M. Zeuske: Sklavereien, Emanzipationen und atlantische Weltgeschichte

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Title
Sklavereien, Emanzipationen und atlantische Weltgeschichte. Essays über Mikrogeschichten, Sklaven, Globalisierungen und Rassismus


Author(s)
Zeuske, Michael
Series
Arbeitsberichte des Instituts für Kultur und Universalgeschichte Leipzig e.V. 6
Published
Extent
258 S.
Price
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Claudia Rauhut, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Michael Zeuske legt mit seinem Buch eine Sammlung von früheren Aufsätzen und bearbeiteten Themen wie kubanische Kolonial- und Postkolonialgeschichte, atlantisch-amerikanische Sklavereisysteme, Unabhängigkeitsbewegung und Emanzipationswege vor 1, indem er seine bisherigen Arbeitsfelder um die Perspektive der Mikrogeschichten erweitern möchte. Zeuske absolvierte seinen akademischen Werdegang am „Wissenschaftsbereich allgemeine Geschichte der Neuzeit“ der Universität Leipzig und ist seit 1993 Professor für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte am Historischen Seminar der Universität zu Köln.

Im Zentrum der hier betrachteten atlantischen Sklavereien und Emanzipationen mit den jeweiligen Akteuren steht die kubanische Massensklaverei, die als historisches Paradigma kapitalistischer Plantagenwirtschaft mit Sklaven die atlantische Weltgeschichte, so Zeuske, entscheidend beeinflusste. Die Vielfalt der in acht Kapiteln behandelten Themen beginnt mit nationalen Meistererzählungen auf Kuba und führt über indianische Ethnien vor und nach Kolumbus zur Massensklaverei auf Kuba und den afrikanischen Sklavenkulturen. Im zweiten Teil versucht Zeuske, einen Vergleich verschiedener Emanzipationswege karibischer Sklavengesellschaften anzustellen mit besonderer Behandlung der haitianischen Revolution, bis er schließlich nach einem peripheren Blick auf kontinentale Emanzipationswege wieder auf Kuba zurückkommt und den dortigen Typus des Übergangs zur freien Arbeit schildert. Das Buch hat keine zentrale These, auch kein klassisches Einleitungs- und Schlusskapitel, trifft aber in den hier analysierten Themenfeldern immer wieder Aussagen, die besonders in den zentralen Kapitel zur Sklaverei, Sklavenkulturen und Sklaven sowie deren unterschiedliche Emanzipationswege wichtige Forschungsperspektiven eröffnen. Der Autor begreift die Sklaven als die eigentlichen Akteure von Geschichte und will deren „Geheimnisse“ und noch unerzählte Geschichten hinter den von Eliten definierten nationalen Meistererzählungen (S. 33) als Motivation und Leitgedanke des Buches aufgreifen.

Nach der historischen Rekonstruktion der Entdeckung des Atlantik und der Karibik mit ihren sozioökonomisch differenzierten indianischen Ethnien vor und nach Kolumbus (Taínos, Subtaínos, Guanahatabeyes, Siboneyes, Kariben, S. 62), von denen besonders die Kariben in Form des konstruierten Kannibalen-Mythos Einzug in die europäische Kultur hielten (S. 81), schildert Zeuske, was er unter früheren Globalisierungen versteht. Die erste kennzeichnet er durch die Kolonialexpansionen Europas zwischen 1415-1800; die zweite, hier bedeutendere Globalisierungswelle markiert das industrielle Zeitalter in Europa zwischen 1800 und 1880 mit erzwungener Migration von Arbeitskräften. Für Kuba war dies die Blüte des transatlantischen Sklavenhandels, der ab 1763 auf der Insel untrennbar mit der kapitalistischen Plantagenwirtschaft und der europäischen Geschichte verbunden war (S. 92).

Anhand von kubanischen Archiven und Sekundärquellen zeigt der Autor im dritten und vierten Kapitel die Etappen der Entwicklung der kubanischen Massensklaverei über das „Cuba Grande“ der kubanischen Zuckerelite auf Basis der Zuckerproduktion, dem Verbot und illegalem Schmuggel, den Rebellionen und Stagnationen bis zur Krise der Sklaverei ab 1880 und schließlich deren Abschaffung um 1886. Zeuske richtet seinen Fokus auf die Sklaven und Sklavenkulturen, die, weil sie kaum schriftliche Quellen hinterließen, in ihren historischen und kulturellen Zeugnissen durch den Filter der Sklaverei und Diskurs über Sklaverei zu betrachten sind (S. 102). Mit dem Anspruch der Beachtung des „hidden transcript“ der Sklaven (oral history, lokale und regionale Provinzarchive, Rekonstruktion des kulturellen Gedächtnisses, S. 186) strebt der Autor an, dieses Dilemma perspektivisch überwinden zu können.

