S. Linhart u.a. (Hgg.): Ostasien 1600-1900

Title
Ostasien 1600-1900. Geschichte und Gesellschaft


Editor(s)
Linhart, Sepp; Weigelin-Schwiedrzik, Susanne
Series
Edition Weltregionen
Published
Extent
280 S.
Price
€ 24,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Annette Schad-Seifert, German Institute for Japanese Studies Tokyo, Japan Email:

Der Japanologe Sepp Linhart und die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik haben mit dem zehnten Band der Reihe Edition Weltregionen einen neuerlichen Versuch unternommen, einen zusammenfassenden und historisch vergleichenden Überblick auf die Region Ostasien, damit sind die heutigen Länder Japan, Korea und China gemeint, vorzulegen. Unterstützt wurden die beiden Regionalwissenschaftler dabei von 12 FachkollegInnen, darunter ein Koreanist (Rainer Dormels), zwei JapanologInnen (Susanne Formanek, Klaus Vollmer) und ein zu Japan arbeitender Historiker (Wolfgang Schwentker) sowie sieben SinologInnen (Hans van Ess, Margareta Griessler, Ralph Kauz, Erich Pilz, Angela Schottenhammer, Richard Trappl). Der deutliche Überhang an China-SpezialistInnen ist wohl der historisch zentralen Rolle Chinas für den Raum Ostasien geschuldet, wird jedoch in der Gesamtschau der Beiträge dadurch ausgeglichen, dass die AutorInnen mit dem expliziten Auftrag antreten, nicht ausschließlich fokussiert über „ihre“ Region zu recherchieren, sondern immer auch den komparativen Blick auf die benachbarten Territorien vorzunehmen. Darin liegt zugleich das Verdienst, aber auch die Schwäche des vorliegenden Readers, der zugleich mit mehreren wissenschaftlichen Problemen konfrontiert ist. Weigelin-Schwiedrzik räumt selbst in ihrer Einleitung ein, dass „Ostasien“ als Begriff nicht lediglich eine geografische, sondern eine kulturelle, politische und gesellschaftsstrukturelle Einheit impliziert, die „wohl eher ein europäisches Konstrukt“ (S. 9) ist. Im Sinne der Said’schen Orientalismus-Kritik hat dieses Konstrukt mit ideologischen Verwerfungen zu kämpfen, die weniger über die asiatische Region als mehr über europäische Vorstellungen aussagen. Die AutorInnen befinden sich deshalb in dem Dilemma, dass sie einerseits die kulturelle Einheit Ostasiens voraussetzen, andererseits aber stereotype Interpretationsmuster wie Konfuzianismus als prägende Gedankenwelt (im Beitrag von van Ess) oder Reisanbau als sozialstrukturell grundlegende Reproduktionsform (im Beitrag von Schottenhammer) herausfordern und in Frage stellen. Auch dadurch, dass jeder der Beiträger jeweils nur für eine Region spezialisiert ist, ließen sich Unausgewogenheiten und willkürliche Schwerpunktsetzungen nicht vermeiden.

Vom wissenschaftlichen Anspruch her entsprechen alle Beiträge dem Charakter des Bandes als Reader, richten sich also an eine nicht spezialisierte Leserschaft, wie etwa Studierende im Grundstudium der Japanologie, Sinologie oder Koreanistik. Denn die disziplinäre Verankerung der regionalwissenschaftlichen Ostasienfächer im deutschsprachigen Raum ist zwar an Institute angegliedert, die den Namen Ostasien im Titel tragen, in der wissenschaftlichen Praxis indes verwehren hohe Mauern der Fächertrennung eine japanologische Beschäftigung mit China oder eine sinologische Beschäftigung mit Japan. In der anglo-amerikanischen Tradition der area studies ist dagegen die interdisziplinäre Betrachtung der Länder China, Japan und Korea üblich, und einführende Lehrveranstaltungen zur Geschichte Ostasiens gehören laut Linhart 1 dort zur Allgemeinausbildung. Die angeführte Literatur ist vermutlich deshalb beschränkt auf wenige, überwiegend westlichsprachige Einführungswerke, die dem Ansatz der area studies verbunden sind, nur vereinzelt sind Detailuntersuchungen und originalsprachige Quellen angegeben. Allerdings hätte man sich für manche der bibliographischen Anhänge eine Aktualisierung gewünscht.

Die Rezension der inhaltlichen Beiträge ist von der Frage geleitet, in wieweit der zehnte Band der Reihe im Unterschied zum ersten von Sepp Linhart und Erich Pilz vorgelegten Sammelband Ostasien: Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20 Jahrhundert, nicht nur eine zeitlich unterschiedliche Schwerpunktsetzung liefert, sondern über eine aneinander gereihte Einzelbetrachtung der jeweiligen Region China, Japan, Korea hinaus geht.

