Vor dem Hintergrund der sich gegenwärtig transformierenden Identitätsstrukturen Europas und der Diskussion um die Aufnahme der Türkei in die EU geht die Tagung der Frage nach den interkulturellen Kontakten und der wechselseitigen Wahrnehmung zwischen der Türkei und Westeuropa im 18. Jahrhundert nach. Die "Türkengefahr", eines der wichtigsten Antagonismusnarrative der frühen Neuzeit, verblaßt nach der osmanischen Niederlage bei der zweiten Belagerung Wiens 1683 und das Bild des Türken wandelt sich vom bedrohlichen, unbesiegbaren Schrecken der Christenheit zum kuriosen, exotischen Nachbarn. Die zunehmend positive Türken-Rezeption drückt sich in Mode, Musik und Architektur aus, der expandierende Handel mit dem Osmanischen Reich bringt Stoffe, Parfum und Gewürze nach Europa, Wißbegier gegenüber dem Osmanischen Reich manifestiert sich in einer Vielzahl an Reisebeschreibungen und Überblicksdarstellungen. Umgekehrt verstärkt sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts der europäische Einfluß im gesellschaftspolitischen und kulturellen Leben des Osmanischen Reichs, wenngleich das Interesse der Osmanen an Europa ungleich geringer bleibt.
Die breite, z.T. euphorische Aufnahme und Verarbeitung osmanischer Kultur in den politischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und ästhetischen Diskursen des 18. Jahrhunderts ist eine Form der imaginativen Weltaneignung und darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie der Fremdheitserfahrung in den meisten Fällen entbehrte. Kritisch zu prüfen wäre, ob sich das 18. Jahrhundert - wie in der Forschung gelegentlich angeführt wird - durch seine relative Offenheit gegenüber anderen Lebensformen auszeichnet, etwa im Vergleich zum 17. Jahrhundert, das im Falle der Türkei über negative Stereotypisierungen selten hinauskommt, und zum 19. Jahrhundert, das aufgrund des europäischen Imperialismus und eines exklusiveren Europazentrismus zu einer verengten Wahrnehmung zurückkehrt. Welche Möglichkeiten bestanden, sich ein Bild des Anderen zu machen, und zu welchen Teilen gründete es auf autistischer Selbstbespiegelung einerseits, auf Neugier und produktiver Aneignung andererseits? Welche Formen des interkulturellen Kontaktes existierten und wie sind sie dokumentiert?
Vortragsskizzen werden bis zum 15. September 2007 erbeten an: schmidt-haberkamp@uni-bonn.de.