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Title
Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert


Author(s)
Komlosy, Andrea
Published
Extent
208 S.
Price
€ 17,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Johanna Wolf, Universität Leipzig

Arbeit ist eines der häufigsten Wörter, das wir verwenden, wenn wir unser Leben beschreiben. Durch die Schilderung unserer täglichen Tätigkeiten drücken wir nicht nur aus, wie wir uns verdingen. Wir werden auch sozialen Gruppen zugeordnet und geben etwas über unseren sozialen Status preis. Nicht immer deckt sich das, was wir als Arbeit bezeichnen, mit der Tätigkeit, durch die wir auch unseren Unterhalt bestreiten. Und trotzdem verweist die Frage nach der Arbeit in den meisten Fällen auf unsere Erwerbsarbeit. Das Buch von Andrea Komlosy geht diesem Phänomen durch die historische Analyse des Begriffes Arbeit in ihrem Buch nach. Sie stellt sich die Aufgabe, den Begriff aus dem jeweiligen kulturellen und sozialen Kontext heraus zu erläutern und seinen durch gesellschaftlichen Diskurs bedingten Wandel zu skizzieren. Damit zeigt sie einerseits, wie leicht ein anderer Zugang zum Forschungsfeld vonstatten gehen könnte, löste man sich von den tradierten Denkmustern. Vor allem aber macht sie deutlich, dass die heutige Dominanz der regulären Vertragsarbeit historisch betrachtet ein zeitlich und räumlich begrenztes Phänomen ist.

Das Buch lässt sich in zwei Teile gliedern: Es beginnt im ersten Teil mit der Darstellung des Begriffes Arbeit im Sinne des europäischen Verständnisses, den Grenzen und den Möglichkeiten, die europäische Meistererzählung zu überdenken. Komlosy kommt es darauf an, die Linearität und Teleologie der Entwicklung des Arbeitsbegriffes zu hinterfragen, die Gleichzeitigkeit verschiedener Arbeitsverhältnisse und Auffassungen zuzulassen und das europäische Beispiel nicht als wegweisend und universell gültig zu interpretieren. Diesen Ansatz konterkariert sie durch zwei Perspektiven, die das Buch prägen: die feministische und die globalhistorische. Dass sich Haus- und Subsistenzarbeit („Arbeit, die im lebensweltlichen Kontext für den eigenen Bedarf und Gebrauch eines Haushalts oder einer Familie verrichtet wird“, S. 53) sowie soziales und politisches Engagement vom gesellschaftlichen Arbeitsdiskurs lösten, sei das Ergebnis der Inwertsetzung von Tätigkeit im 18. Jahrhundert gewesen, so Komlosy. Doch außerhalb Europas habe Subsistenzarbeit als wesentlicher Bestandteil des Einkommens fortbestanden und die Spaltung von Arbeit und Nicht-Arbeit sei durch soziale Bewegungen immer wieder angegriffen und in Frage gestellt worden.

Um zu zeigen, wie sich der europäische Begriff der Erwerbsarbeit so bestimmt durchsetzen konnte, beschäftigt sich die Autorin mit Arbeitsdiskursen, der sprachlichen Herausbildung und dem Abtasten von Arbeit durch attributive Zuschreibungen, Ergänzungen und der Abgrenzung zu Nicht-Arbeit in heutigen Sprachkonventionen. In kurz gefassten Absätzen schreitet Komlosy wissenschaftliche Literatur und Schriften historischer Intellektueller ab und stellt dar, welche Bedeutung Arbeit im jeweiligen Kontext zugeschrieben wurde. Es wird deutlich, dass der Arbeitsbegriff vor allem in der Spannung zwischen mühevoller Last und kreativer Verwirklichung existierte, bis er durch die Ökonomisierung seine Zuschreibung als produktive Leistung im Sinne der Bildung und Vermehrung von Kapital erhielt. Das Aufzeigen dieser Ansätze hat für die Anregung zu weiterer Forschung großen Wert. Doch als Einführung wirken die schlagwortartigen und sehr kurzen Darstellungen aus ihrem Zusammenhang gerissen. Wiederholungen und fehlende Erläuterungen zu Fachbegriffen machen es dem Leser nicht leicht, der Argumentation zu folgen. Der Text hätte durch die Verknüpfung mit dem zweiten Teil des Buches, wo die Begriffe im historischen Kontext aufgegriffen werden, eine größere Lesbarkeit bekommen.

Der zweite Teil des Buches umfasst die Darstellung von sechs „Zeitschnitten“, die von Globalisierungsprozessen oder Vernetzungen gekennzeichnet waren. Komlosy erläutert die Jahre 1250, 1500, 1700, 1800, 1900, 2010 anhand von jeweils vier Punkten: Sie beginnt mit einer allgemeinen Charakteristik der Phasen, beschreibt ausgehend von der deutsch-österreichischen Region die Arbeitsverhältnisse vor Ort, knüpft diese Überlegungen an überregionale Verbindungen und kommt im vierten Schritt zu großräumigen Zusammenhängen. Da das Buch im Untertitel eine globalhistorische Perspektive verspricht, verwundert die Herangehensweise vom zentraleuropäischen Standpunkt aus, ist aus der Argumentation Komlosys allerdings logisch: Es geht ihr um die Erweiterung europäischer Narrative, die sie zum Ausgangspunkt ihrer Analyse macht, um dann zu zeigen, wie sich durch Vernetzungen und Verbindungen über diesen Raum hinaus verschiedene Arbeitsdiskurse und -verhältnisse entwickelten.