Was den inhaltlichen Aufbau der Beiträge betrifft, macht keine(r) der AutorInnen einen Hehl daraus, dass die anvisierte Untersuchung nur holzschnittartig ausfallen kann, es fällt aber auf, dass die Beiträger methodisch recht unterschiedlich an ihre Aufgabe herantreten. Der erste inhaltliche Beitrag von Pilz, Dormels und Linhart ist in seiner Dreiteilung konventionell national segmentiert und herrschaftsgeschichtlich auf Regenten wie chinesisches Kaiserhaus, koreanische Königsdynastie und japanische Militärregierung orientiert. Die Autoren einigt der Ansatz, die Herausforderung durch den Westen und die Auswirkungen der europäischen Interessen für eine nationale Zentralisierung und Modernisierung der drei Länder zu diskutieren.
Weigelin-Schwiedrzik nimmt einen strukturanalytischen Blick ein, indem sie China als zentrale Macht in Ostasien untersucht und das System der Reichseinigung Chinas als ausgeklügeltes Verhältnis von Zentrum und Peripherie beschreibt. Ihr Ansatz ist ebenfalls einer modernisierungstheoretischen Perspektive verpflichtet und benennt Institutionen wie Prüfungssystem und bürokratische Verwaltung im vormodernen China als effektive rationale Strategien für den Ausgleich zwischen zentralem Staat und lokaler Autonomie. Laut Weigelin-Schwiedrzik hat sich die „geschickte Politik von Unterwerfung und Kooperation“ (S. 87) als erfolgreich erwiesen, um China zu einem Vielvölkerstaat auszubauen, der in Ostasien eine riesige Ausdehnung angenommen hat. Das Machtgefüge als balancierte Wechselbeziehung verfällt zwar zunehmend unter der Herrschaft der nicht-Han-chinesischen Mandschus, hatte aber als Vorbild nachhaltige Auswirkung auf die anliegenden Länder Korea und Japan, die beide die Mechanismen der chinesischen Administration unterschiedlich ausgeprägt übernommen haben.
Die Sinologin Grießler untersucht ähnlich wie Weigelin-Schwiedrzik einen Herrschaftsmechanismus, genauer den chinesischen Begriff tianxia („alles, was unter dem Himmel ist“). Dieser Herrschaftsbegriff, der auf das Selbstverständnis des chinesischen Reiches als Land der kulturellen und politischen Mitte verweist, hat über Jahrhunderte hinweg das Verhältnis Chinas zu den nicht-chinesischen Nachbarvölkern geprägt und spezifische Mechanismen der Außenbeziehungen des Reiches hervor gebracht. Für die Aufrechterhaltung der chinesischen Autorität über Nachbarn wie Mongolei, Tibet und Turkestan aber auch Korea und die Ryukyu-Inseln, sorgte das Tributsystem für die Herstellung einer kulturellen Hegemonie, die für die politische Machtsicherung grundlegend war. Erst im Kontakt mit den europäischen „Barbaren“ erfuhr die chinesische Zentralmacht im 19. Jahrhundert durch die europäischen Hegemonialansprüche und kolonialistischen Handelsinteressen eine empfindliche Beeinträchtigung, die dafür sorgte, dass China seine Vormachtstellung einbüßte.

Ohne Zweifel verleitet die enorme geografische Ausdehnung des chinesischen Reiches dazu, die ostasiatische Geschichte als eine chronologische Abfolge von dynastischen Machtwechseln und dynamische Absorption von peripheren Gebieten zu beschreiben. Der im Untertitel des Bandes angedeutete Anspruch einer sozialgeschichtlichen Beschreibung für Ostasien setzt erst bei den japanologischen Beiträgen von Vollmer, Linhart und Formanek ein. Hier fügt der Blick auf die sozialen Schichten und das alltägliche Leben der sozialen Randgruppen den grob geschnitzten Herrschaftsanalysen einen wichtigen Faktor der historischen Entwicklung hinzu. So verbleibt die Darstellung nicht im Charakter der chronologisch erzählenden Epochenbetrachtung, sondern vermag strukturelle Ähnlichkeiten der Gesellschaftsvorstellung und unterschiedliche Praktiken der sozialen Schichtung in China, Korea und Japan nachzuweisen. Große Anerkennung verdient Formaneks vergleichende Familien- und Demographiegeschichte, die sich detailliert mit dem Zusammenhang von Bevölkerungszahl, landwirtschaftlicher Produktion und familiären Beziehungen beschäftigt. Formanek weist anschaulich die jeweils verschiedenen Ausprägungen der patriarchalischen Herrschaft, der männlichen Erbfolge und des Generationenverhältnisses nach, die in Japan und China zu völlig unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen für die Modernisierung der Länder führten.

Diese in allen Beiträgen anklingende Frage nach dem Modernisierungspotential der ostasiatischen Länder im Vergleich zu den europäischen Nationen wird abschließend in den Beiträgen des Sinologen Pilz und des Japanhistorikers Schwentker noch einmal theoretisch fundiert aufgenommen. Pilz bietet hier eine glänzende Diskussion der theoretischen Schulen, die als Herausforderung des Weber’schen Befunds angetreten sind, dass nur in Europa eine Entwicklung zum modernen Kapitalismus stattfinden konnte. Laut Pilz darf eine vergleichende Betrachtung der chinesischen Wirtschaft nicht einseitig mit europäischen Standards und Zielsetzungen unterlegt werden, vielmehr fordert er, die komplexen Motive und disparaten Bedingungen des späten chinesischen Kaiserreichs aus seiner inneren Logik heraus zu bewerten. Schwentkers Frage nach den historischen Voraussetzungen der japanischen Modernisierung ist hier weniger herausfordernd, sondern fasst eher hinlänglich bekannte Thesen zum japanischen Entwicklungsvorsprung gegenüber China zusammen, wie etwa rasches Krisenmanagement, hoher Zentralisierungsgrad, gut ausgebaute Infrastruktur oder günstigere Bevölkerungsentwicklung.

Insgesamt bietet der Band ein fundiertes Basiswissen auf hohem Niveau, der auch wegen seiner einprägsamen und verständlichen Sprache für jede Einführung in die Geschichte Ostasiens überaus zu empfehlen ist. Leider nimmt sich im Vergleich zu China und Japan die Betrachtung Koreas insgesamt sehr spärlich aus, was mit der bedauerlich schwachen Verankerung der Koreanistik in der ostasiatischen Forschung im deutschsprachigen Raum korrespondiert.

1 Linhart, Sepp; Pilz, Erich (Hgg.), Ostasien: Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20 Jahrhundert, Wien 1999, hier S. 7.

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17.02.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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