Die kreolische Zuckeroligarchie des „Cuba Grande“ propagierte in ihrem Ringen um die Cubanidad eine ethnische Nation ohne Schwarze, indem sie im public transcript auf das Rassenkonstrukt der „raza de color“ (bozales und negros de nación der ländlichen Plantagen) in Abgrenzung von den freien Schwarzen und kreolisierten Farbigen der städtischen Bourgeoisie zurückgriff (S. 104). Das Rassenschema los negros gegen los blancos zog sich durch alle Ebenen der Kolonialgesellschaft und entfaltete sich im Bedrohungsszenario der „Angst vor Schwarzen“ zu offenen Repressionen. Die weiße Elite zog zu deren Legitimation die „Furchtikone“ der erfolgreichen Sklavenrevolution in Haiti heran, bediente sich aber auch literarischer und wissenschaftlicher Konstrukte der Sklaven als Hexer und Verbrecher (S. 108).2 Schließlich gab die Konkurrenz des städtischen Arbeitssektors der Schwarzen für die weißen Mittelschichten den Repressionen eine sozioökonomische Grundlage (S.106).

Vor diesem historischen Hintergrund schildert der Autor die Anpassung der verschiedenen Sklavengenerationen innerhalb der kolonial verwalteten Räume (Cabildos de Nación in Städten, Cuadrillas auf Sklavenplantagen) in die kubanische Gesellschaft (S. 113). Die dabei stattfindenden kulturellen Austausch- und Adaptationsprozesse innerhalb fiktiver religiöser Verwandtschaftsnetze (die die während der Sklaverei zerstörten „realen“ ersetzten) bildeten die Grundlage für imaginierte Traditionen auf Basis tatsächlicher und empfundener ethnisch-kultureller Gemeinsamkeiten. So transkulturierten die Sklaven in einem aktiven Prozess ihre afrikanischen Religionen, kosmologischen Vorstellungen, kulturellen Bräuche, Tänze, Musik und Sprache durch Unterlaufung des weißen Machtmonopols „von unten“ in die offiziellen, dominanten Muster der Cubanidad (S. 126). Aus verschiedenen afrikanischen lokalen Kulten bildeten sich unter dem Druck der Sklaverei drei wesentliche afrokubanische Religionen heraus: Santería oder Regla de Ocha- Ifá (yoruba); Palo Monte (congo) und die Abakuá- Geheimgesellschaft (carabalí).

Schließlich erwähnt Zeuske die wichtigsten Parameter der Sklavengesellschaft (Rasse, Klasse, Geschlecht, Alter) und geht auf Widerstände und Rebellionen ein, die zukünftig auch hinsichtlich kultureller und rechtlicher Faktoren untersucht werden sollten, die den Sklaven ermöglichten, „Gegensätze und Freiräume der Sklavereisysteme auszunutzen und von innen her zu zersetzen“ (S. 146).

In den folgenden Kapiteln verlässt der Autor Kuba und versucht, die Gesamtstruktur der Sklaverei als „Big Picture“ mit den jeweils unterschiedlichen Verlaufstypen (Wege, Pfade) und Emanzipationen der verschiedenen Sklavengesellschaften zu erstellen. Für diesen großen Vergleich zieht er die Methode der transferts culturels heran (S. 147) 3 und kommt zu dem Schluss, dass der atlantisch-amerikanische Sklavenhandel nicht aus Gründen der Ineffizienz oder Selbstauflösung von oben aufgehoben, sondern durch unterschiedliche Verlaufstypen und Wege der Emanzipation abgeschafft wurde. Zeuske hebt im sechsten Kapitel ausführlich die signalwirkende Bedeutung der Sklavenrevolution in Saint-Domingue hervor, die mit der erreichten Unabhängigkeit Haitis um 1804 eine „Furchtikone“ schuf und den Verlaufstyp „revolutionärer Emanzipation durch Sklaven“ darstellt (S. 175). Der Hintergrund der europäischen Geschichte als auch Haitis Einfluss auf andere Sklavengesellschaften (mit Ausnahme Kubas) wie Jamaika (Zerstörung des Exportsektors) und den Süden der USA (Stimulierung der Baumwollproduktion) werden nur knapp behandelt (S. 192ff.). Der Vergleich mit den zumindest quantitativ wichtigen Sklavengesellschaften Brasiliens ist mit einem späteren Verweis auf ein diesbezügliches Forschungsdefizit (S. 226) zunächst ausgeklammert.

