Angesichts der mittlerweile schwer zu überblickenden Flut an Studien mit völkerrechtshistorischer Thematik ist ein Gesamtdarstellungsversuch der Geschichte des Völkerrechts in Form eines Handbuches durchaus begrüßenswert. Ähnlich anderer vor kurzem erschienener Oxforder Handbücher zu wichtigen historischen Themenkomplexen bietet dieses 1.228 Seiten umfassende Werk keinen Einstieg in den Gegenstand der Völkerrechtsgeschichte.1 Es ist auch weniger als ein Nachschlagewerk für das wissenschaftliche Arbeiten in der Form einer Sammlung grundlagenforschungsähnlicher Erkenntnisse konzipiert. Vielmehr soll es Pionierarbeit in einer Richtung leisten: Erklärtes Hauptziel der beiden Herausgeber ist, mit diesem Handbuch die Weichen zu stellen, um das dominante eurozentrische Geschichtsnarrativ über das Völkerrecht als ein Produkt des „Westens“ bzw. als eine Teilgeschichte der großen Geschichte der westlichen Zivilisation – so einst Lassa Oppenheim – zu überwinden.2 Damit ist das Werk neuen Entwicklungstrends in den Geschichtswissenschaften verpflichtet, vor allem jenem der Globalgeschichte.
Der Großteil der 63 Autoren besteht aus renommierten Rechtswissenschaftlern und Historikern, die vorwiegend in der deutschsprachigen und angelsächsischen Forschungsgemeinschaft zu verorten sind. Entsprechend dem Anspruch der Herausgeber, den völkerrechtshistorischen Forschungsstand eurozentrischer Ausrichtung um eine globalhistorische Perspektive zu erweitern, kommen im Handbuch auch mehrere Experten aus Asien, Lateinamerika und Afrika zu Wort. Die Annäherung an die historische Entwicklung des Völkerrechts findet in sechs Teilen und unter Anwendung von fünf verschiedenen Zugängen statt: einem völkerrechtstheoretischen, einem ideengeschichtlichen, einem geographisch-regionalen, einem methodologisch-historiographischen und einem akteurspezifisch-prosopographischen. In den Teilen I, II und IV kommen mehr als einer der genannten Zugriffe gleichzeitig zum Einsatz.
Erwähnt sei, dass die Herausgeber in ihrer Einleitung lediglich zwischen drei Methoden (Modes) unterscheiden, anhand derer sich ihr Handbuch der Völkerrechtsgeschichte annähert: Events, Concepts, People. Dennoch spielen auch die Kategorie Raum sowie die moderne Theorie des Völkerrechts für die Konzeption des Handbuches eine (verschieden) gewichtete Rolle. Während dem Raumparadigma mit Teil III zu „Regions“ eine hevorstechende Bedeutung beigemessen wird, fand die Struktur des völkerrechtlichen Theoriegebäudes, wie sie uns etwa aus rechtswissenschaftlichen Lehrbüchern bekannt ist, als Ordnungsfaktor des Wissens wenig Berücksichtigung. Die moderne Völkerrechtslehre wurde allerdings bei der Themenauswahl, vor allem für die Teile I und II, stark herangezogen. Ihre Funktion in diesem Handbuch ähnelt jener von einem Software-Programm, das im Hintergrund läuft.
Bis vor einigen Jahren war es üblich, Völkerrechtsgeschichte „im Anschluss an Wolfgang Preiser und Wilhelm Grewe als eine Abfolge von spanischem, französischem, englischem und sowjetisch-amerikanischem Zeitalter“ zu beschreiben.3 Ein oft angeführtes Beispiel dafür ist die als juristisches Studienbuch konzipierte Völkerrechtsgeschichte Karl-Heinz Zieglers, die aber trotz der Übernahme des Modells der völkerrechtsprägenden (europäischen) Großmächte ein erstaunlich großes Interesse an außereuropäischen Anteilen der Völkerrechtsgeschichte zeigt.4 Fassbender und Peters geben die kanonische Epocheneinteilung der imperialen Zeitalter auf, was angesichts des anti-eurozentrischen Vorhabens verständlich ist. Allerdings ist ihr globalhistorisch angelegter Gegenvorschlag ebenfalls unproblematisch. Die Erzählung der Entwicklung des Völkerrechts entlang einer imperialen Zeitachse mag eine Reihe von teleologischen Perspektivverzerrungen mit sich gebracht und zu sehr auf den europäischen Staat als grundlegende Untersuchungseinheit fokussiert haben, sie hat aber Übersichtlichkeit geschaffen. Diese geht hier zugunsten innovativer Ansätze, die auf Austauschbeziehungen, Interaktionszusammenhänge und Synchronizität historischer Gegenstände abheben, sowie im Sinne der Aufhebung üblicher Zäsuren und gängiger Interpretationsmuster verloren. In den 65 Kapiteln stößt man auf zahlreiche Wiederholungen, Überlappungen und Widersprüche. Zwar sind die einzelnen Kapitel überwiegend chronologisch aufgebaut, dennoch bietet der von Fassbender und Peters ausgewählte globalhistorische Zugang keinen Leitfaden für eine große synthetische Darstellung – zumindest nicht in seiner jetzigen experimentellen Phase.
