefern etwa das Fehlen einer Kriegsniederlage, einer fremden Besatzung oder eines Regimewechsels mit den entsprechenden tiefen gesellschaftlichen Verwerfungen und wirtschaftlichen Nöten, wie sie etwa Italien, Deutschland oder weite Teile Osteuropas in den 1940er-Jahren erfuhren, zu Unterschieden zwischen dem Profil des Schweizer Kontingents und den Freiwilligen aus anderen Staaten geführt haben könnten, die in signifikanter Zahl nach 1945 in die Söldnertruppe eingetreten sind. Zudem gibt es im Buch gewisse, durch die Gliederung bedingte Wiederholungen. Schließlich sind die Informationen über die Art und Weise der justiziellen Ermittlungen, Verfahrensweisen und Straftatbestände über das Werk verstreut, anstatt dem Leser eingangs gebündelt präsentiert zu werden. Aussagewert wie auch Grenzen der für das Buch zentralen Quellen wären dann deutlicher hervorgetreten. Denn der Schweizer Justiz ging es vor allem darum, die Motive für den Eintritt ihrer Landsleute in die Legion zu eruieren, um bezüglich der vorgeworfenen Schwächung der eidgenössischen Wehrkraft strafmildernde oder verschärfende Urteilsgründe zu finden. Der Dienst in der Legion an sich – und damit der Kriegseinsatz in Indochina und Algerien – war hingegen nicht von Belang für das Strafmaß, ebenso wenig interessierten sich die Schweizer Richter für etwaige Kriegsverbrechen. Folglich erfahren die Leserin und der Leser mehr über das Leben der Schweizer vor ihrer Verpflichtung für die Legion als über den Militäralltag in der Legion und die Einsätze in Indochina und Algerien in Frankreichs Diensten. Gleichwohl ist Peter Hubers Studie hinsichtlich empirischer Grundlage und Präzision ein kaum zu überbietender, wichtiger Beitrag zur Geschichte der Fremdenlegion. Er verdeutlicht eindrücklich und ohne jegliche Verklärung, warum nicht nur Schweizer in den Jahren 1945 bis 1962, sondern letztlich auch Angehörige anderer Nationalitäten und anderer Epochen seit der Gründung der Fremdenlegion im Jahre 1831 in diese Truppe eingetreten sind, ihr loyal gedient und ihr überwiegend auch über die Entlassung hinaus die Treue gehalten haben.

Anmerkung:
1 Eckard Michels, Deutsche in der Fremdenlegion 1870–1965. Mythen und Realitäten, 5. Auflage, Paderborn 2006.

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Published on
18.05.2017
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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