Der Rahmen des Forschungskolloquiums „Menschenrechte und Diplomatie – Jüdische Einflussnahme und internationale Rechtsbildung 1919–1948“ wird durch zwei historische Eckpunkte abgesteckt: die Friedenskonferenz in Paris 1919 und die israelische Staatsgründung 1948. Im Jahre 1919 hatten verschiedene, mitunter konkurrierende jüdische Organisationen aus Osteuropa, den USA, Großbritannien und Frankreich die Forderung erhoben, Minderheitenschutzklauseln in die Friedensverträge aufzunehmen. Mit diesen sollten die zahlreichen, nicht nur jüdischen nationalen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Imperien Ost- und Ostmitteleuropas vor dem Assimilationsdruck der neuen Staaten geschützt werden. 1948 erlebte dann eine solche jüdische diplomatische Fürsprache eine gewichtige Transformation – mit der Errichtung Israels wurde „jüdischer Diplomatie“ die nun völkerrechtlich legitimierte israelische Diplomatie zur Seite gestellt. Zwischen diesen beiden Zusammenhängen bemühten sich jüdische Organisationen rege um eine diplomatische Fürsprache zum Wohle der osteuropäischen Judenheiten, bis 1933 auch der Schutz der deutschen Juden dringlich wurde. Während sich diese Initiativen in der Zwischenkriegszeit vornehmlich auf die Einhaltung und Verbesserung der Minderheitenschutzverträge von 1919 richteten, sahen sich die jüdischen Organisationen mit Beginn des Zweiten Weltkrieges vor die Aufgabe gestellt, den Schutz jüdischen Lebens in Europa überhaupt zu gewährleisten. Ihre Tätigkeit wurde allerdings dadurch erschwert, dass die fehlende völkerrechtlichte Anerkennung der Juden als Nation nur die Intervention zu Gunsten ihrer Rechte als Bürger der jeweiligen Staaten erlaubte. Diese jedoch lehnten eine solche Fürsprache als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten vehement ab. Jüdische Organisationen wie das Pariser Comité des Délégations Juives, der Vorläufer des späteren World Jewish Congress oder das britische Board of Deputies und das American Jewish Committee entwickelten deshalb besondere Formen der nichtstaatlichen Interessenvertretung, die im wesentlichen auf die Mobilisierung der öffentlichen Meinung und die Inanspruchnahme international garantierter Rechtsmittel beim Genfer Völkerbund zielten.
Einen besonderen Stellenwert in diesen Versuchen nahm dabei die Beteiligung an der Weiterentwicklung des Völkerrechts ein – einer Diskussion, die vom kollektiven Minderheitenrecht von 1919 bald zur Formulierung der individuellen Menschenrechte im Jahr 1945 verlaufen sollte. Namhafte jüdische Juristen wie Nathan Feinberg, Jacob Robinson, Paul Guggenheim und Hersch Lauterpacht suchten so – ausgehend von ihrer jüdischen Minderheitserfahrung – eine von Herkunft, Religion und Nationalität unabhängige Universalisierung des Rechtsschutzes zu erwirken.
Das Forschungskolloquium möchte sich diesem Verhältnis von jüdischer diplomatischer Fürsprache und internationaler Rechtsbildung annehmen, wobei auch zu klären ist, ob der Begriff „jüdische Diplomatie“ überhaupt Plausibilität zur Beschreibung dieser Aktivitäten beanspruchen kann, die mit jener von heutigen Nichtregierungsorganisationen vergleichbar sind. Vortragen werden vornehmlich NachwuchswissenschaftlerInnen, die mit ihren Arbeiten aus den Bereichen der Rechts-, Diplomatie- und Institutionengeschichte einen Aspekt der jüdischen Geschichte in die allgemeine Geschichte integrieren wollen. Dabei sollen die Beziehungen zwischen Politik und Recht genau so zur Sprache kommen wie das Verhältnis zwischen lokalen Modellen und Versuchen einerseits und globaleren Entwicklungen und Problemen andererseits.