Teil I des Handbuches betitelt mit „Actors“ diskutiert primär Themen der historischen Entwicklung der Völkerrechtssubjektivität. Neben Staaten als originäre oder geborene Völkerrechtssubjekte, denen das klassische Völkerrecht die ausschließliche Völkerrechtssubjektivitätsfähigkeit anerkannte, werden auch andere, im Laufe der zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen mit völkerrechtlichen Rechten und Pflichten ausgestattete Träger behandelt (z. B. internationale Regierungsorganisationen). Überdies widmet sich dieser Teil weiteren Akteuren mit großem Einfluss auf der internationalen Ebene, deren Eigenschaft als partielle Völkerrechtssubjekte aber weiterhin fraglich bleibt (Nichtregierungsorganisationen, transnationale Unternehmen, Individuum). Auch den Minderheiten ist ein besonderes Kapitel gewidmet. Zwar sind diese nach vorherrschender Meinung in der Völkerrechtslehre keine eigenständigen Rechtsträger. Dennoch genießen sie vielfach völkerrechtlichen Schutz, sodass die Frage nach ihrer Völkerrechtssubjektivität immer wieder aufkommt. Auch wenn die Herausgeber keine näheren Informationen dazu liefern, scheint der erste Teil auf der Grundlage der modernen Völkerrechtslehre bezüglich eines engeren und weiteren Kreises von Völkerrechtssubjekten konzipiert zu sein.
Teil II unter der Überschrift „Themes“ ist weitgehend von der deutschen Ideen- und Begriffsgeschichte inspiriert. Die sieben Kapitel dieses Teiles behandeln die historische Entwicklung von Konzepten („Concepts“), die für die völkerrechtliche Normsetzung von großer Bedeutung waren – beispielsweise „Territorium“, „Zivilisation“ oder „Herrschaft“. Insbesondere werden folgende Themenkomplexe und Konzept-Paarungen ausführlich besprochen: „Territory and Boundaries“, „Cosmopolis and Utopia“, „Peace and War“, „Religion and Religious Intervention“, „The Protection of the Individual in Times of War and Peace“, „Trade, Chartered Companies, and Mercantile Associations“, „The Sea“.
Aus der Lektüre dieser Beiträge lassen sich interessante Erkenntnisse gewinnen, die vor dem Hintergrund gegenwärtiger Problem- und Konfliktlagen von großer Aktualität sind. So erfährt man etwa im Kapitel von Daniel-Erasmus Kahn zum Konzept der Territorialität im Völkerrecht, dass die Existenz eines Staatsgebietes als eines der entscheidenden staatlichen Anerkennungskriterien (neben Staatsvolk und Staatsgewalt) erst im späten 19. Jahrhundert Eingang in die Völkerrechtstheorie fand, wesentlich durch die Drei-Elementen-Lehre von Georg Jellinek. Angesichts der heutigen herausragenden Bedeutung des territorialen Substrates für die völkerrechtliche Anerkennung eines Herrschaftsverbandes sowie einer seit Ende des Kalten Krieges ständigen Grenzveränderungen unterworfenen Welt kann der Rückblick in die Vergangenheit neue Perspektiven öffnen. Der Beitrag von Mary Ellen O’Connell „Peace and War“ behandelt wiederum Aspekte der historischen Entwicklung des ursprünglich naturrechtlich ausgelegten Ius ad Bellum. Auch hier liegt die aktuelle Brisanz auf der Hand, wenn man etwa an die seit dem Nato-Einsatz im Kosovo-Krieg kontrovers diskutierte Doktrin der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) denkt. Das gleiche gilt für das Buchkapitel Robert Kolbs zu „The Protection of the Individual in Times of War and Peace“, das in Hinblick auf die Entwicklung des völkerrechtlichen Menschenrechtssystems zu einer der tragenden Säulen der heutigen internationalen Ordnung ebenso einen deutlichen Gegenwartsbezug aufweist. Die moderne Sicherung der Menschrechte baut zunehmend auf die Anerkennung des einzelnen Menschen als eigenes Rechtssubjekt, als Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten auf. Kolb zeigt, dass sich in der Völkerrechtlehre die Ansicht von dem Individuum als Subjekt des internationalen Rechts erst Mitte des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnte – wobei dieses spannende Kapitel zur historischen Entwicklung der Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität des Individuums wohl besser im ersten Teil des Handbuches aufgehoben wäre.