Getragen wurden diese Verbindungen vor allem durch die Mobilität der Arbeitenden, die je nach historischen Gegebenheiten verschieden große Distanzen überwanden, um in Arbeit zu kommen. Dementsprechend ist die Arbeitsmigration ein wesentliches Element der Analyse Komlosys. Sie beschreibt, dass es nicht selten im Rahmen der Arbeitsmigration zu ungleichem Tausch kam, indem die Arbeitssuchenden zu niedrigeren Löhnen als den auf dem Arbeitsmarkt vorherrschenden arbeiteten und damit einer Solidarisierung der Arbeiterbewegung entgegenwirkten. Die Verbindungen entstanden aber auch durch sogenannte globale Güterketten, deren Vorform die Autorin bereits in der East India Company um 1700 entdeckt. Die Autonomie der örtlichen Produzenten sei durch die Kontrolle des globalen Verlegers zunehmend in Frage gestellt worden. Die Haushalte hätten sich zu Liefergarantien verpflichten müssen, um Kredite zu erhalten und seien damit in Abhängigkeit geraten. Hierunter hatte nicht selten die Substitutionsarbeit innerhalb der Familie zu leiden. Komlosy zeigt, wie der Weg in den folgenden Jahrhunderten beschritten wurde: Die Ausschaltung der asiatischen Gewerbekonkurrenz und die Entwicklung asiatischer und afrikanischer Regionen zu Zulieferern von Primärgütern begründete die Dominanz europäischer Industrieländer des 19. Jahrhunderts.

Durch ihre historische Analyse zeigt sie, dass die Trennung von Erwerbsarbeit und Substitutions- und Hausarbeit vor der industriellen Revolution kaum vorhanden war. Am Beispiel des Verlagswesens – der Verlagerung arbeitsintensiver Arbeitsschritte in die Haushalte der Arbeitenden – stellt sie dar, wie verschiedene Arbeitsformen von der gesamten Familie getragen wurden und sogar eine hohe Flexibilität bezüglich tradierter Rollen und Aufgabenverteilungen aufwiesen. Am Beispiel ländlicher Gewerbetreibender des Spinn- und Webhandwerks erläutert Komlosy, wie aufgrund der Geschicklichkeit der Frauen die Erwerbsarbeit in ihre Hände fiel und die landwirtschaftliche Subsistenz von den Männern verrichtet wurde. Ob sich deshalb die gesellschaftliche Stellung der Frau verbesserte, wie von der Autorin impliziert wird, wäre zu hinterfragen. Im Sinne dieser historischen Erfahrung plädiert Komlosy aber für die heutige gesellschaftliche Aufwertung der Arbeit außerhalb herkömmlicher Arbeitsverhältnisse – nicht unbedingt durch monetäre Anerkennung, sondern vor allem durch gesellschaftliche Aufwertung.

Komlosy bezieht sich an verschiedenen Stellen auf die Thesen Immanuel Wallersteins. Auch wenn sie diesen nicht vollumfänglich zustimmt, und dafür plädiert, Arbeitsverhältnisse, die nicht der westlichen Hegemonie während des Ausgreifens auf Nordosteuropa und den Amerikas um 1500 unterlagen, aus der „Perspektive der dort herrschenden sozioökonomischen und politischen Verhältnisse in ihrer jeweiligen Eigenart“ (S. 108) zu betrachten, dient seine Theorie zumindest für die Argumentation der Entwicklung ab 1900. Ihre Konzentration auf den globalen Handel und ungleichen Austausch in der Darstellung führt allerdings dazu, die Gleichzeitigkeit verschiedener Arbeitsformen innerhalb einer Region weniger stark in den Blick zu nehmen. Und ihr gelingt es nicht immer, den eigenen Vorsatz der Überwindung europäischer Meistererzählungen einzuhalten, wenn sie die Abhängigkeit von Zentrum und Peripherie beschreibt und bei der Darstellung von Peripherien zu Verallgemeinerungen kommt.

Das Buch rückt ein wichtiges Thema in den Mittelpunkt. Komlosy hat anschaulich dargestellt, dass es für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Begriff Arbeit bedeutsam ist, den Fokus weg von bezahlter, gesetzlich geregelter Tätigkeit hin zu den zahlreichen Formen unbezahlter oder informeller Arbeit zu lenken, um damit verschiedenste Gruppen, die wertvolle Arbeit im Sinne der Gesellschaft tun, in den Diskurs zu integrieren. Darüber hinaus hat Komlosy gezeigt, wie globalgeschichtliche Fragestellungen empirisch umgesetzt werden können. Damit regt sie zum Nachdenken über das eigene Tun an und fordert dazu auf, in heutige Arbeitsdiskurse gesellschaftlich oder wissenschaftlich gestaltend einzugreifen.

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13.03.2015
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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