Imanuel Geiss war ein wichtiges Bindeglied zwischen der alten Universal- und der neuen Weltgeschichtsschreibung. Sein langjähriger Mitarbeiter Manfred Asendorf verweist auf seine Beiträge zur Fischer-Debatte und folgt der Geschichte des Bremer Professors über die „Abnabelung von Fischer“ ab 1975, den folgenden Verlust an Sympathie (und Publikationsmöglichkeiten) in der „sozialdemokratisch temperierten Historikerszene“ bis hin zu den enzyklopädisch angelegten „Daten der Geschichte“" – die freilich von Vertretern der modernen Transfergeschichte kritisiert wurden.
Klaus Kremb untersucht das Verhältnis von Regionalität und Globalität. Er geht dabei sowohl auf die Landesgeschichten des 18. Jahrhunderts ein (Hessen, Pfalz) als auch auf die Veränderungen der Regionalgeschichten in den 50er Jahren (Otto Brunner, Theodor Schieder, Werner Conze) und diskutiert die „globalgeschichtliche Konzeptionalisierung“ der neuesten Zeit.
Nach dem Verhältnis von Regional zu Global fragt auch Karl H. Schneider, der die globale Bedeutung der Schlacht bei Minden 1759 untersucht, die im englischen Geschichtsbild einen festen Platz hat, im deutschen allerdings eher als sekundär eingeschätzt wird. Der Sieg der Alliierten mit nordwestdeutschen und englischen Truppen gegen eine französische Übermacht, die Minden erobert hatte und großenteils schon östlich der Weser stand, zeichnete sich durch einen erfolgreichen Angriff englischer Infanterie gegen französische Kavallerie aus. Aber wurde, wie Pitt der Ältere bemerkt hat, Amerika in Deutschland erobert? Schneider untersucht nicht nur die militärische Sicherung der Westflanke der Alliierten im Siebenjährigen Krieg in Europa, sondern auch die Allianzverhandlungen des Kolonialkrieges in Amerika.
Klemens Kaps beschreibt die Wirtschaftsentwicklung des österreichischen Galizien im Rahmen der imperialen Arbeitsteilung. Die statistischen Daten zeigen, dass die ärmeren Regionen der cisleithanischen Reichshälfte im langen 19. Jahrhundert nicht aufholten, und fragt nach den Folgen der Einbindung in überregionale Produktions-und Vermarktungsprozesse. Der Anteil der Rohstoffe am Export der Provinz stieg nicht nur bei neuen Waren wie Erdöl, sondern auch bei klassischen wie Vieh, Fleisch und Holz. Der Status Galiziens als innere Peripherie der Monarchie wurde verstärkt.
Helmut Anton Prantner folgt der Bezeichnung der USA als Imperium seit der Gründungsperiode und geht dabei nicht nur auf die Kritiker ein, die den USA vorwerfen, entgegen dem nationalen Selbstbild ein imperiales Wesen zu haben, sondern auch auf realpolitische Inanspruchnahme des Terminus. „Wir sind nun einmal ein Imperium.“ Aber auch auf die vielfältige metaphorische Verwendung des Begriffs – „Imperium der Schande“ – „Imperium des Bösen“ usw. wird eingegangen.
Asli Vatansever prüft die Vorstellung, die türkische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) sei ein Vorbild für die Durchsetzung der säkularen Demokratie in den Ländern des Mittleren Ostens, besonders in Ägypten. Sie zeigt Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen AKP und Muslimbruderschaft in Geschichte Aktionsprofil, Ideologie, Strategie und Organisationsstruktur und vergleicht den Säkularisierungsgrad in Ägypten und der Türkei.
Im Heft 14.2 wird die Geschichte des Weltverkehrs, die im Heft 12.2 im Mittelpunkt stand, mit einem Beitrag von Reiner Ruppmann zur Geschichte des europäischen Autobahnnetzes fortgesetzt. Da explizite Studien zur Entstehung des Autobahnnetzes bisher fehlen, wird hier ein innovativer Aufsatz vorgestellt, der allerdings mit Kartenskizzen und Tabellen so umfangreich ist, dass der zweite Teil des Aufsatzes in einem kommenden Heft publiziert werden wird.
Weiter wird im aktuellen Heft die Geschichte von Netzwerken fortgesetzt, der bereits Heft 14.1 gewidmet war. Michael Sander beschreibt Auseinandersetzungen zwischen deutschen und russischen Firmen um Gaslieferungen und -preise. Der Autor stellt die Verhandlungen in den Kontext der aktuellen Debatte um Governance sowie Versorgungssicherheit und untersucht ihren Einfluss auf Versorgungssicherheit und Verteilung von Kosten und Gewinnen in diesem Teilbereich des „globalen Energienetzwerks“.
Rezensiert werden Monografien zu Weltgeschichte und Theorie zu kolonialer und antikolonialer sowie Missionsgeschichte, zum arabischen Raum den USA und China. Im Einzelnen: Eberhard Schmitt: Die Balance der Welt; Frank Hadler, Matthias Middell (Hg.): Weltgeschichtskongress in Dresden; Stefan Friedrich: Soziologie des Genozids; Ulrike Lindner: Koloniale Begegnungen; Daho Djerbal: L’Organisation speciale du FLN; Ulrich van der Heyden & Andreas Feldkeller (Hg.): Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen; Florian Bernhardt: Hizb ad-Da’va al Islamiya [eine irakische islamistische Partei]; Raymond Dumett: Mining Tycoons; Michael Gehler, Xuewu Gu, Andreas Schimmelpfennig (Hg.): EU – China.
Hans-Heinrich Nolte
INHALT
Manfred Asendorf „Nichts als bekannt voraussetzen und alles erklären“. Zur Erinnerung an Imanuel Geiss (1931–2012) S. 9
Klaus Kremb Historische Regionalität und Globalität – Zwei Seiten derselben Medaille S. 17
Karl H. Schneider: Die Schlacht bei Minden – lokales Ereignis mit globaler Bedeutung? S. 31
Klemens Kaps Galizisches Elend revisted. Wirtschaftsentwicklung und überregionale Arbeitsteilung in einer Grenzregion der Habsburgermonarchie (1772–1914) S. 53
Reiner Ruppmann Das europäische Autobahnnetz. Weiterhin Hoffnungsträger oder primär Funktionsraum für die Transit-Ökonomie? (Teil 1) S. 81
Michael Sander Deutsch-russische Firmennetzwerke als Garanten der Energiesicherheit? Die Verhandlungen zur Nord Stream Pipeline und zum Gasfeld Yuzhno Russkoje S. 109
Helmut Anton Prantner Imperium USA. Die aktuelle englischsprachige Argumentation S. 135
Asli Vatansever Die Muslimbrüder und die AKP. Die Blinden und der Einäugige S. 159
RezensionenS. 183