Teil III „Regions“ betrachtet die Entwicklung des Völkerrechts aus einer Area-Studies- Perspektive. Es ist in fünf mehrheitlich geographisch konzipierte Unterschwerpunkte gegliedert, die sich im Einzelnen wiederum aus mehreren Kapiteln zusammensetzen: I. Africa und Arabia, II. Asia, III. The Americas and the Caribbean, IV. Europe, V. Encounters. Durch die 18 Beiträge wird der Absicht Rechnung getragen, das eurozentrische Deutungsmuster der bisherigen Völkerrechtsgeschichte zu überwinden und diese erstmals unter Anwendung globalhistorischer Ansätze umzuschreiben. Da es sich dabei um das Hauptanliegen des Handbuches handelt, erscheint der überproportionale Umfang von Teil III im gerechtfertigt. Insbesondere der fünfte Unterschwerpunkt „Encounters“ ist dieser globalhistorischen Perspektive verpflichtet, da die Autoren der fünf darin beinhalteten Kapitel („China-Europe“, „Japan-Europe“, „India-Europe“, „Russia-Europe“ und „North American Indigenous Peoples’ Encounters“) gezielt nach Verbindungen, Interaktionen und Austausch fragen und zeigen.
Auch in den anderen, geographischen Kriterien folgenden Themenschwerpunkten von Teil III finden sich Beiträge, die von einem Osterhammel’schen Verständnis von Globalgeschichte als „Interaktionsgeschichte innerhalb weltumspannender Systeme“ ausgehen.5 Dies trifft etwa für das Kapitel Shin Kawashimas zu China zu, in dem der an der Universität Tokyo lehrende Rechtswissenschaftler eine hoch interessante Transfergeschichte nachskizziert, nämlich die der im 19. Jahrhundert erfolgten Bekanntmachung der Chinesen im Zuge des Opium-Konflikts mit westlichen Normen der internationalen Beziehungen. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Prozess die Übersetzung bekannter westlicher völkerrechtlicher Abhandlungen (z. B. „Le Droit des Gens“ von Emmerich de Vattel, „Elements of International Law“ von Henry Wheaton).
Während die völkerrechtshistorische Forschung zu Asien transfergeschichtliche Zugriffe zum methodischen Ausgangspunkt nimmt, leidet die afrikanische Sicht auf die Entwicklung des Völkerrechts unter einer durch das koloniale Trauma bedingten Perspektivverengung. Dies geht aus dem lesenswerten Beitrag James Thuo Gathiis hervor, der einen guten Überblick über die zwei tonangebenden Strömungen innerhalb der afrikanischen Völkerrechtshistoriographie (Contributionists und Critical Tradition) bietet. Gathii hinterfragt kritisch die Geschichtsnarrative beider Strömungen und zeigt ihre gemeinsame Schwäche auf: Der stark kritisierte Eurozentrismus wird schlicht durch einen Afrika-Zentrismus ersetzt.