Nach einem Abriss über bisherige Sklaverei- und Postemanzipationsforschung verortet sich Zeuske selbst als anfänglicher „struktureller Regionalhistoriker“, der jedoch im Laufe seiner Forschungserfahrungen in Kuba zunehmend Menschen und nicht Strukturen „als einzig ‚festen’ Kern von Geschichte begriff“, nicht zuletzt unter dem Druck der anthropologisch-kulturalistischen Wende (S. 155). In Form von individuellen Protokollen und Erinnerungen Einzelner und dem Rekurs auf das kulturelle Gedächtnis der heutigen Nachkommen der Sklaven möchte Zeuske sich Fragen wie nach dem Zugriff auf Land und dem Zugang der Sklaven zum legalen Bereich annähern und durch Diskussionen mit anderen Sklavereihistorikern zu grundlegenden Aussagen verallgemeinern (S. 156). So könnten sich „mikrohistorische Zahlen und Individuen zu neuen sozial- und kulturgeschichtlichen Konzepten fügen“, sich dabei jedoch „nicht von struktureller Sozial-, Politik- und Wirtschaftsgeschichte lossagen“, so der Autor (S. 156). Wenn auch an dieser Stelle die detaillierte Darlegung der Quellen und Methoden der Mikrogeschichten sowie der konkreten individuellen Zeugnisse (wo sind die eigentlichen Stimmen der „hidden transcripts“?) lückenhaft ist bzw. auf spätere Publikationen hoffen lässt, so ist doch Zeuskes Ansatz ein gelungener Versuch, eine marxistisch geprägte Wissenschaft mit anthropologischen und kulturwissenschaftlichen Konzepten zu verbinden.

Nach einem kurzen Blick auf die kontinentalen Emanzipationswege (S. 206ff.) führt das letzte Kapitel den Autor wieder nach Kuba zurück. Der Übergang zur freien Arbeit vollzog sich unter Einsatz chinesischer, yukatekischer und spanischer Kontrakt- bzw. Landarbeiter durch die Modernisierung der Massensklaverei zu einer kapitalistischen Plantagenwirtschaft. Somit zählt Zeuske Kuba in einem weiten Bogen bis in die 1950er-Jahre zu den effektivsten Agrarwirtschaften der Welt und reiht den „Cuba Grande-Typus“ des 19. Jahrhunderts in die weltgeschichtlichen Übergangstypen des klassischen Kapitalismus nach englischem Modell ein, die das Ideal der Einheit von Freiheit und (scheinbar) freier Arbeit proklamieren (S. 221).

Die kubanische Massensklaverei brachte also wirtschaftliche Boomzonen hervor und dominierte die Kolonialgesellschaft auch über Kuba hinaus strukturell, wirtschaftlich, politisch und ideologisch, so das Fazit des Autors. Für ihn ist der „grundsätzlich wichtigste Transferprozess in der kubanischen Geschichte der von Menschen und Kulturelementen aus Afrika“ (S. 215), an die er sich in einem hier versuchten mikrohistorischen Ansatz annähert und zur Nachahmung und zukünftigen Anwendung des Transfer-Modells (v.a. in Bezug auf einen noch ausstehenden Vergleich Kuba-Brasilien) aufruft. Zeuske wagt mit seinem Buch, Weltgeschichte einmal anders, nämlich von Kuba aus, zu schreiben und zeigt damit innerhalb der dominanten Globalisierungsdiskurse eine sympathische Perspektive „von unten“, die die Globalgeschichte anders aussehen lässt. Fazit: Zeuske ist mit seinem spannenden und lesenswerten Buch (durch Orts- und Namensregister und umfangreicher Bibliografie auch gut zum systematischen Lesen geeignet) eine breite Rezeption zu wünschen und lässt besonders in seinem Anspruch, Mikrogeschichten „von unten“ zu erzählen, auf weitere Forschungen aus dieser Perspektive hoffen.4

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Zeuske, M., Die diskrete Macht der Sklaven. Zur politischen Partizipation von Afrokubanern während des kubanischen Unabhängigkeitskrieges und der ersten Jahre der Republik (1895-1908) - eine regionale Perspektive, in: Comparativ 7,1 (1997), S. 32-98; Zeuske, Michael; Zeuske, Max, Kuba 1492-1902, Kolonialgeschichte, Unabhängigkeitskriege und erste Okkupation durch die USA, Leipzig 1998; Zeuske, M., Schwarze Erzähler-weiße Literaten. Erinnerungen an die Sklaverei, Mimesis und Kubanertum, in: Castillo, Daisy Rubiera (Ed.), Ich, Reyita. Ein kubanisches Leben. Aus dem Spanischen von Max Zeuske, Nachwort Michael Zeuske, Zürich 2000, S. 211-262; Zeuske, M., Insel der Extreme. Kuba im 20. Jahrhundert, Zürich 2004.
2Fernando Ortiz schrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Afrokubanern pathologisch-kriminologische Eigenschaften zu (vgl. Ortiz, Hampa afrocubana. Los negros esclavos. Estudio sociológico y de derecho público, la Habana 1916), ist jedoch später über das Studium des Einflusses der ‚Neger’...vom wissenschaftlichen Rassisten zum fulminanten Antirassisten geworden (Zeuske 2002, S. 28).
3Der Autor beruft sich u.a. auf Espagne, M.; Werner, M (1985, 1986); Osterhammel, J. (1996; 2001); Paulmann, J. (1999); Middell, M. (2000) und Kaelble, H.; Schriewer, J. (2001).
4vgl. die jüngst erschienene Publikation Zeuske, M., Schwarze Karibik. Sklaven, Sklavenkultur und Emanzipation, Zürich 2004.

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29.10.2004
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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