Gut ergänzen sich die außereuropäischen Kapitel mit denen von Unterschwerpunkt IV zu Europa. Miloš Vec diskutiert in seinem Beitrag „From the Congress of Vienna to the Paris Peace Treaties of 1919“ die Rolle des internationalen Rechts bei der Entstehung der modernen, global vernetzten Welt des 19. Jahrhunderts. Er beschreibt, wie sich die europäische Völkerrechtsgemeinschaft allmählich ab Mitte des 19. Jahrhunderts für nicht-europäische Staaten öffnete. Im Zuge dieser Öffnung wurde das Aufnahmekriterium der Europäizität durch das der Zivilisation ersetzt. Fortgesetzt wurde der völkerrechtliche Globalisierungsprozess, wie Peter Krüger im anschließenden Kapitel zeigt, nach Ende des Ersten Weltkriegs mit der Gründung des Völkerbunds. Indem Staaten wie Siam (das spätere Thailand) in der Spätphase des Ersten Weltkriegs auf Seite der Entente an dem Großen Krieg teilnahmen, konnten sie als Gründungsmitglieder in den Völkerbund eintreten. Die Völkerrechtsgemeinschaft verlor damit endgültig ihren europäischen Exklusivitätscharakter.
Was den Teil zu Europa betrifft, wäre ein differenzierterer Blick auf die Region eine anregende Herausforderung. Neuere Studien gehen der These nach, dass der in der Völkerrechtsgeschichte oft ignorierte östliche Teil Europas einen starken Einfluss auf die Entwicklung neuer völkerrechtlicher Normen genommen hat – sowohl als „passiver“ Impulsgeber in der Rolle der Krisenregion, die „von außen“ zu befrieden sei, wie auch als „aktiver“ Mitgestalter in internationalen Organisationen (z.B. Jugoslawien in der KSZE).6
Der ideen- und begriffsgeschichtliche Ansatz, der den zweiten Teil des Handbuches prägt, liegt auch Teil IV „Interaction or Imposition“ zugrunde. Die Mehrzahl der Beiträge dreht sich um die Frage nach den „kolonialen Ursprüngen“ des Völkerrechts. So wird etwa im Kapitel Liliana Obregòns „The Civilized and the Uncivilized“ die Karriere der völkerrechtlichen Norm des „zivilisierten Staates“ nachgezeichnet. Die in der Völkerrechtslehre und in der Staatenpraxis vorgenommene Trennung zwischen einer „Gemeinschaft der zivilisierten Nationen bzw. Staaten“ auf der einen Seite und den „Halb- und Unzivilisierten“ auf der anderen war nicht nur die Folge westlich-christlicher Überlegenheitsgefühle und weiterlebender alter Vorstellungen vom christlichen Abendland. Sie wurde auch zur Bedienung kolonialer Expansionsgelüste europäischer Großmächte in Afrika eingesetzt. Andrew Fitzmaurice widmet sich ebenso in seinem Beitrag „Discovery, Conquest, and Occupation of Territory“ der Rolle des Völkerrechts als Legitimierungsinstrument im Dienste europäischer Expansions- und Kolonialismusbestrebungen seit dem 16. Jahrhundert. Er tut dies, indem er die historische Entwicklung völkerrechtlicher Doktrinen zum Gebietserwerb („effektive Okkupation“, Entdeckungsdoktrin u.a.) bespricht. Matthew Cravens Beitrag „Colonialism and Domination“ diskutiert schließlich die Beziehung zwischen Völkerrechts- und Kolonialgeschichte und zeigt die Schnittmengen zwischen den beiden auf. Insbesondere stellt Craven die Widerspiegelung kolonialer Ereignisse in der Lehre prominenter Völkerrechtler der frühen Neuzeit dar.
Teil V „Methodology and Theory“ ragt aufgrund seiner allesamt sehr anregenden Beiträgen über die anderen Teile des Handbuches deutlich hervor. Besonders hervorzuheben ist hier das Kapitel von Anthony Carty. Carty zeigt die wesentlichen Probleme auf, wenn es darum geht, Völkerrechtsgeschichte zu schreiben. Sie bestünden vor allem darin, dass innerhalb der völkerrechtlichen Disziplin weiterhin kein Konsens darüber bestehe, wie aus einer völkerrechtlichen Perspektive staatliche Praxis zu definieren sei. Cartys spannende Analyse bewegt sich auf der Metaebene der Konstruktion staatlicher Praxis in der Lehre. Indem er die Hypothese von Clive Parry und Michael Stolleis von „a decisive influence of the discipline (effectively the doctrine) in constructing the practice” (S. 975) übernimmt, kann er mit einem weitverbreiteten Trugschluss aufräumen: Viel zu oft geht man irrtümlicherweise davon aus, dass in völkerrechtlichen Doktrinen die bereits vorhergegangene staatliche Praxis widergespiegelt wird. Carty zufolge ist es aber die Völkerrechtslehre bzw. die Doktrin, welche bestimmt, was als Staatspraxis zu betrachten sei; die Staatspraxis, so Carty im Weiteren, wird gezielt herangezogen, um das bereits in der Lehre niedergeschriebene Recht zu bekräftigen. Letztendlich sind es die Völkerrechtslehre und ihre verschiedenen Schulen und Strömungen, die je nach Bedarf vorgeben, was als Staatspraxis zu betrachten und zu definieren sei. Die Thesen Cartys sind angesichts der starken gewohnheitsrechtlichen Prägung des Völkerrechts umso bemerkenswerter.
Der letzte und sechste Teil „People in Portrait“ stellt in jeweils 4-5 Seiten das Werk von 21 renommierten Persönlichkeiten der Völkerrechtslehre dar. Diese 21 Kurzkapitel sind aufgrund ihrer Nachschlagewerk-Funktion eine sehr willkommene Ergänzung zu den vorhergegangenen Teilen des Handbuches. Sie dienen zum einen der schnellen Orientierung über einzelne Themenaspekte, die anderswo im Handbuch in Verbindung zu einflussreichen Völkerrechtler angesprochen werden. Zum anderen ermöglichen sie in dem einen oder anderen Fall auch die Vertiefung in verschiedene Facetten der völkerrechtlichen Fach- und Wissenschaftsgeschichte. Ihre Stärke liegt vor allem darin, dass sie versuchen, die für lange Zeit in der Forschung vernachlässigten Wechselwirkungen zwischen Biografie und juristischem Werk zu erfassen. Damit folgen sie einem neueren Trend, der vor allem in der osteuropäischen Geschichte interessante Ergebnisse hervorbrachte.7
Versucht man ein Fazit zu ziehen, so ist positiv anzumerken, dass das Oxforder Handbuch das erste ist, in dem die Geschichte der Entwicklung des Völkerrechts unter globalhistorischem Blickwinkel untersucht wird. Das Handbuch ist in Hinsicht auf seine Inhalte, Zugänge, Ansätze, Methoden, Struktur ebenso wie in seinem Aufbau weniger der juristischen Völkerrechtswissenschaft und mehr der Geschichtswissenschaften, insbesondere der Globalgeschichte, verpflichtet. Damit wird ein wichtiger Beitrag geleistet, gewisse disziplinäre Engführungen sowohl innerhalb des Faches Geschichte als auch auf dem Gebiet der Völkerrechtswissenschaft zu überwinden. Und dies erfreulicherweise ohne in anti-eurozentrische Übertreibungen und Exzesse zu verfallen. Mit Erleichterung nimmt man zur Kenntnis, dass die Herausgeber und die anderen Autoren dieses Handbuches nicht in die Falle tappen, die Völkerrechtsgeschichte „enteuropäisieren“ zu wollen. Es geht ihnen vor allem darum, die bereits bekannten europäischen Anteile an der Geschichte des internationalen Rechts mit den fehlenden außeneuropäischen zu ergänzen. Der ausbalancierte Charakter des Handbuches in Hinsicht auf die Eurozentrismus-Problematik stellt zweifelsohne eine der großen Stärken dieses voluminösen Werkes dar.
Zu den Stärken des Oxforder völkerrechtshistorischen Handbuches zählt sein renommiertes Autoren-Ensemble: Von Randall Lesaffer und Jörg Fisch bis zu Matthew Craven und Martti Koskenniemi – jeder, der auf dem Gebiet des Völkerrechtsgeschichte Rang und Namen hat, wirkte an dem autoritativen Sammelwerk mit. Überdies schafft das Handbuch mit seinem globalgeschichtlichen Profil einen Kommunikationsraum für Experten aus verschiedenen Teilen der Welt und trägt zur Kenntnis des asiatischen, arabischen und afrikanischen Forschungsstandes in der „westlichen“ Wissenschaftscommunity bei.
Kritisch lässt sich einwenden, dass es weniger ein Handbuch und mehr ein Aufsatzsammelband von beträchtlichem Umfang ist, erheben Handbücher doch zumeist ein gewissen Anspruch auf Vollständigkeit bzw. decken ein breites Themenspektrum unter Berücksichtigung der Kernthemen des Faches ab. Das Oxford Handbuch of the History of International Law, so innovativ es aufgrund seiner Öffnung zur außereuropäischen Welt sein mag, erfüllt diesen Anspruch nur bedingt. Möchte man sich einen Überblick über die Entwicklung einer völkerrechtlichen Doktrin oder eines ganzen völkerrechtlichen Gebietes (z.B. humanitäres Völkerrecht, internationales Strafrecht etc.) verschaffen, muss man sich mühsam durch einzelne Teile und Kapitel (mithilfe des Sachregisters) durcharbeiten und nach sich häufenden Wiederholungen die Synthese selbst leisten. Eindeutig zu wenig gelingt es Fassbender und Peters die Vielfalt von Themen, Perspektiven und Anregungen so zu bündeln, dass sich daraus längere Entwicklungslinien ergeben. Der Charakter als Handbuch und Nachschlagewerk wurde für eine globalgeschichtlich-innovative Herangehensweise geopfert.
Die zeitliche Beschränkung durch das Aufgreifen der „Zäsur“ von 1945 stellt in mehrerlei Hinsicht ebenso ein Problem dar, u.a. dass die wichtigen Veränderungen auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts nach Ende des Kalten Krieges werden völlig ausgeblendet. Die Begründung, dass die heutige Völkerrechtsordnung weiter größtenteils auf den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen gründet, kann angesichts der bahnbrechenden Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte schwer überzeugen. Es sind denn auch Autoren dieses Handbuches, die in anderen Studien das Ende des Kalten Krieges zu einer neuen Zäsur in der Geschichte der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts erklärt haben.8
Trotz dieser Einwände stellt das Handbuch einen deutlichen völkerrechts- ebenso wie globalhistorischen Erkenntnisgewinn dar. Es erfüllt eine Reihe von Voraussetzungen für ein Standardwerk. Sein größtes Verdienst ist, dass es neue Brücken zwischen der Völkerrechts- und der Geschichtswissenschaft schlägt.
Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Helmut Walser Smith (Hrsg.), The Oxford Handbook of Modern German History, Oxford 2011; Richard H. Immerman / Petra Goedde (Hrsg.), The Oxford Handbook of the Cold War, Oxford 2013.
2 Lasse Oppenheim, The Science of International Law. Its Task and Method, in: American Journal of International Law 2 (1908) 2, S. 313-356, hier S. 316-317.
3 Marcus M. Payk, Institutionalisierung und Verrechtlichung. Die Geschichte des Völkerrechts im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 52 (2012), S. 861-884, hier S. 863.
4 Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte. Ein Studienbuch, 2. Aufl., München 2007.
5 Jürgen Osterhammel, „Weltgeschichte“. Ein Propädeutikum, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56 (2005), S. 452-479, hier S. 460.
6 Vgl. Stefan Troebst, Speichermedium der Konflikterinnerung. Zur osteuropäischen Prägung des modernen Völkerrechts, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 61 (2012), S. 405—432; Adamantios Skordos, Geschichtsregionale Völkerrechtsforschung. Der Fall Südosteuropa, in: ebenda, S. 433—473.
7 Vgl. Omry Kaplan-Feuereisen, Im Dienste der jüdischen Nation. Jacob Robinson und das Völkerrecht, in: Osteuropa 58 (2008) 8-10, S. 279-294; Martin Aust, Völkerrechttransfer im Zarenreich. Internationalismus und Imperium bei Fedor F. Martens, in: Osteuropa 60 (2010) 9, S.113-125. Stefan Troebst, Lemkin and Lauterpacht in Lemberg and Later. Pre- and Post-Holocaust Careers of Two East European International Lawyers, in: Transit Online, http://www.iwm.at/read-listen-watch/transit-online/lemkin-and-lauterpacht-in-lemberg-and-later-pre-and-post-holocaust-careers-of-two-east-european-international-lawyers/ (27.12.2013)
8 Vgl. Martti Koskenniemi, Why History of International Law Today?, in: Rechtsgeschichte 4 (2004), S. 61-66; Matthew Craven, Introduction: International Law and its Histories, in: ders. / Malgosia Fitzmaurice / Maria Vogiatzi (Hrsg.), Time, History and International Law, Leiden 2007, S. 1-25.